Bewusstseinswandel:New (York) Economy

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Die Terroranschläge in den USA könnten zu einem Umdenken in der Wirtschaft führen: "Der Mensch steht im Mittelpunkt".

Dagmar Deckstein

(SZ vom 24.9.2001) Es wird noch lange dauern, bis Amerika, bis die Welt das Trauma überwunden haben wird, das sich seit dem 11. September in Millionen Seelen festgekrallt hat. Nicht nur die Bewohner New Yorks, nicht nur die Menschen in Washington, die hautnah betroffen waren, die Verwandte, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen verloren haben, leiden zur Zeit große Qualen. Mit ihnen leidet die ganze zivilisierte Welt, die die Monströsität, das Ausmaß dieses menschengemachten Zerstörungswerks in größere Angst und nachhaltigeren Schrecken versetzt, als es etwa eine Naturkatastrophe je vermocht hätte. Die mehr schlecht als recht bezifferbaren unmittelbaren Schäden - durch die zerstörten Gebäude, den Einbruch der Finanzmärkte, durch die Krise der Fluggesellschaften etwa - erreichen zweistellige Milliarden-Dollar-Beträge.

Aber nachhaltiger könnte sich langfristig wohl der noch gar nicht bezifferbare Verlust der immateriellen, nichtgreifbaren Werte auswirken.

In einer Wirtschaft, nennen wir sie ruhig "New Economy", in der es wie noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte auf die ganz spezifischen, kreativen Fähigkeiten des Einzelnen ankommt, kann man sich unschwer vorstellen, was es zum Beispiel für den größten Anleihe-Händler der Welt, Cantor Fitzgerald, bedeuten mag, im World Trade Center 670 seiner 1000 New Yorker Beschäftigten verloren zu haben.

Jeder kann sich auch jenes Szenario ausmalen, das der New Yorker Firmenpsychologe Kerry Sulkowics entwirft: Ängste, Wut, Depression und Frustration der Angestellten sorgten wohl noch lange Zeit dafür, dass Firmen nicht zum "Business as usual" zurückkehren, geschweige denn, dass sie mit dem ganzen kreativen Potenzial der Mitarbeiter erneut in den Wettbewerb ziehen könnten.

Wer in diesen Tagen und Wochen das Internet gezielt durchforstet, der stößt auf den Homepages unterschiedlichster US-Firmen immer wieder auf ergreifende Zeugnisse darüber, dass sich möglicherweise innerhalb weniger Stunden eine Erkenntnis in der Wirtschaft und ihrem Management endgültig eingebrannt hat, die bisher eher in der Abteilung "intellektuelle Spielereien" gehandelt wurde: Der Mensch steht im Mittelpunkt.

Immer deutlicher reift die Erkenntnis, dass es "jetzt schwieriger ist denn je, die Bereiche Leben und Arbeit voneinander zu trennen", wie etwa das New-Economy-Magazin "Fast Company" den von Terroristen mit beförderten Bewusstseinswandel zusammenfasste. Firmen boten über Nacht Gruppen- und Einzelgesprächstherapien für ihre Mitarbeiter an, die mit den schrecklichen Ereignissen weitaus mehr beschäftigt waren als mit ihrer Arbeit.

Oder nehmen wir die Bostoner Beratungsfirma "The Prism Partnership", die vor allem den Dienstleistern des Gastronomiegewerbes arbeitet. Stellvertretend für viele andere stellt das "Prism-Partnership"- Management nicht nur für diese Branche die entscheidende Frage, die in Richtung der Transformation von der Old in die New Economy weist: "Was können wir tun, um unsere Mitarbeiter durch diese Phase der Transformation zu geleiten, nicht nur jetzt, da alle Welt trauert, sondern auch danach, wenn die Tourismusindustrie schwere Einbrüche erlitten haben wird?"

Ihre Antwort markiert jene Trennlinie zwischen New und Old Economy: Die einen, die Hilton- und die Holiday-Inn-Kette, hätten sofort kostenlos Räume zur Verfügung gestellt für Familien-Krisen-Center, vor allem an Flughäfen wie Boston, von wo aus US-Bürger auf die Todesmaschinen eincheckten. Obendrein hätten diese Hotels spontan darauf verzichtet, Gebühren für angemeldete Gäste zu erheben, die dann gar nicht aufschienen. Auf der anderen Seite stehen Hotels etwa in Texas, die versuchten, aus der Not anderer Kapital zu schlagen und ihre Preise wegen der erhöhten Nachfrage gestrandeter Reisender verdoppelten. "Wir besinnen uns nach all den Jahren des weltumspannenden Tourismusgeschäfts, in denen Fusionen, Finanzpläne, Bilanzen, Marketing- und Vertriebsziele im Vordergrund standen, wieder auf unser allerwichtigstes Geschäftsziel: Wie können wir uns und unseren Angestellten dabei behilflich sein, besser und dabei bessere Menschen zu werden als vorher? Jetzt ist die allerbeste Zeit, um festzustellen, dass die Menschen - die Kunden und die Mitarbeiter wirklich für uns zählen."

Es könnte sein, dass das nachhaltige Trauma, das uns diese unbegreiflich niederträchtige Art der Attacke auf unsere westliche Zivilisation und ihre Gewohnheit, Geschäfte miteinander zu tätigen, vielleicht erst richtig wachgerufen hat: Um uns daran zu erinnern, wer mit wem und zu wessen Gunsten und Vorteil Geschäfte betreibt, und ob wir wie über die letzten 150 Jahre weiter damit rechnen können, dass Menschen wie Maschinen, ohne nach dem Warum zu fragen, ihren Job tun. Heute, in den Zeiten der New (York) Economy weniger denn je.

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