Bewerber:Vor verschlossenen Türen

Lesezeit: 4 min

Mal sind sie überqualifiziert, mal zu spezialisiert und oft angeblich zu alt: Fach- und Führungskräfte auf Jobsuche.

Von Nicola Holzapfel

Die Kündigung kam ohne Vorwarnung. "Es war ein echter Schock", sagt Eva Specht. Plötzlich war sie nicht mehr Projektleiterin in der Marktforschung, sondern arbeitslose Bewerberin. "Ich fühlte mich total aus dem Alltag gerissen." Inzwischen hat sie sich auf die veränderte Situation eingestellt. Seit zwei Monaten bemüht sie sich hauptberuflich um eine neue Stelle. Es läuft nicht schlecht, ein paar Vorstellungsgespräche liegen bereits hinter ihr. "Aber ich bin skeptisch. Man weiß heutzutage nicht, wann man wieder Arbeit hat."

"Die Angst wird von Tag zu Tag größer": Wenn sich die Jobsuche über Monate hinzieht, geraten viele unter Druck. Foto: ddp (Foto: N/A)

Gisela Kron ist seit mehr als einem Jahr arbeitslos. Fast hundert Bewerbungen hat sie schon geschrieben. "Ich beiße mir die Zähne daran aus", sagt die Industriefachwirtin, die zuletzt als Assistentin der Geschäftsführung und im Vertrieb und Marketing eines internationalen Konzerns gearbeitet hat. Bei der Stellensuche hat sie immer wieder das Gefühl, vor verschlossenen Türen zu stehen. "Ich bin bereit, auch unterhalb meiner Qualifikation zu arbeiten oder etwas ganz anderes zu machen. Aber die Unternehmen suchen Bewerber, die hundertprozentig zur ausgeschriebenen Stelle passen."

Manche Stellenanzeigen sortiert Gisela Kron allerdings auch selber aus. Auf Inserate, in denen ein "junges Team" eine neue Kollegin sucht oder explizit nur "Bewerber bis 35" angesprochen werden, antwortet die 52-Jährige erst gar nicht mehr. Auch Eva Specht weiß bei solchen Formulierungen inzwischen, dass sie nicht erwünscht ist. Sie ist gerade mal 37 Jahre alt.

Wenn es um ihr Geburtsdatum geht, erhalten Bewerber selten ehrliche Antworten. Wenn, dann heißt es beispielsweise: "Wir erwarten uns jüngere Kandidaten." Gisela Kron, die auch schon gefragt wurde, ob sie überhaupt mit Jüngeren zusammen arbeiten könne, bringt das in Rage: "Das ist wahnsinnig frustrierend und auch beleidigend. Es mag Ältere geben, die nicht in die Gänge kommen. Aber das kann man doch nicht verallgemeinern."

Die Liste der Frustrationen bei der Jobsuche ist lang. Der Gang zur Arbeitsagentur gehört für viele dazu. Hier treffen Arbeitslose auf Mitarbeiter, die zwischen Arbeitslosengeld II und Behördenreform kaum zu dem kommen, was ihren Kunden wirklich helfen würde: Unterstützung bei der Jobsuche. 4,7 Millionen Arbeitslose zählt die Statistik im Juni, im Mai haben sich 502.000 Menschen neu arbeitslos gemeldet. Aber obwohl sie Teil des Massenphänomens Arbeitslosigkeit sind, fühlen sich viele Betroffene allein.

Immerhin gibt es an vielen Orten Anlaufstellen wie das Münchner Arbeitslosenzentrum (Malz), das Jobsucher berät und versucht, ihre "psychosoziale Lage" zu stärken. "Arbeitslose leiden unter ihrem Statusverlust. Sie sind gesellschaftlich stigmatisiert und fühlen sich als Versager, wenn Familie und Bekannte fragen: Hast du noch immer nichts?", sagt Malz-Beraterin Simone Bentele.

Dabei dauert die Stellensuche immer länger - egal wie sehr man sich bemüht. In München sind zurzeit mehr als die Hälfte der Arbeitslosen länger als ein Jahr ohne Job. Gisela Kron macht das sichtlich zu schaffen. Noch bekommt sie Arbeitslosengeld. Aber in einem halben Jahr ist damit Schluss. "Die Angst wird von Tag zu Tag größer. Man fürchtet wirklich das große Loch." Wie viele Arbeitslose denkt auch Kron als letzte Möglichkeit daran, sich als Ich-AG selbstständig zu machen. Doch eigentlich sieht sie für die Dienstleistung, die sie anbieten kann, keine Überlebensperspektive.

Für andere ist das Ausland der Ausweg. Der Wissenschaftler Detlef Gahlen hat vor zwei Monaten erfahren, dass er seinen Job verlieren wird. Die Abteilung, in der er bisher als Laborleiter gearbeitet hat, wird geschlossen. Erst vor zwei Jahren hat er den Sprung in die Industrie geschafft. Die Hochschulreform mit ihren neuen Befristungsregeln hatte ihm eine Zukunft an der Uni verbaut. Jetzt muss er sich anhören, dass sein Lebenslauf beeindruckend sei, doch eigentlich nach einer akademischen Karriere verlange.

"Es heißt, ich sei zu spezialisiert", sagt der 45-Jährige, der wie Eva Specht und Gisela Kron in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt. Er hat beschlossen, es wieder im akademischen Bereich zu versuchen - nicht nur in Deutschland. "Wir haben uns gerade ein Haus gekauft, mein Sohn geht in die erste Klasse, meine Frau hat eine Stelle. Da fällt es schwer, weltweit zu suchen." Doch in den USA oder in England gibt es die Arbeitgeber, die ihn mit seiner Erfahrung und Spezialisierung sofort nehmen würden.

Für Dirk Lindemann scheint es hier besser auszusehen. Der Ingenieur mit Fachhochschulabschluss nutzt seine Arbeitslosigkeit, um sich auf eigene Kosten fachlich fortzubilden. Als nächstes will der 40-Jährige seine Fremdsprachenkenntnisse verbessern. "Das Interesse der potenziellen Arbeitgeber an meinen Qualifikationen ist da", sagt Lindemann. Bis zum Herbst hat er sich Zeit gegeben, ein Unternehmen zu finden, das ihm die Chancen bietet, die er sich vorstellt. Vielleicht liegt er mit dieser Zeitvorstellung gerade richtig.

Es gibt Hinweise, dass die Unternehmen wieder mehr Mitarbeiter suchen. So verzeichnete der Adecco-Stellenmarkt-Index von Januar bis Mai 2005 neun Prozent mehr Stelleninserate für Fach- und Führungskräfte als im Vorjahr. Nach einer Umfrage des Personaldienstleisters Manpower wollen neun Prozent der befragten Arbeitgeber in den Sommermonaten wieder mehr Personal einstellen - gegenüber fünf Prozent, die Entlassungen planen. Das sei der beste Wert seit Anfang 2003. Einzelne Branchenverbände prognostizieren sogar schon wieder einen Fachkräftemangel.

Doch noch gehen auf viele Ausschreibungen Hunderte von Bewerbungen ein. Die Berater vom Malz empfehlen Jobsuchern, über neue Berufsperspektiven nachzudenken und sich nach Nischen umzuschauen. Und sie raten, die Jobsuche nicht rund um die Uhr zu betreiben, sondern dafür einzelne Wochentage zu bestimmen. Bentele: "Sie drehen sich sonst ausschließlich um das gleiche Thema und haben ständig ein schlechtes Gewissen, nicht genug getan zu haben."

Doch ganz wird es wohl keinem gelingen, seine Situation für den Rest der Woche auszublenden. Und so bleibt der tägliche Kampf, es zu schaffen und nach vorne zu schauen. Auch wenn wieder eine Absage im Briefkasten liegt. "Das lässt einen manchmal verzweifeln. Mit jeder Absage verliert man wieder Hoffnung", sagt Wissenschaftler Detlef Gahlen. "Es gibt Tage, an denen man schwarz sieht und keinen Ausweg mehr weiß. Das Schwierigste ist, sich immer wieder aufzuraffen und zu sagen: Jetzt machst du weiter."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: