Berufswahl:Durchhalte-Technikerinnen

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Pfeifkonzerte, Galgenhumor und Durchhaltevermögen: Wissenschaftlerinnen aus vier Generationen berichten über ihre Erfahrungen in der Männerwelt der Ingenieurdisziplinen.

Moderation: Sibylle Steinkohl und Martin Thurau

Vor 100 Jahren schrieben sich erstmals Frauen an der Technischen Hochschule München ein - für die heutige TU Grund zum Feiern. Zu diesem Jubiläum eröffnet die Hochschule am Dienstag in ihrem Hauptgebäude auch die Ausstellung "Forschen, lehren, aufbegehren". Die SZ bat Wissenschaftlerinnen aus vier Generationen zum Gespräch über ihre Erfahrungen in den Technikfächern, einer Männerwelt.

Annelise Eichberg, 95, Architektin, war 1934 bis 1952 Assistentin an der TH München. Danach arbeitete sie mit ihrem Mann im eigenen Büro.

Sandra Hayes, 65, ist Mathematik-Professorin an der TU. Von 1989 an war sie die erste Frauenbeauftragte der TU München.

Rita Hilliges, 26, studierte an der TU Bauingenieurwesen und promoviert am Lehrstuhl für Wassergüte- und Abfallwirtschaft.

Susanne Ihsen, 40, arbeitet als Sozialwissenschaftlerin im Technikermilieu. Sie ist TU-Professorin für Gender-Studies in den Ingenieurwissenschaften.

SZ: Sie haben Ihr Architekturstudium 1930 begonnen, Frau Eichberg. Wie war es als einzige Frau unter 80 Männern?

Eichberg: Gut, sehr schön, Konkurrenz oder gar Kämpfe habe ich nicht erlebt. Alle waren nett und hilfsbereit. Auch die Dozenten waren überwiegend freundlich. Nur der Professor für Technische Mechanik war zuerst sehr misstrauisch, aber als ich gut durch die Prüfung kam, gab auch er sich zufrieden.

SZ: Wie sehr ist das Ingenieurstudium heute noch Männnerwelt, Frau Hilliges?

Hilliges: Ich habe 1997 begonnen, Bauingenieurwesen zu studieren. Im ersten Semester waren wir rund 250 Studenten, der Frauenanteil lag bei etwa zehn Prozent. Ich hatte im übrigen nie eine Professorin, bei den Bauingenieuren gibt es keine einzige, in der Vermessungstechnik, die zur Fakultät gehört, seit kurzem immerhin eine.

Eine Ungleichbehandlung vonseiten der Professoren und Assistenten habe ich nicht erfahren. Na ja, das meiste läuft ohnehin über die Matrikelnummer, und die ist geschlechtsneutral.

Unter den Studenten bin ich natürlich aufgefallen. Das habe ich spätestens immer dann zu spüren bekommen, wenn ich mir mal in der Vorlesung vorn nachträglich ein Blatt holen musste, weil ich zu spät gekommen war. Dann gab es das typische Pfeifkonzert: Es fängt an, wenn man aufsteht. Aber man muss ganz nach unten und dann wieder ganz hinauf.

Erst wenn man sich setzt, hört es auf. Das ist schon bescheuert. Noch ein Punkt: Wenn es darum ging, gemeinsam eine Übung zu bearbeiten, sind die Kommilitonen nicht gerade als erstes auf mich zugekommen. Ich weiß nicht, ob sie es mir nicht zugetraut haben oder ob sie zu scheu waren.

Ihsen: Das Auspfeifen habe ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Maschinenbau erlebt. Das ist ein ganz unangenehmes Gefühl. Ich habe junge Frauen draußen sitzen sehen, die sich nicht mehr in die Vorlesung getraut haben. Mit Dozenten habe ich diskutiert, was man vor der Vorlesung tun muss, um das abzustellen. Die warteten nämlich einfach, bis die Vorstellung beendet war und redeten erst dann weiter. Das kann doch nicht wahr sein! In Lehrtrainings haben wir später solche Themen behandelt.

SZ: Frau Hayes, Sie wurden 1989 erste Frauenbeauftragte der TU. Wie war die Situation damals?

Hayes: Es gab 385 Professoren, darunter waren vier Frauen. Insgesamt gab es elf Dozentinnen. Der Anteil der Studentinnen lag bei knapp über 20 Prozent. Am Anfang war es außerordentlich schwierig - und sehr aufschlussreich.

Es gab da kaum ein Problembewusstsein. In den Sitzungen, in denen natürlich fast ausschließlich Herren saßen, war erst einmal viel Aufklärungsarbeit nötig. Als Studentin hatte ich weder in den USA noch in Deutschland eine Benachteiligung erfahren. Die Probleme wurden für mich erst später richtig offenbar. Im Mathematischen Institut der TU war ich 1975 die erste Frau überhaupt, die sich habilitiert hat - die Dreizehnte in meinem Fach in ganz Deutschland.

Ihsen: Frauenbeauftragte sind an den Hochschulen per Gesetz eingerichtet worden. Dort herrschte die Meinung vor, Frauen könnten doch alles studieren. Und wenn sie nicht Maschinenbau studierten, dann deswegen, weil sie es nicht wollten oder nicht könnten.

Eine Bewusstseinsänderung setzte dann über die Frage der Bildungsökonomie ein - weil Wissenschaftler fehlten. Heute wird das Thema stärker beachtet, es gibt buntgemischte Angebote, die Schülerinnen für technische Fächer interessieren sollen, und auch die Hochschulen werben mit eigenen Veranstaltungen um sie. Heute sind bei einem Studentinnenanteil an der TU von rund einem Drittel selbst in den Ingenieurstudiengängen etwa 20 Prozent Frauen. In der Berufswelt aber brechen die Zahlen dramatisch ein, was natürlich wieder Rückkopplungseffekte auf die Studienwahl hat: Es gibt nur wenig weibliche Rollenvorbilder, an der Hochschule fast gar nicht.

Hayes: Immerhin hat die TU als erste bayerische Hochschule Gleichstellungspläne aufgestellt. Sie hat mit EU-Geldern ein Mentoring-Programm aufgebaut, mit dem Studentinnen von erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Uni, aber auch aus der Wirtschaft betreut werden.

Hilliges: Es gibt auch TU-intern Programme für Studentinnen und Wissenschaftlerinnen, um Schlüsselqualifikationen und Bewerbungen zu trainieren.

Hayes: Die größte Schwierigkeit ist und bleibt, Familie und Beruf zu vereinbaren. In dem Moment, wo es um das Gründen einer Familie geht, wird es für Wissenschaftlerinnen manchmal schwierig, Verträge verlängert zu bekommen.

Ihsen: In den Ingenieurwissenschaften beginnen Frauen die akademische Karriere etwa mit Diplom oder Promotion lang bevor der Wunsch aufkommt, eine Familie zu gründen. Dieser Berufseinstieg gelingt meist. Doch was ist danach? Als Promovierte sind sie eine vergleichsweise teure Berufseinsteigerin und schon ein wenig älter. Beim Bewerbungsgespräch in der Personalabteilung sitzen ihnen oft Männer um die 50 gegenüber, vielleicht Familienväter, die Frau ist zuhause. Da ist es mit dem Verständnis mitunter schwierig, wenn junge Frauen sagen: Ich schaff' das alles.

Es gibt also eine Schwelle beim Berufseinstieg, bevor sich die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellt. Bis Frauen ihren ersten Job haben, dauert es deutlich länger als bei Männern. Dabei haben die Frauen laut Statistik die besseren Noten.

SZ: Haben die Frauen das hierzulande auch verinnerlicht? In Frankreich hat ja keine Frau, die drei Kinder hat, ein Problem zu sagen, ich will an die Spitze.

Ihsen: Als französische Ingenieurin können Sie drei Kinder großziehen, Sie müssen lediglich einen schulfreien Nachmittag pro Woche sicherstellen und die Zeiten, in den vielleicht die Lehrer streiken. Aber alles andere ist staatlich gefördert und bildungspolitisch so geregelt, dass Sie um 18 Uhr nach Hause kommen können. Davon sind wir in Deutschland kilometerweit entfernt. Wenn hier die erste Stunde in der Schule ausfällt, haben alle berufstätigen Eltern, nicht nur die Karrierefrauen, ein echtes Problem.

Hayes: Bei uns am Institut gibt es jetzt zwei weitere Professorinnen. Aber beide sind alleinstehend. Und ich selbst habe auch keine Kinder.

Hilliges: Am Lehrstuhl selbst bin ich noch nicht auf Widerstände gestoßen, ich habe allerdings auch eine Chefin.

Ihsen: Das würden unsere Elektrotechnikerinnen so unterschreiben. Am Institut ist es kollegial; man hat auch schon bewiesen, dass man gut ist.

SZ: Sie wurden 1934 Assistentin, Frau Eichberg. Warum hat Ihr Professor Sie den Männern vorgezogen?

Eichberg: Ich kann mich ja nicht selbst loben. Aber wahrscheinlich habe ich ihn mit meinen Leistungen überzeugen können. Dazu war es ihm wichtig, dass er auch noch eine gewisse Betreuung bekam, dass man ihm Organisatorisches abnahm, ihn, wenn ich es so sagen darf, ein bisschen an der langen Leine hatte.

Ihsen: Sie haben also die so wichtige soziale Kompetenz gezeigt.

Hilliges: Mädchen in den technischen Berufen haben oft noch Berührungsängste. Und als ich gesagt habe, ich wolle Bauingenieurwesen studieren, haben viele geschluckt. Ich hörte: Wirklich? Willst du nicht lieber was anderes... ?

Hätte ich nicht schon den Bezug zum Bauwesen gehabt, etwa weil meine Schwester Architektin ist, hätte ich mich womöglich davon abhalten lassen. Und vielleicht wäre ich gar nicht erst auf die Idee gekommen. Mit dem Jobeinstieg habe ich wohl bislang Glück gehabt. Ich hatte mich auch in der Industrie beworben und bin sofort zu zwei Gesprächen eingeladen worden. Ich hätte auch nicht erwartet, dass das länger dauert und ich einen Nachteil wegen meines Geschlechts haben könnte.

Ihsen: Viele Frauen beziehen erste Misserfolge bei den Bewerbungen auf sich. Womöglich sind sie dann schnell bereit, sich unter Wert zu verkaufen, weil sie denken, sie machten etwas falsch.

Hilliges: Ich glaube nicht, dass es den Frauen meiner Generation an Selbstbewusstsein fehlt. Sie stoßen wohl eher objektiv auf Widerstände.

Ihsen: Das Eine hat ja mit dem Anderen zu tun. Es gibt Untersuchungen über die Einkommensverhältnisse von Frauen und Männern: Je höher die akademische Bildung und je höher der Abschluss, umso weiter geht die Schere auseinander. Das sind die Stellen, bei denen das Gehalt frei verhandelt wird, es also auch darauf ankommt, wie gut und selbstbewusst die Bewerberinnen und Bewerber verhandeln. Und wenn sie schon im Studium und in Praktika schlechte Erfahrungen gemacht haben, dann gehen sie nicht mehr mit ganz so geradem Rücken in den Beruf hinein.

Hilliges: In den Praktika auf der Baustelle habe ich gemerkt, dass man die Dinge in die Hand nehmen muss. Erst als ich gezeigt habe, dass ich ganz gut betonieren kann, nicht von der Leiter falle und auch mal ein Fertigteil setzen kann, ohne mir die Finger zu klemmen, lief es gut.

Hayes: Vor 15 Jahren haben Studentinnen oft Absagen auf ihre Bewerbungen für ein Baupraktikum bekommen, weil es keine Toiletten für Frauen gebe.

Hilliges: Meine Schwester musste immer nach Hause radeln, wenn sie auf die Toilette musste.

Eichberg: Während meiner Assistentenzeit habe ich die Bauleitung bei drei Wohnhäusern gemacht. Später haben mein Mann und ich zusammen als Architekten gearbeitet, da habe ich mich eher ums Büro gekümmert. Als wir das Klinikum Großhadern gebaut haben, waren bei uns immerhin 56 Leute beschäftigt.

Ihsen: Sie waren sozusagen die Chefin.

Eichberg: Chef war mein Mann, sage ich immer.

SZ: Wie bekommt man es nun hin mit der Karriere?

Hayes: Durchhaltevermögen muss jede mitbringen. Und sie sollte die Netzwerke nutzen, die es heute gibt.

Ihsen: Wichtig sind die Kontakte zu Mentorinnen. Und ich fürchte, was man dringend braucht, ist eine Portion Galgenhumor. Es nützt nichts, fünfmal gegen die gleiche Mauer zu rennen. Man muss dann mal auch einen Schritt zurückgehen und sich sagen können: Ich muss jetzt einen Umweg machen.

Eichberg: Man muss seinen Beruf wirklich ausüben wollen. Von Anfang an.

SZ: Was würden Sie Jüngeren raten?

Hilliges: Nicht abschrecken lassen.

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