Berufsstart:Zwischen den Fronten

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Seilschaften statt Zusammenarbeit - die ersten Monate in einem neuen Team sind eine Gratwanderung zwischen Anpassen und Aufpassen.

Christine Demmer

Jeder, der es schon hinter sich gebracht hat, weiß: Die ersten Tage im neuen Job können der blanke Horror sein. Denn neu sind nicht nur Arbeitsabläufe und interne Regeln, neu sind auch die Menschen, mit denen man künftig acht und mehr Stunden am Tag kooperativ und harmonisch zusammenarbeiten soll. Das geht mit allen für kurze Zeit, das geht mit wenigen für lange Zeit, aber sich mit allen auf ewig gut zu verstehen, ist ein seltenes Kunststück, das kaum jemandem gelingt.

Zwischen den Fronten: Berufsanfänger stehen oft vor der Frage, ob sie angreifen oder sich zurückhalten sollen. (Foto: Foto: iStock)

Dennoch glauben nicht wenige Chefs fest daran, dass Wünsche Berge versetzen können: "Mit Ihren Kollegen werden Sie bestimmt gut klar kommen." Natürlich teilt man als Neue oder Neuer diese Hoffnung - aber was ist, wenn das Team nicht mitspielt? Weil die Kollegen bei der Neubesetzung der Stelle vielleicht für einen anderen Kandidaten eingetreten sind? Oder weil die Arbeitsgruppe in Wahrheit aus einzelnen Grüppchen besteht, die einander misstrauisch beäugen? Schlimmer noch: die keine Gelegenheit auslassen, die andere Partei bei einem Fehler zu ertappen oder gar dazu zu verführen? Hier lauert eine böse Falle. Denn solch verdeckte Destruktionsstrategien werden keinem Neuen am ersten Tag offenbart.

Hinein in den Büroklüngel

"In Seilschaften darf man sich nicht zu früh hineinziehen lassen", sagt Hans Christian Schrader, Psychologe, und Mitgründer des Berliner Büros für Berufsstrategie. "Eine gelungene Integration läuft nicht über ein schnelles Sich-Hineinziehenlassen in eine bestimmte Gruppe oder einen Büroklüngel. Damit läuft man Gefahr, sich gleich zu Anfang Gegner einzuhandeln. Außerdem kann man so schnell nicht den Überblick über die Strukturen und eventuelle Frontverläufe im Büro erkennen."

Darum genau aber geht es in den ersten Tagen und Wochen: die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln des Teams zu erkennen, um die anfängliche Unsicherheit abzulegen. "Der Neue sollte erst einmal eine nach allen Seiten hin wohlwollende, abwartende Haltung einnehmen und die Lage ein paar Wochen lang in Ruhe sondieren", rät Schrader, "in der Politik würde man von der Äquidistanz nach allen Seiten hin sprechen."

Vereinnahmende Splittergruppen

Das Verharren in der Beobachterrolle birgt zwar das Risiko, von allzu ungeduldigen Fraktionsgeschäftsführern links liegen gelassen zu werden. Dennoch hat Zurückhaltung mehr Vor- als Nachteile. Erstens schützt sie davor, von einer Splittergruppe vereinnahmt zu werden, um die man - ein paar Monate später und einige Erfahrungen klüger - lieber einen weiten Bogen machen würde.

Zweitens hält sie das Interesse aller Parteien am neuen Kollegen wach. Drittens findet die Unverbindlichkeit das Wohlwollen des Vorgesetzten. Und viertens gewinnt der oder die Neue Zeit, um sich in Ruhe die Gesamtkonstellation anzuschauen und sich eine fundierte Meinung darüber zu bilden, ob überhaupt einem der Zirkel beigetreten werden sollte.

Auf der nächsten Seite: Wie wehrt man die Umgarnungsversuche einzelner Kollegen ab, ohne als unwirsch, unhöflich oder als Schleimer zu gelten?

Hohe Kunst der Kommunikation

Doch wie wehrt man die Umgarnungsversuche einzelner Kollegen ab, ohne als unwirsch oder unhöflich oder als Schleimer nach allen Seiten hin zu gelten? Für Ulrich Holst, Theologe, Personalentwickler und Autor des Buches "Neu im Job", zeigt sich hier die hohe Kunst der Kommunikation: "Das sollte man ganz offen spielen und sich nicht vor klaren Aussagen drücken. Am besten bedankt man sich bei dem Kollegen für das gezeigte Vertrauen und erklärt, dass man sich noch keine abschließende Meinung gebildet habe. Zum gegebenen Zeitpunkt käme man gern auf das Angebot zurück. Das darf aber nicht ironisch klingen."

Kluge Vorgesetzte wissen, ob ihr Team aus einer oder aus mehreren Einheiten besteht. Spätestens am ersten Arbeitstag werden sie neue Mitarbeiter in Grundzügen darüber informieren - und das ist eine gute Gelegenheit, um einen Einblick in den Führungsstil von Chef oder Chefin zu nehmen. Rückt der Chef mit einer klaren Empfehlung heraus, dann kann er daraus schließen, welche Partei kritischer betrachtet wird. Überlässt man ihm die Entscheidung oder rät womöglich davon ab, in diesem Konflikt Stellung zu beziehen, dann ist es entweder noch ungewiss, auf welcher Seite die Gewinner zu finden sein werden, oder der Vorgesetzte versucht sich um die Lösung des Problems zu drücken. Diese Variante bietet dem neuen Mitarbeiter Profilierungsmöglichkeiten.

Mentor und Paten

Leider zeigen Studien, dass Führungskräfte ihren neuen Mitarbeitern etwaige Konflikte im Team verschweigen - sei es, weil sie dies als Eingeständnis ihrer Schwäche betrachten oder weil sie sich von dem Neuen stillschweigend eine Lösung erhoffen. Das aber ist klares Führungsversagen, denn es belastet den neuen Mitarbeiter zusätzlich zum Einarbeitungsaufwand mit ungeklärten Machtverhältnissen.

Deshalb stellen größeren Unternehmen Neueinsteigern manchmal einen Mentor oder Paten an die Seite, häufig aus einer anderen Abteilung und damit gewissermaßen ein "Neutraler". "In Deutschland ist das allerdings noch eher die Ausnahme, im Gegensatz zu Skandinavien oder den USA", klagt Schrader: "Die Kultur, Mitarbeiter schnell und erfolgreich einzugliedern, ist hierzulande noch stark entwicklungsbedürftig."

© SZ vom 23.8.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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