Beruf:Anwalt im Supermarkt

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Das Berufsbild des Rechtsanwalts hat sich stark gewandelt: Der Anwalt ist vom Organ der Rechtspflege zum Dienstleister geworden.

Von Heribert Prantl

Die Anwaltsrobe ist immer noch schwarz, hat eine Seitentasche mit Taschenbeutel und einen Satinbesatz aus hundert Prozent Polyester. Aber ansonsten hat das Berufsbild des Rechtsanwalts von heute mit dem von gestern nur wenig zu tun: Der Anwalt ist vom Organ der Rechtspflege zum Dienstleister geworden, der rechtliche Rat zu einem handelbaren Wirtschaftsgut, das auf dem Markt so angeboten wird wie der Joghurt und die Diät-Margarine - manchmal sogar in Nähe der Regale.

Von der Stange oder maßgeschneidert

Es gibt Anwälte, die ihren Tisch im Zugang zum Supermarkt aufgeschlagen haben und dort ihre Dienste feilbieten, so ähnlich wie im Mittelalter die Schreiber auf den Marktplätzen. Es gibt Anwälte, die in gigantischen, angloamerikanisch geprägten law firms arbeiten, in denen die Rechtsberatung fabrikmäßig organisiert wird. Es gibt Großkanzleien, in dem jeder Sozius ein Team von Anwälten um sich versammelt, die ihm zuarbeiten.

Es gibt also Rechtsberatung von der Stange, und es gibt Rechtsberatung maßgeschneidert; es gibt die juristischen Ferkelstecher in den Hinterzimmern und die hochqualifizierten Spezialisten, die europaweit agieren. Einst sagte der Ehrengerichtshof der Anwälte stolz, der Anwalt habe eine auf "Wahrheit und Gerechtigkeit gerichtete amtsähnliche Stellung". Davon ist wenig übrig geblieben. Die Unabhängigkeit der freien Advokatur wird vom Markt überrollt: Die Zahl der Anwälte steigt und steigt, 6714 waren es im Deutschland von 1900, im Jahr 1988 waren es 52.000, heute sind es 126.799. Der 55. Deutsche Anwaltstag, der am Donnerstag in Hamburg beginnt, hat also viel zu tun, wenn er sich mit der "Zukunft der Anwaltschaft" beschäftigt.

Nichts ist mehr, wie es war: Das Bundesverfassungsgericht hat 1987 unter Hinweis auf das Grundrecht der Berufsfreiheit den Bruch mit dem tradierten Berufsbild verordnet, der Bundesgerichtshof hat 1989 überörtliche Sozietäten für zulässig erklärt und damit den Weg für nationale und internationale Großkanzleien in Deutschland geebnet. Als Nebeneffekt der Fusionswelle verliert das deutsche Recht gegenüber dem anglo-amerikanischen an Boden.

Alte Zöpfe abgeschnitten

Die Mauer, die das deutsche Standesrecht errichtete und die bis vor zwanzig Jahren für die ausländische Konkurrenz unüberwindlich war, ist geschleift: Der Europäische Gerichtshof hat sie Urteil für Urteil abgetragen; dass Anwälte per Handzettel, Plakat und Radio für sich werben dürfen, ist nur ein Indiz dafür, dass sich der Berufsstand, in dem der Anwalt einst unter der strengen, aber gütigen Aufsicht angesehener Kollegen und würdiger Richter den Gerichtsbetrieb betreute, grundlegend gewandelt hat. Da wurden nicht nur alte Zöpfe abgeschnitten. "Dynamische Entwicklung" des Dienstleistungssektors nennt man das in der EU-Kommission, die das Berufsrecht noch weiter deregulieren will.

Der Freiburger Rechtsprofessor Rolf Stürner hat die Anwaltschaft soeben in der Neuen Juristischen Wochenschrift aufgefordert, mit der Präsentation eines "überzeugenden anwaltlichen Berufsbildes" diese Entwicklung mitzugestalten. Die Alternative: steuerlos im Meer der Deregulierung weitertreiben. Derzeit sind die Anwälte mit anderem beschäftigt: Am 1. Juli tritt das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in Kraft. Die Anwälte müssen neu lernen, wann sie wie viel Geld verlangen dürfen.

© SZ vom 19.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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