Berater für alle Lebensfragen:Die gecoachte Nation

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Schüler, Manager, Politiker: Alle lassen sich beraten. Doch ob Zukunfts-Coaching oder Fitness-Consulting: Häufig steckt nur Bluff dahinter.

Christine Demmer

Das durften einst nur Hofnarren, Mätressen und Seelsorger: dem Herrscher mal ordentlich, aber ungestraft die Leviten lesen. Nur von ihnen - formal in der Hierarchie ganz unten angesiedelt und deshalb bequem austauschbar - nahm der höchste Herr einen Rat an, wenn er nicht mehr weiter wusste. Denn vor Wettbewerbern als ratlos und schwach zu gelten, galt noch bis ins letzte Jahrhundert als glatte Einladung zum Königsmord.

Hauptsache überzeugen: Berater leben vom Glauben an ihre Wirkung. (Foto: Foto: photodisc)

Zwar brüsten sich auch heutige Vorstände und Geschäftsführer nicht öffentlich damit, Heerscharen von Consultants im eigenen Hause herumwuseln zu lassen. Da aber inzwischen jedes Dax-30- Unternehmen und Tausende von Mittelständlern Consultants und Coaches an Bord haben, braucht das Engagement eines Beraters keine Legitimation mehr.

Die Firmenchefs leisten sich ihre Berater, weil sie den Blick von außen schätzen, weil ihnen das aktuell benötigte Know-how im Betrieb fehlt, weil sie auf einen unbekannten Auslandsmarkt zusteuern, weil sie ihre Entscheidungen absichern wollen, weil sie keine Lust haben, für einen Einmal-Auftrag feste Arbeitsplätze einzurichten oder weil sie einen Menschen an ihrer Seite wissen wollen, der sich nur um sie selbst bemüht.

Neben den Berater in spezifischen Sachfragen tritt zunehmend der Berater für alle Lebenslagen auf den Plan. Allerdings nennt dieser sich heute Personal Consultant oder Coach. Das klingt dynamisch, lässt sich von der Steuer absetzen, steigert die Selbstsicherheit und hilft bei der eigenen Disziplinierung.

Früher war ein Coach nur für Leistungssportler da. Er stand am Rand von Schwimmbecken oder Spielfeldern, die Augen am Athleten, die Hände in den Hosentaschen, und brüllte: "Nach vorn!" Oder: "Ruuuhig!" Oder: "Schneller!" Mit ähnlichen Appellen hatten die Kutscher von Pferdedroschken (englisch "Coaches") einst bessere Erfahrungen als mit der surrenden Peitsche gemacht. Und siehe da: Es klappte auch beim Menschen. Seither nahmen nach den Sportlern auch die Politiker und Manager ihre Dienste in Anspruch. Der persönliche Berater sagt ihnen zwar, was sie eigentlich nicht hören wollen, doch er legitimiert dadurch, dass es allein zu ihrem Wohle geschehe.

Über diese subkutane Wirkungsweise der Mensch-zu-Mensch-Beratung wird selten offen gesprochen. Trotzdem schwingt sie überall dort mit, wo ein Ratloser um Hilfestellung bittet und dafür Geld zu zahlen bereit ist. Erst dann nämlich ist es Coaching und keine unverbindliche Beratung. Wenn der Rat als unentgeltlicher Tipp daherkommt, heißt es schnell: Was nichts kostet, taugt auch nichts. Nur wenn der Ratgeber eine Gegenleistung verlangt - und dazu gehört neben einem Honorar auch die Aufforderung an den Ratsuchenden, sich selbst Unannehmlichkeiten auszusetzen -, nur dann wird die Handlungsempfehlung ernst genommen und umgesetzt. Umso begeisterter und daher vermutlich auch potentiell erfolgreicher, wenn die Beratung teuer und die Auflagen schmerzhaft daherkommen.

Dass selbst Jugendliche von diesem psychomechanischen Zirkelschluss überzeugt sind, weiß Matthias Trüper aus Berlin zur Genüge. Der 58-jährige Pädagoge und Gründer der Agentur Campusmondi coacht Oberstufenschüler bei ihren ersten Trittversuchen auf der Karriereleiter: Wo muss bis zum Abitur noch fleißiger gebüffelt werden? Wie schafft der 18-Jährige den Sprung an die Elitehochschule? Woher bekommt die Zwölftklässlerin die nötigen Referenzen für das private US-College? "Oft haben das die jungen Leute ja schon von ihren Eltern gehört", sagt Trüper, "aber es zählt mehr, wenn ich ihnen erkläre, dass ihnen die Zeit wegrennt und dass sie keine Fehler machen dürfen."

Während sich die Altersgenossen auf Parties vergnügen, stellen Trüpers Klienten Dokumentationen ihres schulischen "Track Records" zusammen und üben ihre Selbstpräsentation vor dem Auswahlkomitee ihrer Traum-Universität. "Wenn ich mich 35 oder 40 Stunden intensiv mit einem Schüler befasse, dann kostet das natürlich", sagt Trüper, der zunächst Schulleiter und dann Manager in einem Softwarehaus war. "Meist zahlen das die Eltern. Aber es gibt durchaus Fälle, in denen mich ein Schüler anruft und fragt, was er tun müsse, um mich sich leisten zu können. Und der ist dann auch willig, viel zu tun." Die Verpaarung von Knete - es kostet - und Knute - es macht Mühe - steigert den Wert der Beratung offenbar beträchtlich.

Dahinter steckt mehr als die Bestätigung des berühmten Theorems von Jean-Baptiste Say: Jedes Angebot schafft sich seine eigene Nachfrage. Dem Markterfolg vieler Beratungsangebote zugrunde liegt die Koppelung von Kompetenzanspruch (durch den Coach selbst) und Kompetenz-Zuschreibung (durch den Couchee). Als Beweis für das Wissen und Können des Beraters wird oft dessen umfassende Berufs- und Lebenserfahrung hervorgehoben. "Mehr als 25 Jahre erfolgreiche Führungstätigkeit in internationalen Unternehmen im In- und Ausland" versprechen, zumal in Verbindung mit dunklem Anzug, grauen Schläfen und selbstbewusstem Auftreten: Von mir lernen Sie, wie's geht.

Welcher verzweifelte Mittelmanager fragt da nach der Ratgeber-Ausbildung seines Gesprächspartners, geschweige denn, ob der Mann selbst zu einem Fusionsopfer wurde oder schlicht wegen seiner Unfähigkeit gehen musste? Ein starker Auftritt zählt oft mehr als ein schwacher Beweis.

Neben dem cleveren Knete-und-Knute-Ansatz steckt vielfach nur schlichter Bluff hinter den Zigtausenden von Flower-Power-Pop-up-Coaching-und-Consulting-Blüten. Ob Zukunfts-Coaching, Fitness-Consulting, Business-Coaching, Schauspiel-Coaching, Telefon-Consulting, integriertes Coaching, Kinder-Coaching, Community-Consulting - die Suchmaschine Google dokumentiert den inflationären Missbrauch der eigentlich ganz vernünftigen Idee, sich von anderen einen Rat zu holen.

Während sich in Sport und Geschäftsleben allmählich die Spreu vom Weizen trennt und der Markt für Spinner und Self-Made-Coaches austrocknet, wachsen auf dem Acker der privaten Lebensberatung die skurrilsten Formen heran.

Vom Knigge-Coach lernen Jugendliche zeitgemäße Umgangsformen; Mental-Coaching verleiht ausgebrannten Angestellten neue Schwungkraft; ältere Semester lernen beim Senioren-Coach loszulassen; Hundefreunde beim Hunde-Consultant gerade das Gegenteil, nämlich die straffe Leinenführung; Rosenzüchter holen sich Düngetipps vom Pflanzen-Coach. Die Consultants selbst lassen sich natürlich auch beraten, die Coaches lassen sich coachen. Das heißt dann zwar Supervision, aber bezahlen darf man auch dafür.

© SZ vom 18.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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