Beispiel 3:Keine Scheu vor Selbstständigkeit

Lesezeit: 2 min

Christine Demmer

Udo Künz ist Diplom-Volkswirt. Nach dem Studium arbeitete er in der Marktforschung eines Investitionsgüterkonzerns und zuletzt neun Jahre in leitender Position im Marketing einer internationalen Unternehmensberatung bei Frankfurt. Vor zwei Jahren, da war er 48, sortierte sich die Beratungsfirma mit Tausenden von Mitarbeitern allein in Deutschland komplett um. Und wie für viele seiner Kollegen war in der neuen Organisation für Künz kein Platz mehr.

Udo Künz hat sich mit 50 Jahren mit dem Unternehmertum angefreundet. (Foto: Foto: privat)

Eingeleitet wurde das Kündigungsgespräch mit Worten, die vielen Menschen bekannt vorkommen dürften: "Wir können uns Ihre Position in der derzeitigen Wirtschaftslage nicht mehr leisten." Weil Marketing-Menschen darin geübt sind, ihre Botschaften in wohl formulierte Zeilen zu verpacken, können sie meist auch die Zwischentexte von Fremdbotschaften richtig interpretieren. "Ich war zu alt und zu teuer", sagt Udo Künz.

Kommen sehen hatte er es schon lange. Dennoch fiel der Ehemann einer halbtags tätigen Systementwicklerin ("ein Glück für die Haushaltskasse") und Vater zweier schulpflichtiger Kinder ("für die war es anfangs ein Schock, dass der Papa plötzlich immer zu Hause war") erst einmal in ein tiefes Loch. Finanziell war ihm der Ausstieg zwar einigermaßen vergoldet worden, aber die Zweifel nagten an seinem Können, an der Kompetenz, am Alter, an der ganzen Existenz.

Um eine neue Perspektive zu finden oder zumindest jemanden, der ihm weitere Kontakte eröffnen könnte, besuchte er Vorträge und Seminare, erneuerte die Verbindungen in seinem Netzwerk und traf sich mit zahlreichen Unternehmern und Managern, von denen er gehört hatte, dass sie vielleicht einen Marketing-Experten suchten. An guten Tagen schaffte er etliche Telefongespräche und Bewerbungen, binnen zweier Jahre summiert auf mehr als ein halbes Tausend. Doch es gab auch schlechtere Tage.

Freunde und Kollegen rieten ihm zur selbstständigen Beratertätigkeit. Aber mehr als 20 Jahre Konzerntreue machen einen Entlassenen nicht über Nacht zur risikofreudigen Ich-AG. Udo Künz wollte partout eine neue Festanstellung. "Auf Biegen und Brechen habe ich danach gesucht.

Streckenweise war ich ziemlich unleidlich und wollte nur noch in Ruhe gelassen werden. Das erforderte viel Verständnis von der Familie." Zur Verbesserung des emotionalen und finanziellen Klimas erfand die siebenjährige Tochter Maren ein Brettspiel: Diamanten sammeln.

Grundlegend besser ging es Künz aber erst, als er zu einer neuen inneren Einstellung fand: "Dann mache ich es eben jetzt für mich." Partner auf Zeit wurden gewonnen, Projekte kamen, langjährige Erfahrungen ließen sich anwenden, ein Markenname wurde eingetragen. Künz lernte das selbstständige Arbeiten zu akzeptieren, gewann mit der Zeit sogar Freude daran. So vergingen zwei Jahre. Am Ende war aus dem Konzernmenschen ein Unternehmer in eigener Sache geworden.

Vor kurzem ist Udo Künz 50 Jahre alt geworden. Sein berufliches Netzwerk ist inzwischen stabiler und dichter als je zuvor. Längst sitzt er nicht mehr hadernd zu Hause, sondern trifft Kunden und Geschäftspartner, recherchiert und besorgt sich neue Aufträge - sogar vom alten Arbeitgeber.

Die Festanstellung mit einem geregelten Monatseinkommen, Urlaubsanspruch und Firmenwagen ist allerdings Vergangenheit. "Diamanten werden jetzt nur noch auf dem Spielbrett eingesammelt", sagt Udo Künz lächelnd. Soeben schleift er das finale Regelwerk und überlegt, wer die Spielidee umsetzen könnte. Vielleicht wird es ja mal zum "Spiel des Jahres" gekürt, von Marketing versteht der Mann ja eine Menge.

Kürzlich rief bei ihm ein Headhunter an und erkundigte sich nach seinen Plänen. Aber im Gegensatz zu früher stellte sich keine Spur von Aufregung ein. "Man sieht es gelassener", sagt Künz. "Nur für sich selbst und den Kunden verantwortlich zu sein, hat auch seinen Reiz."

© SZ vom 31.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: