Beispiel 2:Bauernhof statt Uni

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Mit der Anwendung von psychologischen Theorien in der Arbeitswelt kennt sich Gerd Wenninger aus. Der promovierte Psychologe hat zu diesem Thema vor 15 Jahren seine Habilitationsschrift an der Technischen Universität München eingereicht. Mit 45 Jahren und nach fast zwei Jahrzehnten in Forschung und Lehre hätte er endlich eine Professur anstreben können. Die nötige fachliche Reputation hatte er, und wie man eine Horde ungeduldiger Studierender bei Laune hält, das wusste er durch seine begleitende Tätigkeit als Trainer und Seminarleiter nur zu gut.

Gerd Wenninger (59 hat dem Uni-Betrieb den Rücken gekehrt und einen Bauernhof gekauft. (Foto: Foto: privat)

Wie oft üblich, wurde Gerd Wenninger zunächst einmal fünf Semester lang Vertretungsprofessor an der Universität Kiel und dann für zwei Semester Gastprofessor in Innsbruck. Parallel dazu übernahm er Lehraufträge an der Fachhochschule München und an der Bergakademie im sächsischen Freiberg. Als er seinen fünfzigsten Geburtstag im Kreise von gleichaltrigen Professoren feierte, witzelte ein Kollege: "Jetzt bist du reif für die Alterskommune." Und man geriet ins Schwärmen über die Schönheiten des einfachen Landlebens.

Die Idee ließ Gerd Wenninger nicht mehr los. Selbst auf dem Land geboren, begann er zu überlegen: Man könnte das Leben in der Natur vielleicht mit einer Tagungsstätte kombinieren, Seminare und Moderationen anbieten, Übernachtungsmöglichkeiten schaffen. "Nicht im Alten verharren, nie aus Angst vor dem Neuanfang in der ungeliebten Umgebung bleiben und nicht zu lange warten", lautet das Motto des geübt schnellen Entscheiders, "sonst vertreibt die normative Kraft des Faktischen die Wahlmöglichkeiten."

So motiviert hielt er Ausschau nach einem Bauernhof auf dem Land und fand ihn schließlich in Bödldorf, einem Weiler in der Nähe von Landshut. Der jüngere Bruder half bei der Finanzierung.

Fortan ackerte Wenninger gleich auf drei Aufgabenfeldern: an der Hochschule als Privatdozent, in der Wirtschaft als freiberuflicher Trainer und auf dem Hof als Leiter einer umfänglichen Baustelle. Dieser Spagat war freilich nicht länger als ein paar Monate durchzuhalten. "Ich war auf dem Weg zu einer gespaltenen Persönlichkeit", sagt der Psychologe mit einem Augenzwinkern.

Deshalb hängte er die Privatdozentur und den Beamtenstatus an den Scheunennagel und konzentrierte sich auf das neue Geschäft.

"Ich erntete viel Anerkennung für diesen Schritt in doch recht hohem Alter. Manche Kollegen hielten mich allerdings auch für verrückt", sagt Wenninger. Nicht nur, dass er in den Pausen zwischen Umbau und Trainings viel las, nein, er schrieb auch weiterhin wissenschaftliche Bücher und gab sie heraus, zum Beispiel das größte deutschsprachige Lexikon der Psychologie.

Seit er sich 1987 im Stillen an einem Verlag beteiligt hatte, lagen ihm Bücher richtig am Herzen - auch die Geschäftsbücher des Verlages. Dessen Zahlen trudelten bis 1999 immer stärker in den roten Bereich, weshalb der Privatdozent-Trainer-Autor-Seminarveranstalter mit 55 Jahren zusätzlich die Geschäftsführung eines psychologischen Fachbuchverlages übernahm und ihn mit inzwischen 250 Titeln wieder aufbaute. Getreu der Forderung "Give Psychology Away" des berühmten amerikanischen Psychologen George Miller hat er sich auf anwendungsorientierte Sachbücher und Selbsthilfe-Ratgeber für Laien und Menschen in Helferberufen spezialisiert.

Etwas vergessen? Ah ja, Hotelier ist Gerd Wenninger auch noch. Sein mittlerweile umgebauter Vierseithof beherbergt nicht nur Hochlandrinder, Ziegen und Katzen, sondern auch Übernachtungsgäste, die Seminare in einem der drei Themenbereiche Teamführung, Persönlichkeitsentwicklung und Verhaltenstraining buchen können. Die wundern sich höchstens ein bisschen, wenn er in den Trainingspausen die Hoftiere füttert oder im Seminar ein neues Buch in die Höhe hält und verkündet: "Ist gerade aus der Druckerei gekommen."

© SZ vom 31.12.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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