Bafög-Datenabgleich:Doppelt bestraft

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Erst bei der Bafög-Rasterfahndung aufgeflogen und dann vom eigenen Verteidiger abgezockt worden? In Internetforen diskutieren Studenten über ihre Erfahrungen mit Anwälten.

Von Nicola Holzapfel

100 Euro reichen um in den Verdacht des Sozialbetrugs zu geraten. Wer beim Bafög-Datenabgleich mit Zinseinkünften in dieser Höhe auffliegt, braucht unter Umständen einen guten Anwalt. Denn wenn es nicht gelingt, das zuständige Bafög-Amt zu überzeugen, dass beim Antrag für Ausbildungsförderung nicht wissentlich geschummelt wurde, folgt nicht nur in Bayern eine Strafanzeige.

"Es herrscht eine große Verunsicherung. Für die meisten ist es das erste Mal, dass sie Kontakt zu Polizei und Staatsanwaltschaft haben", sagt Philipp Heinze von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern. Er arbeitet für das GEW-Beratungsteam zum Bafög-Datenabgleich, das eigens einen Internet-Auftritt zum Thema eingerichtet hat (www.bafoeg-datenabgleich.de). Hier empfehlen die Berater erst einmal: "Cool bleiben" und keine Selbstanzeige oder Aussage "ohne vertrauensvolle juristische Beratung" zu machen. Den Gang zum Anwalt halten sie bei Rückforderungen ab 3000 Euro auf jeden Fall für nötig.

Doch viele stellt das vor ein Problem. "Weiß jemand einen guten Anwalt?" fragen Betroffene im Bafög-Forum der GEW. Andere machen gleich einen Termin in einer Kanzlei aus und unterschreiben Verträge, die sie im nachhinein bereuen. "Honorarvereinbarungen sollte man nicht abschließen. Da kommen am Ende Unsummen zusammen", sagt Heinze. "Oft wird ein Stundensatz von mehr als 200 Euro verlangt. Da fühlen sich viele Betroffene ausgenützt. Als Schüler und Studenten, und erst recht wenn sie Bafög zurückzahlen müssen, haben sie ja auch weniger Geld als ein gut verdienender Angestellter oder Unternehmer."

Auf Studenten, die eine Bafög-Rückforderung erreicht, können Gebühren im Verwaltungs- und Strafverfahren zukommen. Während der Widerspruch gegen den Rückforderungsbescheid vom Studentenwerk schließlich vor dem Verwaltungsgericht landen kann, gehen die Fälle auch an die Staatsanwaltschaft, sobald das Studentenwerk Strafanzeige erstattet. Gerade im Straf- und Verwaltungsrecht schließen zwar viele Anwälte Honorarvereinbarungen ab, bei denen der Aufwand nach Stunden zu einem fest gesetzten Honorar abgerechnet wird. Aber es gibt auch Anwälte, die im Bafög-Fall nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) abrechnen. Sie stellen gesetzliche Gebühren in Rechnung, die jeder nachlesen kann (siehe Linkliste am Artikelende).

Bei einem Ermittlungsverfahren, also wenn der Fall bei der Staatsanwaltschaft liegt, fallen hier im ersten Rechtszug insgesamt 675 Euro an (ohne MwSt, und ohne Schreibauslagen und Kopien), wenn der Anwalt vor Gericht erscheint. Wird das Verfahren dagegen eingestellt, kommen insgesamt 445 Euro zusammen. Zusätzlich zu den Gebühren im Strafverfahren kann der Anwalt für das verwaltungsrechtliche Verfahren bei einer Bafög-Rückforderung von beispielsweise 3000 Euro 586,45 Euro (ohne MwSt) abrechnen.*

"Möglich ist auch, eine Pauschale auszumachen, die aber nicht sehr hoch sein darf", sagt Heinze. Er empfiehlt, erst einmal mit dem Anwalt zu sprechen und sich den Vertrag erklären zu lassen, bevor man unterschreibt und sich im vorhinein eine Berechnung über die Höhe der zu erwartenden Kosten geben zu lassen.

Auf der Seite bafoeg-datenabgleich.de empfiehlt die GEW Anwälte aus mehreren Bundesländern. "Wir arbeiten nur mit Anwälten zusammen, die keine Honorarvereinbarung abschließen," sagt Heinze.

Auf was es bei der Suche nach einem Anwalt ankommt, wird auch in Internet-Foren diskutiert. Einige Nutzer haben schlechte Erfahrungen mit einer Münchner Kanzlei gemacht, die Honorarvereinbarungen abschließt. Auf der Webseite bafoeg-opfer.net gibt es eine "Dringende Warnung vor unseriösen Anwälten in München". In einem anderen Beitrag ist die Rede von der "eigenmächtigen Einreichung von Klagen/Widersprüchen gegen den Willen von Mandanten" und einer "Rechnungsstellung nach Gutsherrenart". Nach Meinung der Studierenden stimmen die Stundenabrechnungen nicht mit dem tatsächlich angefallenen Arbeitsaufwand überein. Mehrere haben dem Anwalt daraufhin das Mandat entzogen. Während vergangenen Sommer noch ganz offen und unter der Nennung der betreffenden Kanzlei diskutiert wurde, wird inzwischen kein Name mehr genannt.

Wollen sich hier nur ein paar Mandanten Luft machen, denen die Rechnung zu hoch war? Bei der Rechtsanwaltskammer München kennt man Fälle, in denen Anwälte im Internet ungut wegkommen. "Es kommt vor, dass in Chatrooms Schlechtes über Anwälte erzählt wird", sagt Dr. Wieland Horn, Hauptgeschäftsführer der Rechtsanwaltskammer München, bei der 16.000 Anwälte zusammengeschlossen sind. Meistens gehe das aber von der gegnerischen Seite aus. Dass Mandanten zu solchen Mitteln greifen, sei selten.

Ein Blick auf die Webseite bafoeg-datenabgleich.de zeigt, dass sich auch hier Studenten einst offen über Anwälte geäußert haben. Unter dem Thema "Erfahrungen mit einer Anwaltskanzlei in München" heißt es: "Hier sind mehrere Beschwerden über anwaltschaftliche Gebührenrechnungen nach Beratung wegen Bafög-Rückforderungen eingegangen." Doch lesen kann man die Beiträge nicht, dafür heißt es: "Die bisherigen Texte wurden gelöscht."

Das GEW-Beratungsteam zum Datenabgleich bietet an, Beschwerden nachzugehen. "Das geht aber nur in Verbindung mit den Betroffenen", sagt Heinze. "Sie müssen selbst Anzeige erstatten. Aber viele sind sehr eingeschüchtert und wollen nicht weiter vorgehen." Überhaupt hat er festgestellt, dass viele "große Ehrfurcht" vor Anwälten haben. "Dabei ist zum Beispiel eine Rechnung über 5000 Euro auf jeden Fall prüfungswürdig".

Wer sich mit seinem Anwalt nicht über die Rechnung einigen kann, kann sich an die zuständige Rechtsanwaltskammer wenden. Bei Beschwerden werden hier formale Fehler überprüft.

"Eine Beschwerde als solche sagt noch nichts", sagt Wieland Horn von der Rechtsanwaltskammer München. Hier gehen im Jahr etwa 2500 Anfragen von Bürgern ein, von denen sich 80 Prozent mit einer Auskunft erledigen. Nur etwa 20 Prozent der Fälle kommen in die Abteilungen für Berufsrecht. "Gravierende Verstöße, die schließlich vor der Berufsgerichtsbarkeit landen, sind selten", sagt Horn. Von den Fällen, die an die Abteilungen Berufsrecht gehen, werden etwa die Hälfte nach Ermittlung eingestellt.

Wer seine Rechnung inhaltlich prüfen lassen will, muss vor Gericht gehen. Bei Honorarvereinbarungen mit Stundenaufstellung muss der Anwalt beweisen, dass die aufgeschriebenen Stunden tatsächlich angefallen sind.

Während sich in München manche der Studierenden, die beim ersten Bafög-Datenabgleich aufgeflogen sind, überlegen, welche Schritte sie gegen ihren eigenen Anwalt unternehmen sollen, geht die Rasterfahndung weiter. Dem Studentenwerk München liegen bereits die Namen der Bafög-Empfänger des Jahres 2002 vor, die möglicherweise in ihren Anträgen falsche Angaben gemacht haben. Heinze geht davon aus, dass es einige neue Fälle geben wird, in denen Studenten die Ausbildungsförderung zurückzahlen und mit Strafanzeigen rechnen müssen. Viele werden dann einen Rechtsbeistand suchen. Für Anwälte gibt es in Bafög-Angelegenheiten also weiterhin viel zu tun.

*Bei der Berechung der Kosten für das straf- und verwaltungsrechtliche Verfahren wurde jeweils mit einer Mittelgebühr von 1,3 gerechnet. In allen Beispielen wurde noch nicht die Mehrwertsteuer dazugerechnet. Auch Schreibauslagen und Kopien wurde noch nicht eingerechnet. Berechnungen nach RVG.

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