Bafög-Betrug:Späte Gratwanderung

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Wie Studentenwerke und Studenten mit dem Bafög-Skandal umgehen.

Marco Finetti

(SZ vom 17.6.2003) Dass die Aktion lief, und das seit Monaten und überall in der Republik, das wussten sie; sie waren selber ja daran beteiligt, die einen als Ausführende, die anderen als Betroffene. Vielleicht aber ahnten sie schon, was da auf sie zukommen würde, und schlugen deshalb nicht den Alarm, der eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Nun, da die Affäre in der Welt ist, müssen sie Stellung beziehen. Was einer heiklen Gratwanderung gleich kommt.

Auch die Studentenwerke und die Studentenorganisationen sind erstaunt und entsetzt über den offensichtlichen Bafög-Missbrauch, der durch die bundesweite Überprüfung von mehreren Hunderttausend Studenten und Schülern aufgedeckt worden ist.

Ende der Solidarität

Dass, wie die SZ berichtete, Tausende von Bafög-Empfängern in ihren Förderanträgen bewusst eigenes Vermögen falsch angegeben oder verschwiegen und dadurch Dutzende Millionen Euro zu Unrecht erhalten haben, löst etwa bei Hans-Dieter Rinkens Empörung aus: "Das Verschweigen von Vermögen kann bei Bafög-Empfängern ebenso wenig geduldet werden wie bei Bürgern, die zur Abgabe von Steuern an die staatliche Gemeinschaft verpflichtet sind", erklärt der Präsident des Deutschen Studentenwerks (DSW), dem die örtlichen Studentenwerke mit ihren Bafög-Ämtern angehören.

In den Ämtern, die von Bund und Ländern zu dem groß angelegten Datenvergleich mit dem Bundesamt für Finanzen verpflichtet wurden, ist von "entsetzlichen Ergebnissen" die Rede und von "Vorgängen, bei denen jedes Verständnis aufhört". Und auch der studentische Dachverband fzs (Freier Zusammenschluss von StudentInnenschaften) findet deutliche Worte angesichts von Kommilitonen, die 10.000 Euro und mehr abkassierten: "In solchen Fällen hört unsere Solidarität natürlich auf", sagt Vorstandsmitglied Heiner Fechner.

Alle in Misskredit gebracht

Hinter diesen und ähnlichen Reaktionen steht freilich nicht nur die Einsicht, dass es sich bei den aufgedeckten Fällen um ausgemachten Sozialbetrug handelt, der nicht wegdiskutiert werden kann. Bafög-Ämter und Studentenverbände haben auch erkannt, wie sehr die Affäre alle Bafög-Empfänger in Misskredit bringen kann - und wie sehr sie all denen Tür und Tor öffnet, die schon immer viel unbefangener über die Ausbildungsförderung oder auch über Studiengebühren reden will.

Schon wird etwa beim Studentenwerk die Sorge laut, dass die Kritik an der mangelhaften finanziellen Förderung der Studenten oder die Bedenken gegen Gebühren künftig weniger ernst genommen werden, weil es eben Studenten waren, die den Staat und die Steuerzahler regelrecht abzockten.

Was sich verbietet

So gehen denn alle auf deutliche Distanz zu den Bafög-Betrügern. Zugleich aber sind sie bemüht, diese als Minderheit darzustellen - oder aber als Opfer der Politik. Die meisten, die bei der Überprüfung aufgefallen seien, hätten unwissentlich falsche Angaben gemacht, weil die Antragsformalitäten zu kompliziert und zu viele Ausnahmen und Umgehungen möglich seien, betonen die Bafög-Ämter. "Jetzt pauschal alle Geförderten zu kriminalisieren, verbietet sich deshalb", so DSW-Präsaident Rinkens.

Der fzs sieht das Hauptübel in den "völlig unrealistischen gesetzlichen Anforderungen" beim Bafög. So seien die Vermögensgrenzen, die Empfänger nicht überschreiten dürfen, mehr als zwei Jahrzehnte unverändert gewesen - und mit 6000 Mark so niedrig, "dass selbst Bafög-Berater vor falschen Angaben über die tatsächlichen Vermögensverhältnisse nicht abgeraten haben", so Heiner Fechner.

Keine kleinen Fische

Der Skandal selbst nimmt unterdessen immer größere Dimensionen an. In Nordrhein-Westfalen hat nach vorläufigen Angaben des Wissenschaftsministerium etwa jeder vierte Bafög-Empfänger zu Unrecht Beihilfen erhalten.

Insgesamt wurden bislang alleine in NRW von Studenten und Schülern 16 Millionen Euro Bafög zurückgefordert - und größtenteils auch bereits zurückgezahlt. In jedem dritten Fall lag die Rückforderungssumme bei mehr als 5000, in jedem achten Fall sogar bei mehr als 10.000 Euro. "Zusätzlich als Skandal zeigt sich also, dass es sich sehr häufig gar nicht um so genannte kleine Fische handelt", kommentiert Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft (SPD).

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