Bafög-Betrug:"Nicht jeder ist ein Krimineller"

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Als Bafög-Empfänger 200.000 Euro auf der hohen Kante? Oder war es Omi, die was für den Enkel ansparen wollte? So verschieden die Gründe sind, warum Schüler und Studenten Geld zurückzahlen müssen, so unterschiedlich gehen die Länder mit den Vorfällen um.

Von Corinna Nohn

Insgesamt 226 Millionen fordern Bund und Länder von rund 40.000 Bafög-Empfängern zurück — sie hatten zu Unrecht einen Zuschuss vom Amt für Ausbildungsförderung erhalten.

Studenten im Audimax der Technischen Universität Darmstadt. (Foto: Foto: dpa)

Mit welchen Folgen die Betroffenen rechnen müssen, hängt davon ab, in welchem Bundesland sie die Schule besuchen beziehungsweise studieren und welche juristische Linie die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft vertritt.

Dabei versichern die Wissenschafts- und Kultusministerien auf Nachfrage zumeist, dass ihre Handhabung der Dinge sicherlich nicht gravierend vom Handeln der übrigen Länder abweiche.

Gibt man beim Bafög-Antrag das Vermögen falsch an und kommt nur deshalb in den Genuss von Förderungsleistungen, liegt zunächst gemäß Bundes-Ausbildungs-Förderungs-Gesetz eine Ordnungswidrigkeit vor. Darüber hinaus kann die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob es sich auch um Betrug im Sinne des Strafgesetzbuchs handelt.

Ein "echtes Problem" im öffentlichen Dienst

Im Betrugsfall drohen den "Bafög-Betrügern" strafrechtliche Konsequenzen wie zum Beispiel ein Eintrag ins Vorstrafenregister. Diejenigen, die eine Beamtenlaufbahn oder einen Berufsweg im öffentlichen Dienst einschlagen wollen, haben dann ein "echtes Problem", wie auch der stellvertretende Geschäftsführer des Studentenwerks Oldenburg, Ted Thurner, weiß. Eventuell können sie nicht nur ihre Karriere, sondern jegliche Chance auf eine Arbeit im gewünschten Bereich abschreiben.

Um die Staatsanwaltschaft milde zu stimmen, beeilten sich viele Studenten, die Schulden beim Studentenwerk zu tilgen oder erstatteten sogar Selbstanzeige. Andere bemühen sich zu beweisen, dass sie nichts von ihrem Vermögen wussten und deshalb nicht mit Vorsatz handelten — zum Beispiel, weil die Eltern Geld auf ihren Namen angelegt hatten.

Nicht immer ist man mit dieser Taktik erfolgreich. Und wenn es auch gelingt, den Verdacht abzuschütteln, man hätte vorsätzlich gehandelt — im Zweifelsfall droht den Eltern ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung.

Ermittlungen unterschiedlich weit fortgeschritten

Ein direkter Vergleich, wie die Länder mit den "Betrügereien" umgehen, fällt schwer, weil die Untersuchungen überall unterschiedlich weit fortgeschritten sind: Manche Länder haben erst die Jahre 2000 oder 2001 überprüft, während andere schon die Daten von 2002 abgeglichen haben.

Auch sammelt nicht jedes Land die Daten an zentraler Stelle, so dass in manchen Ländern nur Zahlen für Studierende, in anderen Ländern für alle Bafög-Empfänger vorliegen. Generell scheinen die südlichen Bundesländer besonders streng gegen die sündigen Schüler und Studenten vorzugehen.

Beim Datenabgleich für das Jahr 2001 erregten in Baden-Württemberg 47.675 Schüler und Studenten Verdacht, ungerechtfertigt Ausbildungsförderung bezogen zu haben. 7463 Schüler und Studenten mussten tatsächlich Rückzahlungen leisten: Von 16,7 Millionen sind bis September dieses Jahres bereits 12,1 Millionen zurückgeflossen.

In Fällen mit geringer Schadenshöhe wurden die juristischen Verfahren, teilweise unter bestimmten Bedingungen, eingestellt. Ging es jedoch um eine Schadenssumme von mehr als 500 Euro, wurde Strafbefehl beantragt oder Anklage erhoben, bei Schäden von mehr als 6000 Euro sogar mit dem Ziel einer Freiheitsstrafe. Insgesamt landeten 1253 Fälle beim Staatsanwalt.

Bayern hat bisher in 8000 Fällen Geld zurückgefordert — 6000 Studenten und 2000 Schüler sind betroffen. Weitere 2000 Fälle müssen noch geprüft werden. Dass inzwischen die Zahl der Erstsemester, die Bafög beantragen, um zehn Prozent gesunken ist, wertet das Wissenschaftsministerium als Konsequenz und als Erfolg der Überprüfungen. Für die nächsten zwei Jahre sind deshalb insgesamt 14 Millionen Euro weniger Ausbildungsförderung im Staatshaushalt eingeplant.

Mit der Annahme, dass die Zahl der Förderungsbedürftigen sinken wird, vertritt das Land ebenfalls eine Sonderposition: Denn auch, wenn sowohl die Zahl der Studenten als auch der Studienanfänger bundesweit gesunken ist, rechnen das Bundesbildungsministerium und die anderen Länder damit, dass die Zahl der Studenten, die Anspruch auf Bafög haben, weiter ansteigt.

Anke van Kempen, Sprecherin des Studentenwerks München, sieht im studentischen Bereich insgesamt keinen signifikanten Rückgang bei der Anträge. Lediglich bei den Erstsemestern könne das Werk, das 15 Hochschulen in Oberbayern betreut, zehn Prozent weniger Anträge feststellen.

Zudem hat der Freistaat den Ruf weg, besonders hart gegen die Bafög-Schwindler vorzugehen: Jeder Fall wird an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Bislang kam es regelmäßig zu Geldstrafen von 30 bis zu 270 Tagessätzen.

Berlin hat schon den Datenabgleich der Jahre 2000 bis 2002 abgeschlossen: Dabei gerieten 4909 Studenten unter Verdacht, zu Unrecht Förderung erhalten zu haben. 2518 von ihnen mussten tatsächlich Rückforderungen in Höhe von insgesamt 12,9 Millionen Euro leisten, wovon 10,1 Millionen bereits zurückgeflossen sind. 254 Studenten erhielten Bußgeldbescheide, und ein Fall landete bei der Staatsanwaltschaft. Über Schüler liegen keine Angaben vor.

In Brandenburg müssen 2455 Studenten und Schüler für die Jahre 2000 bis 2002 Bafög zurückzahlen. Von insgesamt acht Millionen an Rückforderungen sind schon sechs Millionen zurückgeflossen. Gegen 65 Auszubildende wurde wegen Betrugs ermittelt. In den bisher abgeschlossenen Fällen erhielten die Empfänger Geldstrafen von bis zu 90 Tagessätzen. Sie gelten damit als vorbestraft.

400 Bremer Studenten, die 2000 oder 2001 aufgefallen sind, müssen insgesamt 1,2 Millionen Euro zurückzahlen — teilweise nur 100 Euro, manchmal auch 30.000 Euro. Außerdem wurden Bußgelder verhängt.

Hamburg hat schon die Prüfung der Jahre 2000 bis 2002 abgeschlossen. Von 8000 Studenten, die durchschnittlich Bafög erhalten, müssen 1261 insgesamt 6,24 Millionen Euro an Land und Bund zurückerstatten — 4,61 sind bereits zurückgeflossen. 207 Studenten haben allerdings Widerspruch eingelegt, und 19 Studenten geklagt.

In 477 Fällen leitete das Studentenwerk ein Bußgeldverfahren ein, und bei 17 Studenten nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf. "Sicherlich gehen die Schummeleien zurück, seitdem wir mit dem Datenabgleich angefangen haben. Es spricht sich herum, dass sich der Betrug nicht lohnt", meint Sabine Neumann vom Wissenschaftsressort des Hamburger Senats.

"Das Bafög-Amt ist kein Selbstbedienungsladen, so viel muss klar sein. Aber nicht jeder, der zurückzahlen muss, ist ein Krimineller", stellt Neumann klar.

In Hessen geriet 2001 etwa jeder zehnte Geförderte unter Verdacht, zu Unrecht Bafög bezogen zu haben: Von den 3036 Studenten und 841 Schülern, deren Vermögen genauer überprüft wurde, mussten schlussendlich 2013 Studenten und 480 Schüler Rückzahlungen leisten. Von insgesamt 12,2 Millionen Euro sind bereits 8,4 Millionen zurückgeflossen. Die Fälle von 225 Studenten und eines Schülers landeten bei der Staatsanwaltschaft.

Von durchschnittlich 18.500 Auszubildenden, die in Mecklenburg-Vorpommern Förderung erhalten, fielen in den Jahren 2000 bis 2002 insgesamt 1509 Schüler und 2483 Studenten wegen hoher Freistellungsaufträge auf. Zu Unrecht hatten allerdings lediglich 526 Schüler, beziehungsweise 1170 Studenten Bafög bezogen.

Insgesamt hat das Land rund 1,2 Millionen Euro von Schülern und 4,5 Millionen Euro von Studenten zurückgefordert, wovon bereits 950.000 beziehungsweise drei Millionen Euro geleistet worden sind. Besonders gravierende Fälle sind dem Wissenschaftsministerium nicht bekannt. Die zuständigen Ämter habe man jedoch aufgefordert, Fälle mit Verdacht auf Betrug an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten.

In Niedersachsen werden lediglich die Fälle an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, in denen die Schadenshöhe 4000 Euro übersteigt. Ted Thurner vom Studentenwerk Oldenburg weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass auch geprüft werde, was hinter den einzelnen Fällen stecke: "Oft haben ja tatsächlich die Oma oder die Eltern etwas auf den Namen des Nachwuchs angespart." Diejenigen, die Geld zurück zahlen müssen, könnten eine Ratenzahlung mit dem Land vereinbaren.

Insgesamt haben in Niedersachsen 2609 Studenten im Jahr 2000 ihren Zuschuss unrechtmäßig erhalten — das ist etwa jeder zehnte studentische Bafög-Empfänger. 394 von ihnen erhielten ein Bußgeld. "Mittlerweile gehen die Staatsanwaltschaften allerdings sicherlich strenger gegen die Schwindler vor — es ist ja seit langem bekannt, dass wir alle verdächtigen Fälle überprüfen", fügt Thurner hinzu. Auch Niedersachen rechnet damit, dass die Anzahl der Antragsteller für Bafög weiter ansteigt.

Durchschnittlich 112.000 Studenten in Nordrhein-Westfalen erhalten die staatliche Förderung. Bei der Überprüfung der Jahre 2000 und 2001 gerieten 16.700 von ihnen unter Verdacht, unrechtmäßig Bafög bezogen zu haben. Es sind noch nicht alle Fälle überprüft worden, doch in rund jedem zweiten Fall scheint sich der Verdacht zu bestätigen. Die Summe der bis Ende Juli versandten 7500 Rückzahlungsbescheide beläuft sich auf 28,8 Millionen Euro, von denen 27,3 Millionen prompt zurückerstattet worden sind. 4225 Fälle sind bei der Staatsanwaltschaft gelandet.

Ein Studierender aus NRW erregte besonderes Aufsehen: Obwohl er 200.000 Euro auf der hohen Kante hatte, kassierte er den vollen Bafög-Satz. Der Fall trug dazu bei, dass allerorts nur noch von Bafög-Betrügern die Rede war, die schamlos den Staat ausnutzen. Doch in NRW will man von einer solchen Pauschalisierung nichts wissen. Ganz im Gegenteil, man begrüße jeden neuen Antrag — von denen es reichlich gibt. Denn auch NRW meldet steigende Zahlen und musste für das laufende Jahr einen Nachtragshaushalt verabschieden, um die Förderung zu finanzieren.

In Rheinland-Pfalz geriet beim Datenabgleich 2001 weniger als jeder zehnte der rund 25.000 Geförderten in Verdacht, sich den Zuschuss erschwindelt zu haben. Von 957 Verdachtsfällen im Sekundärbereich sind bereits 785 Fälle abgeschlossen. Bei 483 Schülern bestätigte sich der Verdacht — sie müssen 1,3 Millionen zurückzahlen, von denen 925.000 schon abgeleistet sind.

Von 3365 Studenten, deren Anträge überprüft werden, sind 1290 Fälle abgeschlossen, von denen 964 Rückzahlungen leisten müssen: Insgesamt 4,4 Millionen Euro (2,7 Millionen sind schon zurück geflossen). Die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft entscheidet hier, ob sie den Fall strafrechtlich verfolgt.

Im Saarland hatten 1400 Studenten in den Jahren 2000 bis 2002 ihr Vermögen nicht korrekt angegeben, und 1000 von ihnen mussten Geld zurückzahlen. Von den zurückgeforderten 2,5 Millionen Euro stehen lediglich 300.000 Euro aus. Auch hier können die Studenten bei hohen Beträgen ihre Schulden in Raten tilgen.

Sachsen hat Gelder in Höhe von 20 Millionen Euro zurückgefordert — die zurückzuzahlenden Summen lagen zwischen wenigen hundert und mehr als 10.000 Euro. Wer den Rückzahlungsbescheid erhielt, hatte vier Wochen Zeit, das Geld zurückzuzahlen. 4400 Schüler und Studenten mussten zudem Bußgelder begleichen, während etwa jeder 100-ste Fall an die Staatsanwaltschaft weitergegeben wurde. In Zukunft müssten Betroffene bei unterschlagenem Vermögen jedoch häufiger mit Strafanzeigen rechnen, sagte der Leiter des Landesamts für Ausbildungsförderung in Chemnitz, Joachim Glöckner, der Sächsischen Zeitung.

Sachsen-Anhalt hat schon die Jahre 2000 bis 2002 überprüft. Seit Beginn der Überprüfung scheinen immer weniger Geförderte eine falsche Vermögensangabe zu riskieren: Mussten im Jahr 2000 1635 Fälle von insgesamt 15.081 Geförderten neu berechnet werden, so waren es 2001 lediglich 479 von 23.849 und 2002 nur mehr 320 von 24.574 Fällen.

Die Rückforderungen der ersten beiden Jahre (2000: circa vier Millionen Euro, 2001: 1,1 Millionen Euro) sind bereits vollständig zurückgeflossen. Von 654.763 Euro für das Jahr 2002 sind bis Ende Juli diesen Jahres schon 481.577 Euro geleistet worden. 2001 wurden 257 Bußgeldverfahren eingeleitet und vier Fälle an die Staatsanwaltschaft abgegeben, im darauffolgenden Jahr waren es 145 Fälle.

Ein weiteres Land, in dem die Auszubildenden relativ ehrlich zu sein scheinen, ist Schleswig-Holstein: Von rund 16.000 Geförderten hatten 2001 und 2002 lediglich 900 Schüler und Studenten bei ihren Vermögensangaben geschwindelt. Insgesamt mussten drei Millionen Euro zurückgezahlt werden.

Schließlich gilt auch Thüringen als ein Land, das streng gegen die sündigen Auszubildenden vorgeht — zumindest, wenn man sich in Foren wie bei www.studis-online.de umsieht. Konkrete Angaben kann das Kultusministerium aber keine machen: In den Jahren 2000 bis 2002 seien 14.000 Fälle überprüft worden, von denen 300 bei der Staatsanwaltschaft gelandet seien. Über konkrete Entscheidungen der Gerichte sowie über die Höhe der Rückzahlungssumme lägen keine Informationen vor, so ein Sprecher des Ministeriums.

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die Daten auf den Stand vom 31.7.2004.

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