Aus dem Arbeitsalltag eines Fondsmanagers:Der Milliardenjongleur

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Er soll das Geld der Sparer vermehren und muss klüger sein als der Markt - warum in Henning Gebhardts Job Gespür wichtig ist und Gefühl fehl am Platz.

Thomas Öchsner

(SZ vom 28.8.2001) Frankfurt, im August-Henning Gebhardt hat nie viel Zeit. Ein paar Sekunden nur nimmt er sich für die kleine Holzskulptur aus Indonesien, aber man spürt, dass sie ihm wichtig ist. Eine Art Torso in Denkerpose, den der Fondsmanager jetzt behutsam von seinem Schreibtisch hochhebt. Ein Mensch, der seinen Kopf mit der Hand abstützt, aber da wo der Rumpf sein müsste, klafft ein Loch. Der Bauch fehlt. "Nachdenken, einen kühlen Kopf bewahren und nicht aus dem Bauch handeln - darauf kommt es an", sagt Gebhardt und stellt die Skulptur wieder auf ihren Platz zurück.

Wer den 34-jährigen Mann bei seiner täglichen Arbeit über die Schulter schaut, der kann sich ungefähr vorstellen, welche Kraft es ihn kosten mag, sich an sein selbst gewähltes Motto zu halten. Als Henning Gebhardt am Morgen gegen acht Uhr ins Büro kommt, sind seit dem Vorabend 86 E-Mails aufgelaufen. Bis zum Abend, um kurz nach sieben, werden es 192 sein. "So um die 200 ist die Tagesration", sagt der Fondsmanager.

Gebhardt arbeitet mit dem Geld von Hunderttausenden Sparern, um es zu vermehren. Derzeit haben 7,48 Millionen Bundesbürger mehr als 800 Milliarden Mark in Investmentfonds gesteckt. Wegen des Kurssturzes an den Börsen ist die Zahl der Fondsbesitzer in diesem Jahr um über eine Million gestiegen. Zu viele Anleger haben mit einzelnen Aktien von Unternehmen wie EM.TV oder Telekom Geld verloren, immer mehr vertrauen ihr Erspartes lieber Fachleuten an, wie Gebhardt einer ist.

"Irgendwas wichtig?"

Sechs Aktienfonds managt der Diplom-Kaufmann, darunter den Investa. Der 1956 aufgelegte Fonds gehört zu den ältesten, erfolgreichsten und größten deutschen Aktienfonds, entsprechend riesig sind die Ansprüche an den jungen Mann: Der Investa hat in den vergangenen 35 Jahren den Anlegern jedes Jahr im Durchschnitt einen stattlichen Gewinn von zehn Prozent beschert. Aber mit solchen Gedanken kann sich Gebhardt jetzt erst einmal gar nicht groß belasten, schon deswegen nicht, weil sein Telefon ständig klingelt.

Immer wieder schaut er, wenn er redet, auf das Display des Geräts, das die Nummern der Anrufer anzeigt. Nur selten nimmt er den Hörer ab. Lange kann er nicht überlegen, mit wem er sprechen will, denn nach dem vierten Klingeln landen die Anrufer, meist Analysten verschiedener Banken aus Frankfurt, München oder London, auf seinem Anrufbeantworter. Wenn Gebhardt telefoniert, dann nur in abgehackten Sätzen. "Irgendwas wichtig?", fragt er oder "habt ihr sonst was?" Nach kurzem Hinhören sagt er knapp "okay" oder "alles klar."

Man spricht Börsendeutsch

Es ist ein Team der unterschiedlichsten Nationalitäten, das hier im Großraumbüro der DWS, der größten deutschen Investmentfonds-Gesellschaft, die Milliarden der deutschen Anleger dirigiert. 39 Aktien-Fondsmanager arbeiten in der Frankfurter City für die Deutsche-Bank-Tochter DWS, darunter ein Finne, eine Irin, mehrere Briten und Asiaten. Die Fondsmanager duzen sich. Gesprochen wird Börsendeutsch, ein mit Anglizismen gespickter Code, in dem es von "Admin- Kosten" (Verwaltungsausgaben) oder "Blue Chips" (Standardwerte) nur so wimmelt.

Jeden Tag wird Gebhardt daran gemessen, ob sich der Investa-Fonds besser entwickelt als der Deutsche Aktienindex (Dax), der den Kursverlauf der 30 wichtigsten deutschen Aktien widerspiegelt. Der Fondsmanager muss also besser und klüger sein als "der Markt", als all die anderen Fonds, die Banken, Versicherungen und Privatanleger.

Diesen täglichen Wettlauf mit dem Dax zu gewinnen ist alles andere als einfach. Einerseits sollen Gebhardt und seine Kollegen vorher erahnen, welche Aktien in Zukunft steigen oder fallen. Andererseits sind sie Gefangene des Marktes. Einerseits hält er Gefühle an der Börse für gefährlich. Andererseits sagt Gebhardt: "Sich der allgemeinen Stimmung zu entziehen, geht einfach nicht. Wenn jeder nur noch Horrorgeschichten erzählt, glauben Sie irgendwann auch daran."

Stückchen für Stückchen

Etwa sieben Milliarden Mark an Anlagekapital stecken im Investa. Eine Summe mit neun Nullen. Wenn die Anteilsscheine an einem schlechten Börsentag nur zwei Prozent an Wert verlieren, ist das Vermögen der Investa-Anleger schon um ganze 140 Millionen Mark geschrumpft.

Dächte Gebhardt ständig daran, um wie viele Millionen er heute das Vermögen der Anleger verringert oder vermehrt hat, lastete noch größerer Druck auf ihm. Entscheidet der Fondsmanager, Aktien zu verkaufen oder zu kaufen, überlegt er nur, ob es geht oder nicht.

Um das zu verstehen, muss man sich den Investa am besten wie einen Supertanker vorstellen. Ändert der Kapitän zu abrupt seinen Kurs, löst er unerwünschte Wellen an der Börse aus. So könnte Gebhardt nicht einfach sämtliche Aktien des Chemiekonzerns Bayer abstoßen, weil das Unternehmen durch den Lipobay-Skandal in Verruf geraten ist. "Dadurch würden wir den Kurs so herunterdrücken, dass wir uns selbst schaden", sagt Gebhardt. Kaufen und Verkaufen geht immer nur Stückchen für Stückchen, wobei so ein Stückchen normalerweise einen Wert von vier bis 20 Millionen Mark hat.

Rot oder grün

Das Führerhaus des Investa-Kapitäns fällt für einen Mann, der Milliarden verwaltet, ziemlich bescheiden aus. Sein Kontrollzentrum ist ein Schreibtisch, ein Reich mit drei Bildschirmen. Ganz links kann er sich mit einem Mausklick durch sämtliche TV-Börsenkanäle zappen. In der Mitte bekommt er alle Informationen über seine Fonds und wie sie sich im Vergleich zum Markt entwickeln. Verliert eine der gut 30 Aktien im Investa mehr als drei Prozent, wird der Kurs in einem weinroten Fenster angezeigt. Gewinner von über drei Prozent sind grün.

Auf dem Bildschirm rechts kann er seine E-Mails abrufen, im Internet recherchieren und die Aktienhändlerin mit den schwarz gelockten Haaren im fernen Handelsraum der Deutschen Bank betrachten, wenn sie beim Telefonieren mit den Fingern durch ihr schwarzes Haar fährt. Gebhardt sagt, er mag es, dass diese Gespräche per Video übertragen werden. "Ich schaue den Leuten gerne ins Gesicht. Ich bin dann ruhiger."

Unerwarteter Ausbruch

Vielleicht auch konzentrierter. So wirkt er jedenfalls, der Milliardenverwalter. Sein Blick ist hellwach, geübt, die Zahlen, Kurse und Säulen auf den Bildschirmen nach Signalen abzutasten, die ihm eine schnelle Reaktion abverlangen könnten. Gebhardt antwortet kurz und prägnant, ohne die Tonlage zu verändern. Auch seine sparsame Gestik signalisiert, dass da einer ganz unaufgeregt zu Werke geht. Als Gebhardt ein einziges Mal mit den Fingern auf den Tisch klopft, schreckt der Besucher nach solch einem unerwarteten Gefühlsausbruch fast ein wenig zusammen.

Die Frage, wie es ein Fondsmanager denn schaffe, mit so vielen E-Mails zurecht zu kommen, scheint ihn herauszufordern. Sofort klickt er die Liste mit den elektronischen Briefen an und beginnt zu löschen. "Das brauche ich nicht, das betrifft mich nicht, das interessiert mich nicht. Das geht superschnell und schon habe ich 24 weniger." Zweifel, er könnte in dieser Flut aus Analysten-Empfehlungen, Unternehmensmitteilungen oder Branchen-Studien untergehen, will er erst gar nicht aufkommen lassen. Trotzdem belastet ihn das, was er den "Informations-Overkill" nennt. "Es wird immer mehr. Sie haben immer etwas zu lesen. Sie sind nie fertig." Nein, noch träume er nachts nicht von Aktien - auch jetzt nicht, da die Kurse an der Börse eher fallen als steigen.

Harte Zeiten

Seit 18 Monaten geht es nun schon abwärts an den Aktienmärkten, und keiner weiß, wann die so genannte Trendwende kommt. Auch an diesem Tag nicht. Die Fondsmanager treffen sich wie immer um 10.30 Uhr zu ihrem täglichen "Morning-Meeting", diskutieren darüber, wann die Talsohle erreicht sein könnte. Einer berichtet von den Frachtraten im Hafen von Los Angeles, die derzeit "sehr, sehr niedrig" seien. Dies könnte, so meint er, ein Hinweis darauf sein, dass das Weihnachtsgeschäft schlechter ausfallen werde.

Ein anderer meint, dass man auch von den Steuersenkungen in den USA nicht zu viel erwarten dürfe. Er habe erfahren, dass die US-Bürger mit den Schecks der Finanzämter das Minus auf ihren Kreditkartenkonten ausglichen. Es geht dann noch um die Telekom- Aktie und die Geschäftszahlen der Commerzbank und von Aixtron, und der Chef des Managerteams, Klaus Martini, sagt, "die harten Zeiten sind wohl erst einmal noch nicht vorbei."

Vor der Kamera

Martini wacht penibel darüber, dass seine Leute im Team arbeiten und dass sich keiner zum Fondsguru in der Öffentlichkeit aufschwingen kann. Deshalb muss bei den Fernsehinterviews für n-tv, CNBC oder Bloomberg-TV, für die sich die Fondsmanager in Seminaren schulen lassen, immer ein anderer vor die Kamera.

Deshalb sitzen Martinis Mitarbeiter, meist Männer um die 30, auch im Großraumbüro. Will Gebhardt einen Kollegen etwas fragen oder hat er einen Auftrag für die Händler, die seine Entscheidungen an der Börse umsetzen, muss er nur ein paar Schritte zum nächsten Schreibtisch gehen und sagen: "Machst du mal 200.000 Bayer fertig?" Der Kollege weiß dann schon, dass er 200.000 Aktien des Chemieriesen verkaufen soll.

Auch wenn viele Entscheidungen im Team fallen, wie etwa der Entschluss, den Anteil der Bayer-Papiere in den DWS-Fonds zu verringern, trägt die letzte Verantwortung der einzelne Fondsmanager. Er kann theoretisch das Gegenteil von dem tun, was der Hausspezialist für eine bestimmte Aktie empfiehlt. Doch praktisch geschieht das nicht: "Ich weiß zwar, was eine Aspirin ist", sagt Gebhardt, aber welche Folgen der Vermarktungsstopp von Lipobay auf das Pharmageschäft von Bayer habe, könnten andere einfach besser einordnen.

Routine-Termin

So machen sich die Fondsmanager auch immer mindestens zu zweit auf den Weg, wenn sie Finanzvorstände von Unternehmen ausquetschen, die bei der DWS fast täglich anrücken, um den Fondsmanagern über die Lage ihrer Unternehmen Rede und Antwort zu stehen.

An diesem Donnerstag fahren Gebhardt und Martini indessen nach Heidelberg, um sich mit dem Vorstandschef des Finanzdienstleisters MLP, Bernhard Termühlen, zu treffen. Es geht mit Tempo 180 über die Autobahn. Martini fährt, Gebhardt hat wie schon zuvor beim Mittagessen das Handy in der Hand, er ruft die Aktienkurse ab. Ein Routine-Termin.

Ob Telekom-Boss Ron Sommer oder Siemens-Chef Heinrich von Pierer - der Fondsmanager hat schon vielen Firmenbossen gegenüber gesessen. Die Treffen, die meist Investmentbanken und Broker wie Goldman Sachs organisieren, dauern etwa eineinhalb Stunden. Mit den "Grillpartys" - so heißen im Fachjargon die Einzelgespräche, die Analysten mit Vorständen führen - haben sie nichts gemein. Die Fondsmanager wollen Fragen stellen, aber niemanden "grillen".

Auch heute hält sich Gebhardt an seine bewährte Taktik, als er sich bei Termühlen vorsichtig erkundigt, ob es denn wirklich keine Universität gäbe, "die MLP noch nicht penetriert hat." Der Finanzdienstleister MLP, der vorwiegend das Geld von Akademikern anlegt, ist erst kürzlich an Stelle der Dresdner Bank nach deren Fusion mit der Allianz in den Dax aufgerückt. Später auf der Rückfahrt sagt Gebhardt dann: "Es hat keinen Sinn, zu aggressiv zu fragen. Da machen die Leute nur zu."

Spielend verdreifacht

Man nimmt ihm diese Zurückhaltung ab. Der 34-Jährige ist keiner, der extra dünn aufträgt, um bescheiden zu wirken. Er sagt, "wir sind hier eher ziemlich normal und bodenständig." Auf seinem Schreibtisch hat er - so wie Millionen andere stolze Väter - ein Foto stehen, auf dem er mit seinem sechs Monate alten Sohn um die Wette lacht.

250.000 bis 400.000 Mark brutto im Jahr kann ein erfahrener Fondsmanager in Deutschland verdienen. Gebhardt, der eher an der oberen, als an der unteren Grenze liegen dürfte, begnügt sich mit einem Audi Kombi ohne Navigationssystem. Und wo legt einer wie er sein Geld an? Überwiegend in DWS-Fonds, sagt er. Seine Familie wohnt in Oberursel und nicht in Kronberg oder Königstein, da, wo sich die Banker niedergelassen haben, die zeigen wollen, dass Geld für sie wirklich keine Rolle mehr spielt. Und er fühlte sich auch eher unwohl, wollten ihn Finanzmagazine zum Fondsguru ausrufen.

In der Blütezeit der Aktieneuphorie in Deutschland galten manche seiner Kollegen als die "Goldfinger", die das Kapital ihrer Kunden spielend verdoppeln oder verdreifachen können. Doch inzwischen entpuppen sich gerade die Stars der Branche, die noch 1999 als "Reichmacher" gefeiert wurden, als Armmacher. Fondsmanager können eben schnell aus großer Höhe zu Boden fallen, wenn die Kurse nicht mitspielen.

Gebhardt bleibt lieber gleich auf dem Boden. Nüchtern sagt er: "Meine Stimmung hängt davon ab, wie meine Fonds performen". Seine Kunst besteht ja gerade darin, die Bestandteile des Fonds-Mosaiks so zusammenzustellen, dass die Anleger möglichst hohe Gewinne erzielen. "Das meiste ist harte Arbeit, man braucht aber auch Glück", sagt Gebhardt und betrachtet wieder einmal versonnen die bunten Säulen auf seinem mittleren Bildschirm, um seine Auswahl zu überprüfen.

Mitleiden, mitfiebern, mit dem Dax aufstehen und mit ihm ins Bett gehen - es gibt Tage, an denen Gebhardt einfach nur erschöpft ist. Dann genehmigt er sich ein paar Stunden Auszeit, räumt Papiere auf oder ordnet die Analystenstudien, die sich auf dem Boden neben seinem Bürostuhl stapeln, in die Hängeregistermappen. "Wenn man schlecht drauf ist, sollte man lieber gar nichts tun, als möglicherweise Schaden anzurichten."

Irgendwann, jedenfalls etliche Jahre vor dem Rentenalter, wird für Henning Gebhardt aber Schluss sein. "Der Verschleiß ist einfach da. Ich mache mir da nichts vor", sagt er. Zumindest dürfte dann so manches Telefonat mit seiner Frau etwas einfacher werden. Neulich hat sie mittags angerufen, als er wieder einmal ziemlich unter Druck stand. Er fragte, ob sie sich vielleicht später noch einmal melden könnte. Seine Frau antwortete: "Ich kann auch nächste Woche anrufen."

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