Arztberuf in der Krise:Wenn die Praxis zum Basar wird

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Bürokratische Fesseln und das Starren auf wirtschaftliche Effizienz haben den Arztberuf stark verändert. Viele Mediziner haben keine Lust mehr auf ihren Beruf.

Werner Bartens

Es ist ein Paradox: In Umfragen nach dem Sozialprestige der Berufe nehmen Ärzte seit Jahrzehnten regelmäßig Platz eins ein. Trotzdem fühlen sie sich permanent kritisiert und missverstanden - von Patienten, den Medien, und von der Politik sowieso.

Frust im Job: Eine Umfrage unter Ärzten ergab, dass fast die Hälfte eine andere Ausbildung wählen würde. (Foto: Foto: AP)

Innerhalb der Ärzteschaft rumort es: Im vergangenen Jahr sind Mediziner streikend auf die Straße gegangen, mit der Gesundheitsreform ist keiner von ihnen zufrieden, und wenn das Gespräch auf ihren Beruf fällt, setzt binnen kurzem die Klage über beengende Fallpauschalen und andere bürokratische Hürden ein.

"Arzt - freudloser Beruf" titelte die Münchener Medizinische Wochenschrift Anfang Mai und benannte mögliche Ursachen: "Endlose Arbeitszeiten, viel Bürokratie, wenig Geld." In einer Umfrage zur Lebensqualität von Ärzten stellten Harald Jurkat und Christian Reimer von der Universität Gießen fest, dass 60 Prozent der befragten Mediziner ständig oder oft unter Zeitdruck litten. Das Befinden der jungen Assistenzärzte ist nach dieser Erhebung sogar noch schlechter als das von chronisch Kranken.

Dass viele Ärzte unzufrieden sind, ist belegt: Eine Umfrage unter Berliner Assistenzärzten ergab, dass - erneut vor die Entscheidung gestellt - fast die Hälfte eine andere Ausbildung wählen würde.

Von Ärzten in Hessen gaben mehr als 50 Prozent an, dass sie dem eigenen Nachwuchs nicht zum Arztberuf raten würden. Eine Umfrage unter niedergelassenen Ärzten in Bayern ergab, dass 78 Prozent ihrer Arbeit "resignativ oder unzufrieden" gegenüberstehen. 36 Prozent dachten schon daran, die Praxis aufzugeben.

Die kritische Selbsteinschätzung des eigenen Berufs hat nicht nur finanzielle Gründe, auch der Wandel der ärztlichen Profession spielt eine Rolle: Nach den Heldenjahren der Medizin zwischen 1950 und 1980 (in dieser Zeit setzten sich Antibiotika, Dialyse, Kernspin, Computertomographie, Herzschrittmacher und Organverpflanzungen durch) müssen viele Ärzte jetzt lernen, dass sie weniger heilen als vielmehr oft nur lindern können.

Die Zahl der chronisch Kranken steigt. Die Zahl derer, die sich krank fühlen, bei denen Ärzte aber keine krankhaften Befunde erheben können, steigt auch. Und die Vorwürfe, die sich Mediziner - trotz ihres hohen Sozialprestiges - von einer kritischen Öffentlichkeit anhören müssen, werden ebenfalls lauter.

Zudem hat der ökonomische Druck in Kliniken und Praxen immens zugenommen. "Die Patient-Arzt-Beziehung wird mittlerweile als ein Faktor in einem industriellen Betriebsablauf eingeordnet", sagt Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt. "Alles ist stark auf wirtschaftliche Effizienz ausgerichtet."

Ärzte fürchten die Sorgen der Patienten

Niedergelassene Ärzte bieten umstrittene Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) an - "die Praxis verkommt zum Basar", wie ein Arzt die Verkaufsmentalität seiner Kollegen tadelt. In Kliniken erstellen kaufmännische Direktoren interne Ranglisten darüber, wie viel welche Patienten einbringen und welche Krankheiten lukrativ sind.

Für Ärzte ist es außerdem ungewohnt, dass Patienten immer mehr Zeit und Informationen einfordern. Fangen Patienten an, über ihre sonstigen Sorgen zu reden, befürchten manche Ärzte, dass ihnen das zu viel Zeit raubt und den Blick auf die medizinischen Probleme verstellt.

Das Gegenteil ist jedoch der Fall - durch eine sorgfältige Erhebung der Krankengeschichte und die körperliche Untersuchung lassen sich 90 Prozent der Diagnosen stellen. Patienten möchten zudem ihre Sicht des Leidens darlegen.

Dass sie dieses Bedürfnis dringend verspüren, zeigt sich auch daran, dass die Deutschen im Durchschnitt 16,3 Mal im Jahr den Arzt aufsuchen - so oft wie keine andere Nation. Doch nach wie vor wird die "sprechende Medizin" von Ärzten wie Gesundheitsbürokraten zu stiefmütterlich behandelt - oder aber die Ärzte sprechen über etwas, das Patienten nicht betrifft.

Auch die Krankenversorgung steht in der Kritik. Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin (DNEbM), das fordert, die besten wissenschaftlichen Beweise in Diagnostik und Therapie einzubeziehen, hat an diesem Montag eine bessere Versorgung angemahnt. Studien zeigen demnach, dass 30 bis 40 Prozent der Patienten nicht die Versorgung bekommen, die der wissenschaftlichen Beweislage entspricht.

Ein Viertel der Patienten erhalten angeblich eine Therapie, die nicht erforderlich oder sogar potentiell schädlich ist. "Hier sind Ärzte aufgerufen, zunehmend Ergebnisse der Evidenz-Forschung zur Richtschnur ihres Handelns zu machen", sagt Edmund Neugebauer, neuer Vorsitzender des DNEbM.

Führende Standesvertreter wehren sich gegen allzu überhöhte Ansprüche an die Medizin. "Wir sind keine Erfüllungsgehilfen", sagt Jörg-Dietrich Hoppe. Und der Vorsitzende der Medizinergewerkschaft Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery, plädiert dafür, den Arztberuf endlich zu entmystifizieren.

© SZ vom 15.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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