Architektur:Bayern bauen britpopulär

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Wie eine gute Idee zwei junge Münchner über Nacht zu Stararchitekten machte.

Von Matthias Eggert

Anne Niemann und Johannes Ingrisch bauen eine Stadt an der Ostküste von England, die eigentlich schon lange im Meer versunken ist. Sie dürfen das, weil sie einen Wettbewerb gewonnen haben.

Angefangen hat alles mit viel Sumpf und viel Ackerland nordöstlich von London, im so genannten East of England. Eine trostlose Gegend, in die sich selten Touristen verirren. Das wollten die Ostengländer ändern und schrieben einen Architekten-Wettbewerb aus, der mit insgesamt 250.000 Pfund dotiert war. Ein "Landmark", ein Wahrzeichen, sollte geschaffen werden. Eines, das die Gegend charakterisiert, mit dem sich die Bewohner identifizieren können, und das Touristen anlockt.

Das renommierte Londoner Architektenbüro Alsop und viele andere namhafte Architekten schickten dazu ihre Vorschläge ein. Und eben Anne und Johannes, beide 28 Jahre alt und aus München. Seit etwa eineinhalb Jahren sind sie mit dem Architekturstudium fertig und gerade dabei, sich mit ein paar Kollegen selbstständig zu machen.

Lustige Bildchen

Die Idee für den Wettbewerb kam ihnen genau sechs Tage vor dem Einsendeschluss: Schon vor vierhundert Jahren versank an der englischen Ostküste die Stadt Dunwich. Das Meer trägt dort jedes Jahr einen Meter Land ab, und verschluckte die Küstenstadt einfach irgendwann. Die sechs versunkenen Kirchen von Dunwich wollten Anne und Johannes wieder aufbauen. Im Original-Maßstab, mit Stahlrohren auf dem Meer, genau an der Stelle, wo die Kirchen einst standen.

Die Zeit wurde dann sehr knapp. Die jungen Architekten zeichneten, sie planten, sie recherchierten, sie blätterten in Wörterbüchern, arbeiteten jeden Tag bis spät in die Nacht und fluchten, warum sie ihre Zeit dafür überhaupt vergeudeten. "Nachdem wir die Zeichnungen dem Kurierdienst gegeben haben, dachte ich nur: Lustige Bildchen, die wir gemacht haben, und bin schlafen gegangen", sagt Anne.

Ende März mussten die Münchner dann nach England, um ihr Konzept vor Ort zu präsentieren. Da waren sie schon unter den letzten zwölf Bewerbern. Am Morgen der Präsentation fragte Anne Niemann noch die Herbergsmutter ihrer Bed- und Breakfast-Unterkunft, wie eigentlich "medieval", also mittelalterlich, richtig ausgesprochen wird.

Einen Tag später hatten die Münchner die Alsop-Architekten und die vielen anderen aus dem Rennen gekickt. Der Wettbewerb war entschieden. Vier Gewinner gab es, und Anne und Johannes waren unter ihnen.

"Ich war zuerst geschockt", sagt Anne. Und dann mussten sie und Johannes reden, sehr viel reden. Anne weiß es noch genau: "Ich gab sechs Interviews und Johannes fünf." Lokale Fernseh- und Radiostationen standen Schlange und auch die BBC. Das Hochglanzmagazin Wallpaper hat ebenfalls schon angefragt. In einer Internetabstimmung der BBC gewann die Dunwich-Idee sogar mit über dreißig Prozent der Stimmen.

Ein Name fehlt noch

Zwei Tage nach dem Medienrummel sitzen Anne und Johannes wieder im Hinterhof der Lindwurmstraße vor ihrem Büro und haben glasige Augen. Die Nacht davor war kurz, sie feierten mit ihren Büro-Kollegen. "Wir werden uns jetzt wohl per Videokonferenz mit den Engländern abstimmen", sagt Anne, als ob sie noch nie anders konferiert hätte - und muss dann doch breit grinsen.

Christian Abicht, 28 Jahre alt und einer der Bürokollegen und Ideengeber an dem Projekt, sitzt daneben, schüttelt den Kopf und sagt. "Ich glaub's nicht. Wenn die das Büro sehen könnten." Zu sehen wären: 50 Quadratmeter, ein paar Tische, ein paar Computer, sonst noch nichts. Bisher hat das hochdotierte Architektenbüro noch nicht mal einen Namen.

Als Nächstes müssen die jungen Architekten eine Machbarkeitsstudie über Dunwich vorlegen - und dann vor allem die Bürger vor Ort überzeugen. Denn die haben Angst, dass in ihre ruhige Gegend die Touristen einfallen, wenn die spektakulären Stahlrohr-Kirchen und das zugehörige Besucherzentrum einmal stehen sollten. "Ich denke gar nicht daran", sagt Johannes, "dass es nicht klappen könnte". Die anderen nicken und blinzeln in die Sonne.

© SZ vom 20.4.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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