Apotheken:Bittere Pille

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Konkurrenz aus dem Internet, Streit über das Inhaberprinzip: Nach langen Jahren grundlosen Klagens steht das deutsche Apothekenwesen tatsächlich auf dem Spiel.

Andreas Remien

Seit Jahren fürchten die Apotheker um ihre Existenz. Das Internet und der Versandhandel, Liberalisierung und Gesundheitsreformen führen regelmäßig zu apokalyptischen Prognosen. Die Angst schien mitunter paradox: Je lauter das Klagen, desto besser ging es der Branche.

Noch läuft das Geschäft mit den Pillen gut, aber den Apothekern drohen härtere Zeiten. (Foto: Foto: ddp)

Doch nun steht das deutsche Apothekenwesen tatsächlich auf dem Spiel. Sollten die Versandhändler an Bedeutung gewinnen und der Europäische Gerichtshof die Türen für eine umfassende Liberalisierung öffnen, würde sich die Branche radikal verändern. Drastisch wären die Auswirkungen auch auf den Arbeitsmarkt.

Die erste Bedrohung des deutschen Apothekenwesens kam mit der New Economy. Als im Internet die Landesgrenzen zunehmend an Bedeutung verloren, boten Händler aus dem Ausland ihre Medikamente auch deutschen Verbrauchern an.

Bis heute am erfolgreichsten mit dieser Strategie ist die Versandapotheke DocMorris. Ihr Firmensitz ist im niederländischen Heerlen, etwa 15 Kilometer von Aachen entfernt. Nach eigenen Angaben zählt DocMorris 800.000 Kunden und erwirtschaftete 2006 einen Umsatz von 178 Millionen Euro, 17 Prozent mehr als im Vorjahr.

Stammgast beim Richter

Weil das Unternehmen auf den Arzneimittelmärkten in großen Mengen einkauft, kann es die Rabatte an seine Kunden weitergeben. Möglich ist dies, weil die niederländische Firma sich nicht an deutsche Bestimmungen bei der Preisgestaltung hält - DocMorris ist daher vor hiesigen Richtern ein Stammgast.

Deutsche Apotheker, die bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln an Preise gebunden sind, fühlen sich benachteiligt, waren mit ihren Klagen jedoch meist erfolglos.

Nachdem die Bundesregierung 2004 den Kauf rezeptpflichtiger Präparate über das Internet erlaubt hatte, entdeckten auch immer mehr deutsche Apotheken den Versandhandel als Einnahmequelle.

Sie machen ihrem eigenen Ladenverkauf zunehmend selbst Konkurrenz: Von den 21.500 öffentlichen Apotheken in Deutschland haben inzwischen mehr als 1300 die Zulassung als Versand-Apotheke erhalten. Bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten können sie ihre Preise selbst bestimmen und bieten in diesem Segment Rabatte von bis zu 30Prozent an.

Nach einer Prognose des IT-Verbandes Bitkom wird der Marktanteil des Versandhandels in den kommenden drei Jahren von derzeit 1,5 Prozent auf acht Prozent ansteigen.

Grünes Licht für DocMorris

Zwar beschäftigen auch industrialisierte Unternehmen wie DocMorris zahlreiche Pharmazeuten, dennoch könnten sich das Versandmodell und Effizienzgewinne mittelfristig negativ auf den Bedarf an klassischem Apothekenpersonal auswirken.

Der Versandhandel ärgert die konventionellen Apotheker, die Grundfeste des Systems kann er jedoch nicht erschüttern. Ganz anders verhält es sich mit der Auseinandersetzung um das Inhaberprinzip, nach welchem nur freiberuflich tätige Pharmazeuten Apotheken führen dürfen. Seit vergangenem Sommer wird gestritten, ob das Inhaberprinzip mit europäischem Recht vereinbar ist.

Den Stein ins Rollen brachte wieder einmal DocMorris, die in Saarbrücken eine Filiale eröffneten, obwohl dies Kapitalgesellschaften in Deutschland verboten ist. Dennoch bekam das Unternehmen vom saarländischen Gesundheits- und Justizminister grünes Licht.

Die saarländische Regierung geht davon aus, dass die deutschen Regelungen nicht den europäischen Wettbewerbsregeln entsprechen. Auch das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat den Betrieb der DocMorris-Apotheke vorerst erlaubt.

Sollte das Inhaberprinzip tatsächlich fallen, könnte der deutsche Apothekenmarkt vor einem gewaltigen Umbruch stehen. In den Startlöchern stehen vor allem die Drogerieketten, die schon länger auf die Apothekendienste schielen. Ähnlich wie in anderen Ländern könnte der Verkauf von Medikamenten dabei helfen, Kunden in die Filialen zu locken.

Wer eine Packung Aspirin kauft, so das Kalkül, nimmt auch gleich ein Haarshampoo oder ein Putzmittel mit. Auch Pharmagroßhändler haben Interesse an dem Aufbau von Filialnetzen bekundet. Bereits heute schließen sich immer mehr Apotheken zu Netzwerken zusammen, um beim Einkauf günstigere Preise aushandeln zu können. Für klassische Einzelkämpfer wird die Luft vor allem in den Ballungsräumen immer dünner.

Besserer Service?

"Es ist höchste Zeit, dass sich die Apotheker dem Wettbewerb stellen", sagt Gerd Glaeske, Professor an der Universität Bremen und Mitglied im Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen. Mit negativen Auswirkungen für Patienten rechnet der Experte nicht - im Gegenteil.

"Weil es heute kaum Qualitätsmanagement gibt, werden viele Patienten in den Apotheken schlecht beraten", sagt er, "unter Wettbewerbsbedingungen würden sich die Apotheker durchsetzen, die ihren Beruf richtig verstehen." Beispiele aus dem Ausland hätten gezeigt, dass nach einer Marktöffnung die Servicequalität oftmals besser geworden sei.

Konsequenzen hätte eine Liberalisierung auch auf die Beschäftigung. Sollten sich Ketten etablieren, würden viele Apotheker nicht mehr selbständig, sondern als Angestellte oder Franchise-Nehmer arbeiten. Auch unter der Führung von Kapitalgesellschaften würden Pharmazeuten noch gebraucht - sollte sich der Markt konsolidieren, könnten es allerdings wesentlich weniger sein als heute.

"Es gibt in Deutschland mindestens 6000 Apotheken zu viel", sagt Glaeske. Würden sie wegfallen, müssten etwa 40.000 Apotheker, pharmazeutisch-technische Assistenten und Helfer um ihren Job fürchten.

Was einerseits den Arbeitsmarkt belasten würde, könnte andererseits die Kosten im Gesundheitssystem stark reduzieren. "Es kann nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung sein, Überkapazitäten zu finanzieren", sagt Glaeske.

Beitrag zur Arzneimittelsicherheit

Angesichts des drohenden Szenarios fürchten viele Apotheker um ihre Jobs und ein bisher weitgehend stabiles und behütetes Geschäft. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände argumentiert jedoch mit dem Wohl des Patienten. "Sowohl der Versandhandel als auch eine mögliche Öffnung der Märkte für Kapitalgesellschaften gefährden die Arzneimittelsicherheit", sagt Verbandssprecher Lutz Tisch.

Der Versandhandel sei fehleranfällig und könne nicht dieselbe Beratungsleistung erbringen wie das Personal in der Apotheke. Auch die persönliche Verantwortung, die ein Apotheker im Gegensatz zu einer Kapitalgesellschaft trägt, wäre ein wichtiger Beitrag zur Arzneimittelsicherheit.

Die Bundesregierung schloss sich im Herbst der Meinung des Verbandes an und sprach sich gegen eine Liberalisierung aus. Bei der Gesundheitsreform hielt sie entgegen ursprünglicher Pläne an den Fixpreisen für verschreibungspflichtige Arznei fest.

Viele Firmen richten sich dennoch auf Veränderungen ein und haben bereits Pläne für den Aufbau von Ketten und neuen Geschäftsmodellen in der Schublade. Ob das Apothekensystem bleiben darf oder mehr Wettbewerb einzieht, wird nämlich nicht in Berlin, sondern in Luxemburg entschieden.

Bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs bleibt den Beteiligten noch viel Zeit, um auf eine Liberalisierung zu hoffen oder um den Status quo zu bangen.

© SZ vom 17.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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