Anwälte:Der Durchblick fehlt

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Anwälten geht die geplante Ausbildungsreform nicht weit genug.

Christiane Wirtz

(SZ vom 10.5.2002) Bis zum Schluss ist alles offen - und genau das ist das Problem. Ein Jurist könne überall arbeiten, so heißt es: vor Gericht, in der Verwaltung oder für ein Unternehmen - und wenn alle Stricke reißen, dann gründet man eben die eigene Kanzlei.

Jährlich drängen 6000 neue Anwälte auf den Markt (Foto: N/A)

"Viele junge Anwälte tappen vollkommen unsicher in den Beruf hinein", sagt der Marketing-Professor Christoph Hommerich. Die strenge "Schuldtheorie" beherrschen die jungen Juristen vielleicht, und auch das "Abstraktionsprinzip" des BGB, doch von Management und Marketing haben nur wenige eine Ahnung. Und dabei sind es doch einzig "die strategischen Konzepte, mit denen man sich auf dem Markt profilieren kann", sagt Hommerich.

Lücke im Lehrplan

80 Prozent aller Referendare wählen nach dem zweiten Examen den Weg in eine Kanzlei. Grund genug, sollte man meinen, die jungen Juristen in der jahrelangen Ausbildung auf ihren späteren Beruf vorzubereiten. Doch nach wie vor fehlt im Lehrplan der tiefe Blick in die anwaltliche Praxis. Mit der jüngsten Reform, die der Bundestag Ende März verabschiedet hat, soll alles anders werden.

Die Ausbildungs-Ordnung, die vom 1.Juli 2003 an gilt, sieht vor, dass Referendare neun Monate in einer Kanzlei arbeiten. Anwälte sollen außerdem stärker in die theoretische Ausbildung einbezogen werden.

Mit der Reform bekommen Studenten mehr Möglichkeiten, sich zu spezialisieren: Ein größerer Katalog von Wahlfächern soll dabei helfen. In diesen Fächern prüfen die Universitäten selbst, und nicht mehr wie bisher der Staat. Die Ergebnisse dieser Wahlfach-Prüfungen fließen dann zu 30 Prozent in die Examensnote ein. Schließlich werden Jura-Studenten in Zukunft auch Kenntnisse in Fremdsprachen nachweisen müssen.

Den Anwälten gehen diese Änderungen nicht weit genug. "Im Grunde bleibt jetzt alles so, wie es war", sagt der Vize-Präsident des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Hartmut Kilger. Und Anwaltspräsident Michael Streck meint, die Jura-Studenten sollten sich schon nach dem ersten Examen entscheiden, ob sie Richter oder Anwalt werden wollten (siehe Interview).

Kein Abschied vom Einheitsjuristen

Aber die Reform ist beschlossen, die Politik hat noch nicht Abschied genommen vom Einheitsjuristen. Um den Nachwuchs gleichwohl möglichst früh zu rekrutieren, denkt man im DAV darüber nach, ein Zertifikat einzuführen. Nach zwölf Monaten in der Kanzlei und drei Monaten Unterricht könnten die Absolventen damit nachweisen, dass sie mit der anwaltlichen Praxis vertraut sind. Für die theoretische Ausbildung allerdings sollen die jungen Kollegen zur Kasse gebeten werden. "Damit wirklich nur die kommen, die auch Anwalt werden wollen", sagt Kilger.

Wirtschaftliches Denken würde dann in der Juristen-Karriere schon früher eine Rolle spielen. Und das ist es, was den meisten Rechtsanwälten beim Start in den Beruf am meisten fehlt. Sie haben keine Strategie, keine Master-Pläne. "Viele fangen alles Mögliche an und bekommen kein Bein auf den Boden", sagt Hommerich. Spätestens nach dem Ende der Ausbildung darf demnach nicht mehr alles offen sein - sonst kommen die Probleme.

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