Amy Winehouse in der Abschlussprüfung:"Herzzerreißende Sache"

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Shakespeare, Milton, Winehouse: Die Cambridge University lässt Literaturstudenten in einer Abschlussprüfung Texte der Sängerin Amy Winehouse analysieren. Ist die Pop-Ikone die literarische Größe der Neuzeit?

Wolfgang Koydl

Nennt man Begriffe wie "Cambridge University" und "englische Literatur" in einem Atemzug, denkt man an die schriftstellerischen Genies, die Großbritannien hervorgebracht hat: Namen wie Shakespeare, Byron oder Milton kommen in den Sinn, oder die anscheinend für die Ewigkeit verfassten Werke eines George Bernard Shaw, Charles Dickens oder George Orwell. Und dann gibt es noch das Oeuvre von Amy Winehouse.

Was verbindet Skandalnudel Amy Winehouse mit dem großen englischen Schriftsteller Walter Raleigh? Studenten der Cambridge-Universität mussten es in ihrer Literatur-Abschlussprüfung herausfinden. (Foto: Foto: Reuters)

Literaturstudenten in Cambridge staunten nicht schlecht, als sie sich zu ihrer Jahresabschlussprüfung niedersetzten und die Aufgabenstellung lasen. Eine vergleichende Textanalyse hatten sie zwar erwartet; doch die Wahl der Autoren überraschte sie: Denn zu den Texten, die mit einem Gedicht des elisabethanischen Dichters und Abenteurers Sir Walter Raleigh verglichen werden sollten, gehörte der Song "Love is a Losing Game" aus dem Album der schrillen Pop-Ikone Amy Winehouse. Zur Auswahl standen auch Lieder von Bob Dylan ("Boots of Spanish Leather") und Billie Holiday ("Fine and Mellow").

Amy eine literarische Größe?

"Es war echt bizarr", zitierte die Londoner Times einen Studenten, der seinen Namen nicht nennen wollte. "Ich saß da wie im Schock und starrte den Zettel an. Ich würde eine umstrittene Pop-Sängerin nicht unbedingt als literarische Größe betrachten." Ein Kommilitone meinte: "Ich fand es eher cool. Poesie muss nicht immer Keats oder Byron bedeuten."

Die Professoren in Cambridge freilich verstanden die Aufregung nicht. Das Wort Lyrik, so zitierten sie aus dem Oxford English Dictionary, leite sich schließlich von der Lyra, dem griechischen Saiteninstrument ab. Dies bedeute, dass Lyrik ursprünglich nicht still gelesen, sondern zu Musik gesungen wurde. Auch für den Brockhaus ist die "ursprüngl. Bindung an Gesang und Musik nie gänzlich verloren" gegangen. Er definiert Lyrik als "bewusste Einstellung des Ich auf erfahrene Wirklichkeit".

Derart subjektives Erleben spielt denn auch in der Tat eine große Rolle in den Texten der 24-Jährigen. In dem Song "Rehab" beispielsweise beschreibt sie ihren vergeblichen Kampf gegen Drogen, und "Love is a Losing Game" beschwört nach den Worten eines englischen Kritikers "Bilder von Zigarettenrauch, leeren Wodkaflaschen und verschmierter Mascara herauf". Es sei, so die Kritik, "die vielleicht am meisten herzzerreißende Sache, die sie je aufgenommen hat".

Dieser Meinung waren auch die Juroren des begehrten britischen Ivor Novello Award, die erst vergangene Woche "Love is a Losing Game" sowohl für die Musik als auch für den Text auszeichneten. Seit 1955 werden mit den Novellos Texte und Komponisten populärer Musik ausgezeichnet. Zu den früheren Preisträgern gehörten unter anderem Paul McCartney, John Lennon, Freddie Mercury und Eric Clapton, aber auch Britney Spears und Kylie Minogue. Amy Winehouse war jedoch die erste Preisträgerin in der Geschichte der Awards, welche die Auszeichnung in beiden Kategorien - Text und Musik - gewann.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Amy Winehouse den literarischen Vergleich mit Sir Walter Raleigh standhält.

Eskapaden, Beziehungsdrama und Drogen

Den Preis nahm übrigens ihr Vater für sie entgegen, weil die Künstlerin allem Anschein nach wieder einmal unter den Folgen ihres exzessiven Alkohol- und Drogenkonsums litt. Seit mehreren Monaten schon beschäftigen die skandalösen Eskapaden der mehrfachen Grammy-Preisträgerin die Öffentlichkeit mehr als ihre Musik. Auch ihre turbulente Beziehung zu ihrem Ehemann Blake Fielder-Civil sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Winehouse hatte zugegeben, ihren Mann, der zur Zeit in unter Verdacht auf Körperverletzung in Untersuchungshaft sitzt, zu schlagen. "Wenn ich betrunken bin, verprügele ich Blake", hatte sie in einem Interview gestanden. "Wenn er etwas sagt, was mir nicht gefällt, kriegt er was aufs Kinn."

Ein von Skandalen erfülltes Leben hat Amy Winehouse mit Sir Walter Raleigh gemeinsam, dessen Gedicht "As You Came from the Holy Land" den Cambridge-Studenten zum Vergleich mit dem Liedtext vorgelegt wurde. Der Günstling von Königin Elisabeth I. erregte wegen der Heirat mit einer Hofdame die Gemüter seiner Zeitgenossen; zweimal landete er in den Verliesen des Londoner Tower, eine von ihm geführte Expedition in die Neue Welt endete in einem Fiasko, und am Ende starb er im Jahre 1618 unter dem Henkerbeil.

Nach Augenzeugenberichten schied er mit einem kessen Spruch aus dem Leben, wie er vermutlich auch Amy Winehouse gefallen würde. "Solange das Herz auf dem rechten Fleck ist, spielt es keine Rolle, wo sich der Kopf befindet." Die Worte erwiesen sich auf eine unerwartete Weise als prophetisch. Denn Raleighs vom Rumpf getrennter Kopf wurde einbalsamiert und seiner Witwe zum Geschenk gemacht. Im Vergleich dazu nehmen sich Amy Winehouses Eskapaden dann doch eher possierlich aus.

© SZ vom 29.5.2008/bön - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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