Ärztinnen und Karriere:"Führungsstarke Frauen gelten als zickig"

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Am Beginn des Medizin-Studiums sind Frauen in der Überzahl, aber wenn es um Chefpositionen geht, müssen Ärztinnen für die Karriere kämpfen — doch nur wenige haben Erfolg.

Von Sebastian Bräuer

In vielen Krankenhäusern sucht man vergeblich nach Ober- oder Chefärztinnen. Kein Zufall, sagt Professor Dr. Andrea Rieber: "Je dünner die Luft wird, desto mehr werden Frauen diskriminiert." Dieses Thema treibt der Chefärztin für Röntgendiagnostik und Nuklearmedizin die Zornesröte ins Gesicht.

"Diffamierungen unter der Gürtellinie": Andrea Rieber (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Die 44-Jährige sitzt in ihrem ausladenden Büro mit Vorzimmer und Blick ins Grüne im Krankenhaus München-Neuperlach und nippt ab und zu am Kaffee, während sie von ihrem Werdegang erzählt. Rieber hat einen Lebensgefährten, aber für Kinder blieb keine Zeit. In ihrer Laufbahn hatte sie mehrmals Schwierigkeiten zu überwinden, die ihrer Meinung nach nur entstanden sind, weil sie eine Frau ist.

Die aktuelle Studie "Frauen in der Medizin" der Bund-Länder-Kommission (BLK) gibt Rieber Recht: Frauen wird die Karriere immer noch schwerer gemacht als Männern. Während inzwischen sogar mehr junge Frauen ein Medizinstudium beginnen als Männer und nahezu gleich viele die auslaufende Qualifikationsstufe "Arzt im Praktikum" absolvieren, sinkt der Frauenanteil zwischen Promotion und Habilitation deutlich: In der Human- und Zahnmedizin um 30,5 Prozent, in der Veterinärmedizin sogar um 33,4 Prozent.

Die logische Folge: Frauen sind in den Chefetagen von Krankenhäusern, in medizinischen Forschungseinrichtungen und in den Kassenärztlichen Vereinigungen unterproportional vertreten. "In Jobs, bei denen es um Repräsentieren und Entscheiden geht, werden einfach Männer erwartet", sagt Rieber.

Als junge Oberärztin in der Tübinger Uniklinik sei sie von ihren Kollegen und vor allem von ihrem Chef nicht so akzeptiert worden, wie sie das erwartet hätte, erzählt die heute 44-Jährige. Die einzig richtige Entscheidung sei daher gewesen, das Krankenhaus zu verlassen. Während ihrer Tätigkeit als Leitende Oberärztin in Ulm habe sich das geändert - aber nur, bis sie begann ihre Habilitation zu schreiben: "Die Diffamierungen gingen teilweise unter die Gürtellinie."

Kollegen seien neidisch gewesen, hätten ihr den Erfolg nicht gegönnt und versucht, sie schlecht zu machen. Es sei ganz alltäglich, dass Frauen mit Arbeit zugedeckt würden, während Männern auf der gleichen Hierarchiestufe Zeit für kreative Tätigkeiten bleibe. Kolleginnen hätten sich gegen solche Ungerechtigkeiten nicht zur Wehr gesetzt - und ihr hinterher gesagt, dass sie es niemals geschafft hätten, die Widerstände so zu überwinden wie sie.

Besonders eindrückliche Beobachtungen hat Rieber in Bewerbungsgesprächen gemacht, an denen sie in Ulm als Gleichstellungsbeauftragte beteiligt war. Bei einer Frau werde eher der Charakter in Frage gestellt, sagt die Chefärztin. "Ein selbstbewusst auftretender Mann gilt als führungsstark, bei einer Frau gilt ein solches Verhalten als zickig." Bei Assistenzärzten oder Studenten spiele das Geschlecht keine Rolle mehr, in den Führungsetagen jedoch umso mehr.

Auch der BLK-Bericht nennt die Diskriminierung von Frauen als Hauptbarriere im Karriereverlauf. Meist geschehe dies unbewusst: Frauen werden insgeheim andere Verhaltensweisen zugeschrieben. Zudem hätten Männer schon vor der Bewerbung meistens ein Beziehungssystem, heißt es weiter. "Frauen verfügen in der Regel über kein vergleichbares Netzwerk."

Abgesehen davon sei es nach wie vor schwer, Kind und Karriere zu vereinbaren. "In Deutschland wird gesellschaftlich nicht akzeptiert, dass beispielsweise auch der Mann Teilzeit arbeitet", sagt Rieber, "der gilt dann als Schluffi." In einem Rundumschlag kommt die Chefärztin auch auf die geltenden Mutterschutzbestimmungen zu sprechen: "Die kommen einem Berufsverbot gleich."

Die 44-Jährige ist stolz, allen Schwierigkeiten getrotzt zu haben: "Ich würde es immer wieder so machen." Ihre Ratschläge an junge Kolleginnen klingen ein wenig wie die Leitsätze eines Motivationsseminars: "Aus der Masse herausstechen, Leistung zeigen, Verbündete schaffen."

Da sie in ihrer Laufbahn auch vielen Kollegen begegnet sei, mit denen sie gern zusammengearbeitet habe, sagt Rieber: "Es ist für eine Frau im Laufe ihres Berufslebens einfach wichtig, so viel Menschenkenntnis zu erlangen, dass es ihr gelingt, die Spreu vom Weizen zu trennen." In diesem Zusammenhang kommt eine lapidare Feststellung daher wie ein überraschendes Versöhnungsangebot: "Das gilt natürlich alles auch für Männer."

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