Abwerbung:Alles, was ihr wollt

Lesezeit: 3 min

Junger Führungsnachwuchs wird hart umworben. Trendforscher prophezeien, dass die High-Potentials bald so individuell betreut werden wie Spitzensportler.

Jörg Schmilewski

(SZ vom 21.7.2001) Die wertvollsten Mitarbeiter von Bayer Leverkusen findet man in der Fußball-Abteilung. Die Bundesliga-Stars verschaffen dem Bayer-Konzern durch ihre Spielkünste und die daraus resultierenden Werbeeffekte Millionen-Einnahmen. Ein halbes Dutzend Betreuer der Bayer-Fußball GmbH kümmert sich deshalb um ihr Wohlbefinden - auch außerhalb des Platzes. Der Trainerstab sorgt für die sportliche Fitness, die physiotherapeutische Abteilung kümmert sich um die Gesundheit der Spieler. Andere Betreuer wiederum beraten die Profi-Fußballer bei teuren Anschaffungen - bei Auto- und Hauskauf oder sonstigen Verträgen. Stars aus dem Ausland bekommen zusätzlich Sprachunterricht und werden auch in ihrem privaten, familiären Umfeld (zum Beispiel bei der Suche eines Kindergartenplatzes) vom Verein unterstützt. Der Sinn all dieser Aktivitäten: Die Kicker sollen den Kopf frei haben. Und ganz für den Fußball leben.

Schon bald könnten "Jobsculptors" für die Gestaltung von Arbeitsplätzen nach individuellen Bedürfnissen zuständig sein. (Foto: N/A)

Kampf um Talente

Eine solche "Rundumversorgung", wie Leverkusens Manager Reiner Calmund die Hilfestellungen nennt, gibt es bisher nur in Extrembereichen der Arbeitswelt wie dem Profi-Fußball. Doch wenn die Zukunftsforscher Matthias Horx und Oona Horx-Strathern Recht behalten, werden sich bald auch Unternehmen aus anderen Branchen im Kampf um viel versprechende Talente der Sorgen und Wünsche von so genannten High Potentials annehmen.

Der Studie War for Talents des Kelkheimer "Zukunftsinstituts" zufolge werden so genannte "Jobsculptors" (Arbeitsgestalter) damit betraut sein, Arbeitsplätze nach den individuellen Fähigkeiten einzelner Mitarbeiter einzurichten - und sie von unnötigen beruflichen und privaten Belastungen zu befreien. Das soll Unzufriedenheit und Fluktuation im Unternehmen reduzieren.

Die Empfehlung, zu diesem Zweck zusätzliche Personal- Fachleute einzusetzen, geht auf Untersuchungen der amerikanischen Professoren Timothy Butler und James Waldroop von der Harvard Business School zurück. Die Arbeitsgestalter sollen, sagen die Professoren, Unternehmen in einem immer schärferen Wettbewerb um Talente helfen, "Beschäftigte mit hohem Potential im Betrieb zu halten". Es werde für Unternehmen künftig unverzichtbar sein, prophezeit Oona Horx-Strathern, die berufliche Entwicklung ihrer Mitarbeiter dauerhaft zu begleiten. In einem sensibel geführten, ständigen Dialog müssten ihre "innersten Wünsche und Interessen" erforscht werden. Nur so könnten hohe Fluktuationskosten vermieden werden.

Teurer Aufwand

Programme zum Stressabbau, für Gesundheit und Fitness sowie Hilfe bei familiären Problemen ergänzen das Jobsculpting. Eine derart aufwändige Personalpolitik koste zwar "eine Menge Geld", sagt Horx-Strathern, doch: "Um gute Leute zu halten, müssen Unternehmen das machen." Die Zeiten eines bloßen "Recruitings" seien vorbei. "Personalabteilungen, die früher Verwaltungsorganisationen im letzten Gebäudeteil glichen", schreibt Matthias Horx im Vorwort der Studie War for Talents, "werden einen gewaltigen Bedeutungsaufschwung erfahren."

Auch Stefan Wolf vom Basler Trendforschungsinstitut prognos sagt voraus, dass es künftig Spezialisten geben wird, die eigens dafür engagiert sind, Firmenmitarbeiter zu betreuen, zu beraten und ihre Entwicklung voranzutreiben. Denn die Fluktuationskosten seien vor allem in der IT-Branche schon jetzt ein erhebliches Problem.

Ulrich Klotz, beim IG Metall-Vorstand Vordenker bei Zukunftsthemen der Arbeitswelt, glaubt, dass sich diese Entwicklung weiter verschärfen wird. Wissensarbeiter wie etwa Software-Entwickler seien "Besitzer der Produktionsmittel", so Klotz, "denn sie tragen diese im Kopf herum." Ähnlich wie bei künstlerischen Tätigkeiten brächten hier ein oder zwei hoch talentierte Mitarbeiter oftmals mehr und bessere Ergebnisse als ganze Heerscharen durchschnittlich begabter. Auch bemesse sich der Börsenwert wissensintensiver Firmen wie etwa Microsoft schon längst nicht mehr nach dem Buchwert, also nach ein paar Bürogebäuden und Computern, sondern nach dem vermuteten Know-how ihrer Experten. Klotz: "Wenn die Microsoft-Mitarbeiter ab morgen nicht mehr zur Arbeit erschienen, dann gäbe es den größten Börsencrash der Geschichte."

Die Ich-AG

So mancher deutsche Manager stellt sich da seufzend die Frage: "Wohin soll das alles noch führen?" Vereinzelt zeigen sich Firmenchefs auch schon verärgert über das ausufernde Werben um die Fachkräfte - und über die Folgen für das Selbstbild der Umworbenen.

Lufthansa-Vorstandschef Jürgen Weber etwa geißelte in einer Rede vor Personalfachleuten die Haltung, die er bei den Verhandlungen mit der Piloten-Vereinigung "Cockpit" erlebt hatte, mit dem Kunstwort "Darwinportunismus": Egoistisch handelnde Gruppen von hoch qualifizierten Spezialisten spielten ihre Macht aus, ohne auf das Wohl des gesamten Unternehmens Rücksicht zu nehmen. Die Personaler müssten sich fragen, ob ihr lautes Nachdenken über Modelle wie "Selbst-GmbH" und "Ich-AG" nicht auch zu dieser Entwicklung beigetragen habe, legte Weber nahe.

Aufruf zum Waffenstillstand

Doch Abhilfe ist aus Unternehmenssicht schwer zu schaffen. Personalentwickler Oliver Maassen von der HypoVereinsbank appelliert an die Wirtschaft, sich wenigstens auf einen Waffenstillstand im "War for Talents" zu verständigen (siehe Interview).

Die erwähnte Entwicklung hin zu Bundesliga-Verhältnissen werde man allerdings kaum aufhalten können: Laut Maassen werden mittlerweile bei Spitzenkräften sogar schon Ablöse-Gelder vertraglich festgelegt - und bezahlt.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: