Interview:Warum wir so ungern abheben

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Was tun, wenn man regelmäßig mit dem Flugzeug reisen muss und dabei hauptsächlich mit dem Pudding in seinen Knien kämpft, statt entspannt Geschäftsunterlagen durchzuarbeiten? Der Hagener Diplom-Psychologe Rudolf Krefting weiß Rat. Er betreut seit 1979 Menschen mit Flugangst und leitet das zwölfköpfige Psychologen-Team bei Texter-Millott.

SZ: Gibt es Menschen, die besonders anfällig für Flugangst sind?

Krefting: Zum einen sind dies Menschen, die schon aus dem Elternhaus eine ängstliche Disposition mitbringen und schneller als andere auf Angstreize reagieren. Es sind aber auch viele Manager von Flugangst betroffen: Sie sind einfach nicht daran gewöhnt, die Kontrolle abzugeben. In anderen Fällen kommt zu einer ohnehin schon starken Belastung - Stress auf der Arbeit oder im Privatleben - das Flugerlebnis mit seinen ungewohnten Eindrücken hinzu. Und schon ist sie da, die Angst.

SZ: Das passt zu den Aussagen vieler Flugängstlicher, die nie eine wirklich schlimme Erfahrung beim Fliegen gemacht haben und trotzdem berichten, dass sich nach und nach die Angst vorm Fliegen eingeschlichen habe.

Krefting: Es kommt auf das eigene Empfinden an, und das kann je nach Tagesform variieren. Wie erlebe ich mich in der Situation des Fliegens? Schwitze ich? Schwitze ich mehr als sonst? Wenn ich solche Selbstbeoachtungen mit Schlüsselreizen wie Turbulenzen oder Fluggeräuschen verbinde, gibt es einen gewissen Lerneffekt, wie beim Pawlowschen Hund. Und das, obwohl die Symptome in Wirklichkeit vielleicht daher rühren, dass ich auf dem Weg zum Flughafen im Stau stand und befürchtet habe, den Flieger zu verpassen. Man darf auch den Einfluss der Medien nicht unterschätzen. Jeder hat noch die Bilder vom 11. September im Kopf.

SZ: Manche berichten auch von unangenehmen Erlebnissen in der Seilbahn, im Aufzug oder beim Bergwandern, die dann aufs Fliegen übergesprungen sind.

Krefting: Ja, das ist ganz typisch. Angstbesetzte Situationen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Fliegen haben, werden übertragen: die Enge der Kabine, die Höhe, die Angst abzustürzen. Das ist wie ein Flächenbrand.

SZ: Interessant ist auch: Was dem einen Herzrasen verursacht, lässt seinen Leidensgenossen kalt. Der wiederum plagt sich mit Schreckensbildern, die den anderen kaum tangieren.

Krefting: Flugangst hat unterschiedliche Ausprägungen. Hauptsächlich schlagen sich ängstliche Passagiere mit der Vorstellung herum, die Technik könnte versagen - oder diejenigen, die diese Technik bedienen. Das Gefühl der Enge, des Gefangenseins in einem abgeschlossenen Raum, aus dem man in absehbarer Zeit nicht hinauskommt, ist eine weitere Kategorie. Solche und andere Ängste sind beliebig kombinierbar. Manchmal ist die Flugangst auch Ausdruck einer tiefer liegenden Angststörung. Das kann man nicht in einem Wochenendseminar bearbeiten, da empfiehlt sich eine Psychotherapie.

SZ: Können Sie die Ängste Ihrer Klienten nachvollziehen?

Krefting: Natürlich kann ich das. Ich fliege zwar ausgesprochen gern, aber es gibt andere Situationen, die mir Angst machen, zum Beispiel von Rasern auf der regennassen Autobahn umgeben zu sein. Da verdrücke ich mich gern hinter einen Lastwagen.

Interview: Jutta Göricke

© SZ vom 9.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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