Es ist der nächste Skandal um Medizinprodukte. Nach den Brustimplantaten stehen nun Hüftprothesen in der Kritik. Mehr als eine Million Patienten sind weltweit betroffen. Zwar geht es nicht um jeden Kranken, der ein künstliches Gelenk bekommen hat. Doch die aufgrund ihrer längeren Lebensdauer zunächst gelobten Metall-auf-Metall-Prothesen stellen vermutlich ein großes Risiko dar.
Giftige Metall-Ionen, die durch Abrieb freigesetzt werden, schädigen Gewebe, führen zu Schmerzen und behindern beim Gehen. Über Blut und Lymphe im Körper verteilt, erhöhen die toxischen Substanzen das Krebsrisiko und belasten Leber, Milz und Nieren.
Im renommierten British Medical Journal haben Ärzte und Forscher Mitte dieser Woche die Beweise für die Gefährlichkeit der Prothesen vorgelegt. Wissenschaftler ärgert besonders, dass sie seit Jahren auf Risiken der Metall-Implantate hinweisen, Politiker, Ärzteverbände und Behörden aber untätig blieben - und Patienten darunter leiden.
Fragwürdige Zertifizierung
"Gefahren durch Metall-Prothesen sind längst bekannt und belegt", sagt Carl Heneghan, Direktor des Zentrums für Evidenzbasierte Medizin der Universität Oxford. "Wir brauchen unabhängige Kontrollen für Medizinprodukte, um aus dem Chaos der Warnungen und Marktrücknahmen herauszukommen."
1973 wurde erstmals auf erhöhte Metallkonzentrationen bei Patienten mit Hüftprothesen aus Metall hingewiesen. Seitdem ist vor etlichen Produkten gewarnt worden, einige verschwanden vom Markt. Implantate, bei denen Metall auf Plastik oder Keramik auf Keramik trifft, können sich zwar lockern und müssen oft innerhalb der ersten 15 Jahre ersetzt werden.
Gefährliche Stoffe werden aber vor allem dann freigesetzt, wenn Metall auf Metall trifft. Dann sammeln sich Kobalt- und Chrom-Ionen im Körper an, die fast alle Organsysteme schädigen können. So warnt die USA-Behörde FDA davor, reine Metall-Prothesen Frauen im gebärfähigen Alter einzusetzen.
Um Medizinprodukte auf den Markt zu bringen, ist ein CE-Siegel nötig, das an mehr als 70 Orten in Europa zu haben ist. Der Hersteller kümmert sich um die fragwürdige Zertifizierung, geprüft wird die technische Funktion - etwa ob Prothesen rosten -, aber nicht der Nutzen für Patienten. Zumeist handelt es sich um "Papierprüfungen" - die Unterlagen werden gesichtet, nicht das Material, das in den Körper eingepflanzt wird.
"Man muss schon fragen, warum Arzneimittel staatlich kontrolliert werden, Medizinprodukte nur privatwirtschaftlich", sagt Jürgen Windeler, der das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen leitet. "Und warum wird das Ausmaß des Problems erst jetzt deutlich?"
Hartwig Bauer, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, kennt die Diskussion um reine Metall-Implantate "seit meiner Assistenzzeit in den 1970ern". Dann verschwanden diese Prothesen, aber immer wieder kamen neue auf den Markt. "Da sollte man hellhörig werden. Zudem muss die CE-Zulassung endlich schärfer kontrolliert werden, und nach der Zulassung brauchen wir sofort Studien, um Langzeitkomplikationen der künstlichen Gelenke erfassen zu können", so der Chirurg.
Bis dahin ist es ein weiter Weg. Unbeeindruckt von den verheerenden Daten zur Gefahr durch die künstlichen Gelenke wurden auf der weltweit größten Tagung der Orthopädischen Chirurgen im Februar in San Francisco den 40.000 Ärzten Metall-Implantate diverser Hersteller angepriesen.