Zwangsversteigerung:Terminkalender um zehn Prozent voller

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Auf den Amtsgerichten werden in diesem Jahr 80.000 Immobilien - meist unter ihrem Wert - zwangsversteigert.

Der Traum von der eigenen Wohnung ist für Dietmar Thiele ein für alle Mal vorbei. "Mit einer einzigen Unterschrift habe ich alles versaut", sagt der 43-jährige Elektriker.

Alles, was von seiner Vier-Zimmer-Wohnung in Berlin-Reinickendorf geblieben ist, sind 150.000 Euro Schulden. Zwei Jahre nach der Unterschrift unter den Kaufvertrag musste die Wohnung zwangsversteigert werden. Thiele ist kein Einzelfall. Immer mehr Bundesbürger müssen zusehen, wie ihr Zuhause unter den Hammer kommt. Aus der Traumwohnung wird für sie dann ein Albtraum.

Rekord-Termine auf dem Amtsgericht

80.000 Zwangsversteigerungen wird es nach einer Berechnung des Fachverlags Argetra vermutlich in diesem Jahr geben - das wäre bundesweiter Rekord. Zwei Drittel davon betreffen Privathäuser oder Eigentumswohnungen.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich Tausende Einzelschicksale. Trotz aller Unterschiede gibt es viele Gemeinsamkeiten: Arbeitslosigkeit spielt oft eine Rolle, Scheidung oder Krankheit. Und häufig genug hat sich jemand bei der Finanzierung von vornherein völlig verschätzt.

Euphorie am Anfang, hohe Schulden am Ende

Auch Thiele erkannte zu spät, dass ihn der Wunsch nach einer größeren Wohnung zum Amtsgericht führen sollte. Begonnen hatte alles in Euphorie: Der Handwerker wohnte mit Freundin und zwei Kindern in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung, die ihm selbst gehörte. Er zögerte deshalb nicht lange, als ihm ein ausbaufähiger Dachboden in Reinickendorf zum Kauf angeboten wurde: 110 Quadratmeter groß, 85.000 Euro teuer. Den Ausbau wollte der Handwerker selbst übernehmen, die Eigentumswohnung diente als Sicherheit.

"Das Risiko war im Grunde viel zu hoch, die Baukosten sind für einen Laien nicht zu überschauen", sagt Thiele heute. Die Renovierung wurde immer teurer. In die Grundsanierung hatte er bereits 75.000 Euro investiert, und immer noch fehlten 35.000 Euro. Irgendwann sah er ein, dass er völlig überfordert war. Zunächst musste er die Eigentumswohnung verkaufen, um eine Zwangsversteigerung zu verhindern - 100.000 Euro unter Wert. Es reichte nicht.

Schließlich musste das halbsanierte Dachgeschoss zwangsversteigert werden - für 30.000 Euro. Käufer war ausgerechnet der Vorbesitzer, der Thiele die unsanierte Immobilie zuvor zum dreifachen Preis verkauft hatte. "Im Grunde war es meine eigene Dusseligkeit", gibt er zu. Heute lebt die Familie wieder in einer Mietwohnung, karg möbliert, mit 150.000 Euro Schulden. Das Insolvenzverfahren läuft noch.

Voller Kalender

Allein in diesem Jahr hat mehrere zehntausend Deutsche ein ähnliches Schicksal ereilt. Der Versteigerungskalender für Immobilien in der Zwangsversteigerung (VIZ) kündigte für die ersten sechs Monate 44.237 Termine an, ein Plus von 10,4 Prozent.

Billiger Verkauf

Schätzwert der Immobilien: 10,1 Milliarden Euro. Meist werden sie aber billiger versteigert. Argetra-Chef Winfried Aufterbeck sagt: "Eine Eigentumswohnung gibt es meist für 60 bis 75 Prozent des Verkehrswertes, ein Einfamilienhaus für 80 bis 90 Prozent."

Berlin auf Spitzenplatz

Besonders in wirtschaftsschwachen Regionen sieht es düster aus. In Berlin/Brandenburg wurden 2002 bereits mehr als 6500 Termine angesetzt. Unter den deutschen Großstädten liegt Berlin in dieser Statistik auf einem Spitzenplatz. Nur in Leipzig wurden in der ersten Jahreshälfte noch mehr Immobilien zwangsversteigert. Auf den Plätzen folgen Dresden, Chemnitz und München.

Letzte Hoffnung

Der Termin für eine Zwangsversteigerung bedeutet aber nicht endgültig das Aus. "Jeder fünfte Termin kann irgendwie noch abgewendet werden, zumindest für eine Weile", sagt Aufterbeck. Schuldnerberatung, Notverkäufe, Sozialdarlehen oder eine Senkung der Monatsrate können den Verlust der eigenen vier Wände verhindern.

Eine Zahntechniker-Familie aus Berlin-Rudow, die ihren Namen nicht genannt haben will, kann sich zu diesen glücklichen 20 Prozent zählen. Nachdem das eigene Labor schließen musste, stand der Termin für die Versteigerung des 134-Quadratmeter-Hauses schon fest: Anfang Oktober sollte es soweit sein. Während die ersten Interessenten das Grundstück schon besichtigten, fand der dreifache Familienvater wieder Arbeit. Für die Zukunft ist er zuversichtlich. "Eigentlich dürfte nichts mehr passieren."

(sueddeutsche.de/ Michaela Wailzer - dpa)

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