Wohnen im Alter:Einen Generationen-Mix, bitte!

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Auch der beste behindertengerechte Wohnbau nützt nichts, wenn die alten Bewohner sich darin einsam fühlen und nicht direkt vor der Haustür andere Menschen treffen können.

Angelika Hoch

Nahezu voll besetzt war das Audimax der Münchner Technischen Universität (TU) kürzlich bei der Tagung "Wohnen im Alter - Visionen, Realitäten, Erfahrungen", zu der die Oberste Baubehörde im bayerischen Innenministerium eingeladen hatte.

Die "künstliche Familie" ist allemal besser als gar keine. Nach diesem Prinzip hat die Münchner Architektin Sibylle Ebe ihr Projekt in Hiltpoltstein geplant - mit altengerechten Wohnungen und Begegnungsstätte. (Foto: Foto: Ebe+Ebe Architekten)

Die große Resonanz zeigt, dass das Thema für Stadtplaner und Architekten, für die Wohnungswirtschaft und soziale Einrichtungen immer bedeutsamer wird. Der Anteil älterer Menschen nimmt zu, die Lebenserwartung steigt. Im Alter so lange wie möglich in der eigenen Wohnung leben und sich weit gehend selbst versorgen zu können, das sind die wichtigsten Wünsche der meisten Menschen. Der Bedarf an entsprechenden Wohnformen wie beispielsweise Alten-Wohngemeinschaften, Generationen-übergreifendes oder betreutes Wohnen wird folglich immer größer.

Welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sich die Bewohner wohl fühlen, war Thema der Referentenvorträge. "Es geht dabei um Alltagstauglichkeit", erklärte Professor Peter Ebner vom Lehrstuhl Wohnungsbau und Wohnungswirtschaft an der TU München.

Das zeigten die Ergebnisse einer aktuellen Studie seines Lehrstuhls zur Nachuntersuchung eines bayerischen Modellprojekts samt Wettbewerb zum barrierefreien Wohnen. Ziel der Studie sei es gewesen, mit "teilweise sehr unkonventionellen Methoden" festzustellen, was den Nutzern wichtig sei.

So hätten die Wissenschaftler beispielsweise die Bewohner gebeten, ihre Lieblingssituation zu fotografieren und zu kommentieren. Zentrales Ergebnis der Untersuchung: Auch der beste behindertengerechte Wohnbau nützt nichts, wenn die Bewohner nicht im näheren Wohnumfeld ihren täglichen Bedarf selbst decken und soziale Nähe erleben können.

Vor allem der soziale Bezug fehlt häufig bei Wohnanlagen für ältere Menschen am Stadtrand. Dieser Entwicklung im Städtebau, die sich in Aussonderung und einer "Monostruktur beim Wohnungsangebot" zeige, müsse man entgegen wirken, forderte Professor Arno Lederer, Leiter des Instituts für Öffentliche Bauten und Entwerfen an der Universität Stuttgart.

Wie eine stärkere "Durchmischung der Generationen" erreicht werden kann, demonstrierte er am Beispiel eines Wohnprojekts in Stuttgart mit zwölf Wohnungen für alte Menschen. Das Gebäude liege unmittelbar neben einem Kindergarten und einer Schule, und gerade dieses dichte Zusammensein von Alten und Kindern "macht das Erfolgsmodell aus".

Die Möglichkeit, direkt vor der eigenen Wohnungstür andere Menschen treffen zu können, bewahrt vor Einsamkeit - oft das größte Problem älterer Menschen. Beim Wohnungsbau sollten daher die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass sich "künstliche Familien" bilden können, sagte die Münchner Architektin Sibylle Ebe. Wie zum Beispiel bei einem von ihr entwickelten Projekt in Hiltpoltstein mit 36 abgeschlossenen, altengerechten Wohnungen, einer Sozialstation und einer Begegnungsstätte. Die Anlage bietet zahlreiche Möglichkeiten für die Bewohner, sich untereinander und mit anderen Menschen aus ihrem Viertel zu gemeinsamen Aktivitäten zu treffen.

Etliche solcher Projekte, die selbstbestimmtes Leben im Alter ermöglichen, wurden bei der Tagung vorgestellt. Doch "es gibt noch viel zu viele Wohnungen mit Barrieren", sagte Reinhard Zingler, Vorstand des kirchlichen Wohnungsunternehmens Joseph-Stiftung in Bamberg.

Die Wohnungsunternehmen und Genossenschaften seien sehr interessiert daran, dass sich dieser Zustand ändere. Für viele Unternehmen sei der Abbau von Barrieren bei Modernisierungsmaßnahmen mittlerweile selbstverständlich. Bei der Vermietung von barrierefreien Wohnungen gebe es allerdings oft Probleme. Eine rollstuhlgerecht umgebaute Wohnung mit einer ebenen, befahrbaren Dusche stoße bei "Normal-Bewohnern" häufig auf Vorbehalte, weil sie der oft negativ besetzten Vorstellung von alten- und behindertengerechtem Wohnen zugeordnet werde.

Die Vorbehalte könnten sich verringern, wenn die Entwicklung weg vom altengerechten Bauen hin zum "Bauen für alle" gehe, sagte Professor Hartmut Häußermann, Stadtsoziologe an der Berliner Humboldt-Universität. Er zitierte einen Architekten, der dieses Anliegen genau auf den Punkt gebracht habe: "Entwickle für die Jungen, und du schließt die Alten aus. Entwickle für die Alten, und du schließt die Jungen ein."

Architekten, Wohnungsunternehmen und Bauträger müssten viel stärker für das Thema sensibilisiert werden - "das steht an", erklärte Zingler. Dazu gehöre auch die Information darüber, dass barrierefreies Wohnen nicht mit höheren Kosten für Investition und Unterhalt einhergehe, sondern vor allem planerisches Wissen erfordere. Gerade kleinere Unternehmen und Genossenschaften seien hier oft überfordert und brauchten Unterstützung auch seitens der Politik.

"Es ist nicht eine Frage des Geldes, sondern des Kopfes", bestätigte Georg Schmid, Staatssekretär im bayerischen Innenministerium. Es gehe um Ideen und Konzepte. Deswegen habe die Oberste Baubehörde im Juli 2005 das Modellvorhaben "Wohnen in allen Lebensphasen" gestartet. Ziel sei die Entwicklung flexibler, alltagstauglicher Gebäudekonzepte, die den demografischen Veränderungen gerecht werden können. Zwölf Projekte in ganz Bayern wurden inzwischen für das Projekt ausgewählt.

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