Wohnen im Alter:"Alles, nur nicht bescheiden"

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Seniorenwohnanlagen liegen im Trend. Aber noch fehlen bundesweite Qualitätsstandards.

Ute Semkat

(SZ vom 26.07.2002) "Sie haben es sich verdient." Mit dieser aus einer Lifestyle- Fernsehwerbung entlehnten Zeile umwirbt die Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft Neuwoges ihre älteren Mieter. Hinter der Empfehlung: "Wohnen im Alter - Alles, nur nicht bescheiden" steckt ein vergleichsweise neues Angebot zwischen "normaler" Wohnung und dem Alten- oder Pflegeheim.

Trend: Immer älter, immer fiter

Nach einer Umfrage des Finanzmagazins Der Vermögensberater möchten die Deutschen im Alter am liebsten in einer Seniorenresidenz leben: Während knapp 43 Prozent der interviewten Bürger hoffen, bis zum Lebensende weiterhin in der vertrauten eigenen Wohnung zu bleiben, würden rund 44 Prozent eine Anlage des Betreuten Wohnens bevorzugen.

Klar fällt das abschlägige Urteil zum klassischen Altenheim aus: Lediglich 3,3 Prozent der Senioren möchten dort ihren Lebensabend verbringen. Dieser Trend entspricht der heutigen Lebenssituation: Immer mehr Menschen werden immer älter und bleiben dabei immer rüstiger. Sie wollen selbstständig und selbstbestimmt ihren Lebensabend gestalten - aber im Notfall Hilfe in der Nähe haben.

Hilfe auf Knopfdruck

Bei Neuwoges zum Beispiel können die Mieter für monatlich 17,90 bis 27,50 Euro (abhängig von der Beteiligung der Pflegekassen) einen kleinen Sender um den Arm oder als Kette tragen, der in jeder Gefahrensituation auf bloßen Knopfdruck über eine drahtlose Dauerverbindung Hilfe herbeiruft - auch aus der Badewanne heraus.

Beachtliches Marktpotenzial

Der Markt für Betreutes Wohnen ist enorm. Von den über 60-Jährigen Deutschen leben nach offiziellen Schätzungen heute rund 150.000 Menschen in 3500 betreuten Wohnanlagen, das Angebot hat sich im vergangenen Jahrzehnt immerhin mehr als verdreifacht.

Ein zusätzlicher Vorteil für jeden Investor ist es, dass Senioren als Mieter wirtschaftlich relativ gesichert sind, ruhig leben und pfleglich mit ihren Wohnungen umgehen.

Schwarze Schafe

Allerdings sind die Angebote im Niveau und Preis sehr unterschiedlich, es gibt "viele Mogelpackungen und etliche schwarze Schafe", wie Franz-Georg Rips, Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes, feststellen muss. So wurden Beispiele bekannt, dass am Markt nicht mehr absetzbare Wohnblöcke mit Mini-Wohnungen ohne altersgerechten Umbau als Seniorenimmobilien zu Höchstpreisen veräußert wurden. Oder es wurde bei gleicher Grundbetreuung der doppelte Preis verlangt wie bei einem anderen Anbieter.

Häufigste Mängel

Der Gerontologe Winfried Saup, Projektleiter der ersten deutschen Langzeituntersuchung zum Betreuten Wohnen, hat im Rahmen der Studie die häufigsten Mängel so genannter altersgerechter Wohnung aufgelistet:

fehlende Gemeinschaftsräume, zu kleine Küchen, zu große Entfernung zu Läden und Arztpraxen.

Das Problem ist, dass der Begriff Betreutes Wohnen gesetzlich nicht geschützt ist und statt verbindlicher bundesweiter Standards nur Planungsempfehlungen existieren.

Appartements mit Gütesiegel

Einige Bundesländer wie Bayern oder Sachsen- Anhalt verleihen deshalb Qualitätssiegel. "Wer zukünftig Betreutes Wohnen anbietet, wird über kurz oder lang nicht an unserem Qualitätssiegel vorbeikommen, denn die potenziellen Kunden werden dieser Informations- und Entscheidungshilfe sicher einen hohen Stellenwert beimessen", ist Sachsen- Anhalts Bauminister Karl-Heinz Daehre überzeugt.

Kriterien der Güte

Der "Gütestempel" in Sachsen- Anhalt verlangt zum einen, dass die baulichen Kriterien nach DIN 18025 Teile 1 und 2 ("Wohnungen für Rollstuhlbesitzer" und "Barrierefreie Wohnungen" eingehalten werden. Außerdem muss das angebotene Dienstleistungspaket transparent sein und Wahlfreiheit gewährleisten.

Vorzeigeobjekt

Die TLG Treuhand Liegenschaftsgesellschaft Magdeburg hat mit dem "Pegasus" - benannt nach der zuvor dort abgerissenen Gaststätte dieses Namens - eine Seniorenwohnanlage gebaut, die solche Voraussetzungen abstrichlos erfüllt:

Die junge Architektin Sandra Scharf aus dem Magdeburger Architekturbüro ACM sorgte für schwellenlose Verbindungen und extrabreite Türen zwischen den Zimmern und zum Balkon, die auch Rollstühle ungehindert durchlassen. In großzügigen Bädern kann zusätzlich eine Pflegeperson Platz finden, und niedrige Fensterbrüstungen erlauben das Hinaussehen auch im Sitzen oder Liegen. Die Balkone und Terrassen sind mit neun bis 17 Quadratmetern Fläche großzügiger bemessen, als es die meisten Mieter aus ihren Platten- oder Altbauwohnungen kennen.

Allerdings weiß Architektin Scharf aus Mietergesprächen, dass sie in ihrem nächsten Seniorenhaus statt der Balkone geschütztere Loggien bauen lässt, weil die Älteren "ein Eckchen, wo es nicht zieht", bevorzugen. Architektin Scharf, die zuvor in Weimar das Eingangsgebäude für eine Jugendbegegnungsstätte entworfen hatte, legt Wert auf viel Raum an frischer Luft und viel Grün: Darauf sollen die Senioren auch bei eingeschränkter Mobilität oder sogar Bettlägerigkeit nicht verzichten müssen.

Das fünfstöckige Haus inmitten eines pastellblassen Plattenbauviertels aus den 70-er Jahren zieht mit seiner orangenfarbenen Fassade und den verschiebbaren Holzelementen vor den Balkonen alle Blicke auf sich. Sandra Scharf spricht von "mediterranen, lebendigen Wohlfühlfarben", die Wärme vermitteln und eben auch Selbstbewusstsein ausstrahlen.

Auf der begrünten Dachterrasse über dem Erdgeschoss mit Frisör, Zahnarzt, Physiotherapeut und Versicherungsbüro können die Mieter an Sommerabenden zu einem Schwatz zusammen kommen, alle Wohnungen sind über Laubengänge an der Fassade zu erreichen.

Mitten im Leben

"Unsere altersgerechten Wohnungen liegen inmitten von Stadtteilzentren, in denen alle anderen Altersgruppen vertreten sind", erklärt TLG-Niederlassungsleiter Hans-Jürgen Biet. Dienstleistungen müssen direkt in der Nähe sein. Zur Massage ins Erdgeschoss gelangen die betagten Mieter zum Beispiel bequem mit dem Fahrstuhl, ohne erst das Haus verlassen zu müssen.

Betreuung im Paket

Betreut wird das "Pegasus" vom Malteser Hilfsdienst, der außer Pflegediensten und 24-Stunden-Notruf auch Fahr- und Einkaufsdienste, Essen auf Rädern, Haushaltshilfe sowie Kultur- und Bildungsveranstaltungen im Gemeinschaftsraum anbietet. Für die Malteser ist die Fürsorge für so viele Senioren an einem Ort allemal kostengünstiger, als wenn der gleiche Service verteilt über die Stadt angeboten wird.

Das Betreuungspaket kostet circa 76 Euro. 35 Wohnungen mit 43 beziehungsweise 62 Quadratmetern Wohnfläche gibt es im "Pegasus". Der Quadratmeter-Mietpreis von sechs Euro bewegt sich nicht wesentlich über dem von "normalen" gut ausgestatteten Wohnungen in solcher Lage. Das ist möglich, weil auch die zusätzlichen Kosten des Bauherren für das altersgerechte Bauen "nicht signifikant" waren, meint Biet.

Der geringe Mehraufwand lohnte sich für den Investor schon deshalb, weil die Vermietung trotz des sonstigen immensen Leerstands in Magdeburg keinerlei Probleme bereitet hat - ein Bauschild genügte, und alle Wohnungen im "Pegasus" waren vom Zeichenbrett weg vermietet. 70 Interessenten stehen auf der Warteliste. Die TLG hat deshalb inzwischen zwei weitere Seniorenanlagen in Magdeburg in Angriff genommen und auch dafür etwa fünfmal so viel Anfragen wie Wohnungen.

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