Weissenhofmuseum in Stuttgart:Musterhaus für die Städter

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Die Weissenhofsiedlung gilt als Monument der Moderne: Statt Mief, Plüsch und Plunder zieht technischer Fortschritt in die Wohnkultur ein. Nun wurde das Museum im Doppelhaus Le Corbusiers eröffnet.

Adrienne Braun

An alles hatte Le Corbusier gedacht, nur nicht an die Romantik. Praktikabel, kühl, kühn sollte der Städter wohnen. Wenn aber der Mann am Morgen zu seiner Frau gesagt hätte "Schatz, bleib liegen, ich mach schon mal Frühstück", so wäre es kompliziert geworden. Weil die Betten in den Schrank geschoben werden müssen, um ans Geschirr zu kommen. Weil die Schiebewand zum Kinderzimmer offen sein muss, damit der Esstisch Platz hat. Sofern der Ehemann halbwegs schlank gewesen wäre, hätte er sich dann in die winzige Küche zwängen können, um einen Kaffee zu machen. Gemütlich - dafür hat Le Corbusier mit allen Mitteln gesorgt - wird es in diesem Haus garantiert nicht.

"Schatz, bleib liegen, ich mach schon mal Frühstück", funktioniert nicht im Doppelhaus, das Le Corbusier geplant hat. Denn das Bett müsste vorher erst in den Schrank geschoben werden, damit man an das Geschirr kommt. (Foto: Foto: Weissenhofmuseum)

Aber als der Deutsche Werkbund 1927 renommierte Architekten einlud, in Stuttgart eine Mustersiedlung zu bauen, ging es um alles andere als Gemütlichkeit. Es sollte vielmehr Schluss sein mit Mief, Plüsch und Plunder, mit Teppichen und Troddeln, den Insignien behäbiger Bürgerlichkeit. Auf dem Stuttgarter Weissenhof wollte man die in der Tradition verhaftete Wohnkultur auf die Höhe des technischen Fortschritts bringen, funktionale und flexible Wohnmaschinen errichten für den modernen Großstadtmenschen, der berufstätig, mobil und gesundheitsbewusst ist. Glatte Böden und Flächen, die einfach zu reinigen sind, verschiebbare Wände. Terrassen, um Frischluft zu tanken. Räume für die körperliche Ertüchtigung - der Stuttgarter Architekt Richard Döcker ließ sogar eine Sprossenwand montieren.

Heute gilt die Weissenhofsiedlung als eines der wichtigsten Zeugnisse des internationalen Bauens der zwanziger Jahre - beziehungsweise das, was davon übrig geblieben ist. Denn nicht nur der Krieg hat der Siedlung zugesetzt (zehn Häuser wurden zerstört), sondern auch die Ignoranz. Stuttgart galt Ende der zwanziger Jahre noch als Hochburg der Avantgarde, doch die Weissenhofsiedlung wurde schon nach ein paar Jahren zum "Schandfleck" erklärt, dessen Fortschrittsgeist man mit allen Mitteln und Umbauten zu kaschieren versuchte. Das Terrassenhaus von Peter Behrens bekam Satteldächer aufgesetzt, das Haus von Bruno Taut wurde nach dem Krieg wiederhergerichtet und musste schließlich doch einem Neubau weichen. Auch nach Kriegsende lebte der Geist der Nationalsozialisten munter fort - und wiederholt wurde gefordert: weg damit.

Es hat lang gedauert, bis der Wert der Siedlung in bester Stuttgarter Höhenlage erkannt wurde. Erst in den achtziger Jahren wurden die Musterhäuser saniert und rückgebaut. Und es hat weitere zwanzig Jahre gebraucht, bis Stuttgart das bekommen hat, was immer fehlte: ein Weissenhofmuseum. Nun ist es endlich eröffnet im Doppelhaus von Le Corbusier - das gute Chancen hat, im nächsten Jahr in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen zu werden.

Die Wüstenrot-Stiftung hat das Doppelhaus sorgfältig renoviert. In der linken Gebäudehälfte wird nun die Geschichte der Weissenhofsiedlung anhand von Modellen, Plänen und Kommentaren dokumentiert. In der rechten Hälfte wurde der Zustand wiederhergestellt, wie ihn die Besucher während der Werkbund-Ausstellung 1927 vorfanden. Der unmittelbare sinnliche Eindruck macht deutlich, wie gewaltig dieser Schritt in die Zukunft war: die konsequente Reduktion, die Schmuck nur als gewagte Wandfarbe zulässt, die Schiebefenster, der variable Grundriss. Wie ein Relikt aus alten Zeiten wirkt der Bratofen-Gasbrenner in der so pragmatisch gestalteten Küche - er galt damals als das fortschrittlichste Modell auf dem Markt.

Alle Häuser der Mustersiedlung wurden nach der Ausstellung vermietet, nur in das Doppelhaus von Le Corbusier wollte niemand ziehen - die Idee, den Wohnraum multifunktional wie einen Schlafwagen im Expresszug zu gestalten, war radikal, aber nicht praktikabel. Im Winter kalt, im Sommer heiß, die Treppe eng, die Bibliothek klein, die ständigen Umbauten im Wohnraum lästig. "Das Corbusierspiel oder Das Kamel im Nadelöhr" höhnte die Presse. Eine Karikatur zeigte eine Frau, die ihren Mann samt Bett in den Schrank verfrachtet: "Der olle Dussel schnarcht wieder mal zu doll! Rin mit ihm in den Bettschrank!"

Schließlich zog ein Kunstprofessor ein, nachdem ihm zugesichert worden war, dass er Wände rausreißen und die Gebäudehälften miteinander verbinden darf. Weitere gravierende Umbauten folgten. Inzwischen ist der Durchgang zum Museum wieder geschlossen, der Weg nach nebenan führt über die Dachterrasse, die mit einem fulminanten Blick über Stuttgart und mit Wänden in blau, mint und braun aufwartet. "Erstarrte Gedankenlosigkeit eines geistreichen Ästheten von Geschmack", schrieb der Architekt Paul Schmitthenner über das Doppelhaus; es sei gleichgültig, "in welchem Erdteil dieses Gebäude steht."

Die Ausstellung "Die Wohnung", wie sie offiziell hieß, spaltete die Architektenschaft. Mies van der Rohe, der das Projekt leitete, hatte die führenden Architekten eingeladen, doch diese gerieten wegen der Häuser Le Corbusiers miteinander in Konflikt. Paul Schmitthenner trat aus dem Werkbund aus, die Traditionalisten gründeten 1928 den "Block", während die Modernen in der Schweiz die CIAM ins Leben riefen, den Kongress internationaler, moderner Architektur.

Die Ausstellung im neuen Weissenhofmuseum beschränkt sich nicht darauf, den Durchbruch eines neuen Baustils zu feiern, sie macht auch deutlich, wie stark Architektur zu allen Zeiten ideologisch und politisch missbraucht wurde. So wollte zum Beispiel der Stuttgarter Gemeinderat, noch voller Nachkriegs-Ressentiments gegen Französisches, Le Corbusier (der in Wirklichkeit einen Schweizer Pass hatte) aus der Gruppe der Planer ausschließen - "aus nationalen Gründen".

Weissenhofmuseum im Haus Le Corbusier, Rathenaustraße 1. Geöffnet Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18, Donnerstag bis 20 Uhr.

© SZ vom 15.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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