Warten auf EuGH-Entscheidung:Steinbrück bangt um fünf Milliarden Euro

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Fünf Milliarden Euro könnte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) den deutschen Fiskus kosten - zumindest dann, wenn das Gericht dem Antrag seiner Generalanwältin folgt.

Daniela Kuhr

Es geht um den Fall Meilicke (benannt nach einer Familie aus dem Bonner Raum), der den EuGH schon seit einiger Zeit beschäftigt.

Folgt der EuGH im Fall Meilicke der Empfehlung der Generalanwältin, könnte das für den deutschen Fiskus teuer werden. (Foto: Foto: imago)

Auf Anhieb klingt er gar nicht so dramatisch. Schließlich geht es um eine Vorschrift, die seit ein paar Jahren ohnehin nicht mehr gilt: die Besteuerung von Dividenden nach dem sogenannten Anrechnungsverfahren bis zum Jahr 2000. Doch Steinbrück befürchtet bereits das Schlimmste.

Das ging aus der Pressemitteilung hervor, die der Finanzminister im vergangenen Oktober veröffentlichte - unmittelbar nachdem die Generalanwältin Christine Stix-Hackl ihre Schlussanträge gestellt hatte:

Sollte sich das Gericht die Rechtsansicht der Generalanwältin zu eigen machen, würde das "eine massive Gefährdung der erfolgreichen Konsolidierungsstrategie der Bundesregierung bedeuten", schrieb Steinbrück und sprach von "unmittelbaren negativen Auswirkungen für Deutschland und seine Bürgerinnen und Bürger".

Erzürnter Steinbrück

Auch vor drastischen Ausdrücken schreckte der Finanzminister nicht zurück: Stix-Hackls Ansichten seien "grotesk" und "haltlos", verstießen "gegen allen Sachverstand" und verletzten "fundamentale Interessen eines Mitgliedsstaats und seiner Bürgerinnen und Bürger".

Das Verfahren, dem Steinbrücks Unmut gilt, geht zurück auf eine Anfrage des Finanzgerichts Köln vom Juni 2004 beim EuGH. Die Finanzrichter wollten wissen, ob die Besteuerung von Dividenden in Deutschland bis zum Jahr 2000 gegen Europarecht verstieß.

Damals konnten sich Anleger in Deutschland die von Unternehmen gezahlte Körperschaftsteuer auf ihre persönliche Einkommensteuerschuld anrechnen lassen. Dafür erhielten sie von der Aktiengesellschaft eine Steuergutschrift, die drei Siebtel der bei der Hauptversammlung beschlossenen Bardividende entsprach.

Keine Gleichbehandlung von in- und ausländischen Firmen

Dies galt allerdings nur für inländische Unternehmen. Besaß der Anleger Anteile von ausländischen Aktiengesellschaften, erhielt er keine Steuergutschrift. Das Finanzgericht Köln sah darin einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit.

Im November 2005 schloss sich Generalanwalt Antonio Tizzano in seinen Schlussanträgen vor dem EuGH dieser Ansicht an. Gleichzeitig empfahl er dem Gericht jedoch, die Wirkung des Urteils zeitlich zu beschränken, weil die Bundesregierung sonst mit Steuererstattungen von bis zu fünf Milliarden Euro rechnen müsse.

Die Anleger, die in den Jahren des Anrechnungsverfahrens ebenfalls Anteile von ausländischen Aktiengesellschaften besessen hatten, sollten also nur für einen bestimmten Zeitraum Geld vom Fiskus zurückverlangen können.

Im Finanzministerium zeigte man sich daraufhin erleichtert und sprach von einem "wichtigen Etappensieg" - doch zu früh gefreut. Die EuGH-Richter sahen weiteren Aufklärungsbedarf. Anfang Oktober vergangenen Jahres kam es erneut zu Schlussanträgen - diesmal allerdings nicht von Tizzano, da dieser mittlerweile vom Generalanwalt zum Richter avanciert war.

Generalanwältin gegen Finanzminister

Stattdessen plädierte Stix-Hackl. Und das, was die Generalanwältin empfahl, ging Steinbrück gehörig gegen den Strich: Die Wirkung eines Urteils dürfe nur dann zeitlich begrenzt werden, wenn die "Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen besteht" und es eine "bedeutende Unsicherheit" über die Auslegung des europäischen Rechts gegeben habe.

Beide Voraussetzungen lägen in diesem Fall nicht vor, meinte Stix-Hackl. Der Hinweis, dass es für die Bundesregierung um fünf Milliarden Euro geht, sei "für sich allein kein ausreichender Nachweis". Der Finanzminister schäumte, doch Steuerrechts-Experten teilen die Ansicht der Generalanwältin.

"Natürlich ist das eine Niederlage für die Bundesregierung, die sich für eine zeitliche Begrenzung stark gemacht hatte", sagt Ingmar Dörr, Steuerexperte bei der Kanzlei Lovells in München.

"Doch die Meinung der Generalwältin ist nur konsequent, wenn man bedenkt, dass einige Mitgliedsstaaten bei ihren Steuergesetzen in der Vergangenheit womöglich absichtlich einen Europarechtsverstoß in Kauf genommen haben, um den eigenen Haushalt zu schonen."

"Endlich sagt jemand: So geht das nicht"

Schließlich sei gerade bei der Dividendenbesteuerung schon längere Zeit erkennbar gewesen, dass das Anrechnungsverfahren gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstößt. Das Finanzministerium habe da wohl "ein bisschen Katz und Maus gespielt", meint Dörr. "Vor diesem Hintergrund finde ich es gut, dass es beim EuGH offensichtlich jemanden gibt, der sagt, so geht das nicht."

Auch Ulrich Derlien, Steuerberater bei der Münchner Kanzlei Peters, Schönberger & Partner, hält die Ansicht der Generalanwältin für richtig. "Deutschland hat die EU-Verträge seinerzeit unterschrieben und kannte die Verpflichtungen", sagt er. "Eine Schutzbedürftigkeit kann ich da seit längerem nur mehr schwer erkennen."

Offen ist allerdings, ob das Gericht dem Antrag der Generalanwältin auch tatsächlich folgen wird. Zwar macht es das in etwa 80 Prozent aller Verfahren, "ich vermute aber, dass die Richter ihre Entscheidung letztlich doch zeitlich begrenzen werden", sagt Dörr. "Beim EuGH gibt es eine immer stärkere Tendenz, den finanziellen Bedenken der Mitgliedsstaaten Rechnung zu tragen."

Ein Termin, zu dem der EuGH das Urteil im Fall Meilicke verkünden will, steht noch nicht fest. Allgemein erwartet wird es jedoch für die erste Hälfte dieses Jahres.

© SZ vom 09.01.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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