Vorschriften kontra Kreativität:Den Bebauungsplan elegant umschiffen

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Wer individuell bauen möchte, stößt schnell an Grenzen. Oder man versucht, Regulierungen auszuhebeln und verwirklicht sich abseits der kommunalen Ästhetik.

Oliver Herwig

Für viele steht das Feindbild fest: der Bebauungsplan, vor dessen Tücke selbst die gewitztesten Architekten kapitulieren müssen. Dabei wird der Weg zum Traumhaus seit Jahren einfacher. Verwaltungs- und Bauordnungsreformen sorgten für weniger Vorschriften.

Wer lieber individueller wohnt als in der Münchner Heßstraße, träumt oft vom eigenen Haus. Selbst als Bauherr muss man aber wissen, wie Kreativität legal bleibt. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Die Novellen von 1994 und 1998 eröffneten den Kreativen mehr Freiraum, verlangten aber zugleich mehr Gewissenhaftigkeit bei der Planung. Die aktuelle, noch nicht verabschiedete Fassung des Bauordnungsregulierungsgesetzes, macht es noch leichter, das Traumhaus durchzusetzen.

Präventive Kontrolle entfällt

Hält sich der Bauherr an den Bebauungsplan, muss er überhaupt keinen Bauantrag mehr stellen, verlässt er hingegen das kommunale Baurecht, wie es im Juristen-Deutsch heißt, entfallen bei der Prüfung seines Antrags bislang obligatorische Elemente wie Abstandsflächen, Baugestaltung und Stellplätze.

Wohlgemerkt: Nur die präventive Kontrolle entfällt. Es sei halt wie auf dem Weg zur Autobahn, erklärt ein Experte der Obersten Baubehörde. Da stehe kein Polizist und frage, wie schnell man zu fahren gedenke. Trotzdem würden bei Verkehrskontrollen Raser zur Kasse gebeten.

Bausünde Flachdach

Bebauungspläne sind nur so gut wie die Menschen, die sie erstellen oder überwachen. Wolfgang Bachmann, Chefredakteur der Zeitschrift Baumeister, kennt die Problematik von Häusern, die von der Norm abweichen: "Manchmal sind die Behörden so schlimm, dass bereits Panoramafenster oder Flachdächer als Verstöße gelten".

Andererseits könnten die Behörden nicht viel gegen das tun, was gebaut sei - die normative Kraft des Faktischen. Was steht, steht, und sei es die größte Scheußlichkeit. Die müsse schon einsturzgefährdet sein, damit man etwas dagegen unternehmen könne, meint Bachmann. Ästhetik lässt sich nicht ins Regelwerk von Gesetzen packen.

Dachgauben auf sehr flachem Dach sind hässlich, was nicht heißt, dass es nicht auch dafür elegante Lösungen gäbe. Geschmacksverirrungen beginnen früher. Blaue Dächer mit Rundsäulchen unterm Walmdach bilden in Bayern zwar die Ausnahme, Extrawürste beim Bauen sind aber auf dem Vormarsch, auch wenn es im Freistaat noch einen gewissen Konsens darüber gibt, wie ein Haus auszusehen habe.

Die Bauordnung als sportliche Herausforderung

Das mag kreativen Häuslebauern und ambitionierten Architekten das Leben schwer machen, es bleibt eine letzte Versicherung gegen völlig gestaltlose Siedlungen - die es auch so gibt - und Egotrips überdimensionierter Fincas auf dem Lande. Bauordnungen und wie man sie aushebelt bleiben ein Sport für Architekten, sich elegant über bestehende Vorschriften hinwegzusetzen. Und mit jedem genialen Wurf deren Schwachstellen aufzuzeigen.

Früher war alles sicherer. Da waren sogar die Abstände der Stäbe eines Geländers bei einem Einfamilienhaus festgelegt und deren Höhe. Statt genauer Normen gibt es nur noch Gummiformulierungen wie "ausreichend sicher". Was das im Einzelnen heißt, müssen die Architekten entscheiden.

Haftungsrisiko beim Architekten

Der eine klammert sich weiter an die nicht mehr bindende Vorschrift, der andere entwirft Treppen, die wie Skulpturen durch den Raum pflügen. Wunderschön anzuschauen, aber vielleicht nicht ganz so sicher. "Die Crux an der Sache liegt woanders", klagt ein Ingenieur, "nämlich beim Haftungsrisiko der Architekten in einem Zivilprozess".

Da können Geschädigte Schadenersatzansprüche geltend machen, weil bindende Vorschriften nun fehlten. "Je mehr der Staat Prüfungen zurückbaut, desto mehr Qualifikationen werden bei den Partnern, den Architekten, vorausgesetzt". Gabriele Famers, Ministerialrätin in der Obersten Baubehörde, sieht die Entwicklung mit einem lachenden und einem weinenden Auge. "Haben wir Vorschriften, sind sie lästig, haben wir sie nicht, fehlen sie". Die Diplomingenieurin spricht aus Erfahrung, denn die neue Freiheit kam bei Baumeistern nicht uneingeschränkt gut an.

Eindeutige Regelungen, wie es sie früher gab, geben eben auch Sicherheit. Besonders im Verhältnis von Architekt und Bauherr ändere sich die Position des Baumeisters. Famers, die am Kommentar der Bayerischen Bauordnung mitgewirkt hat, bringt es auf die Formel: "Sie haben nicht mehr die Bauaufsichtsbehörde im Kreuz, wenn sie gegenüber dem Bauherren auf Einhaltung des öffentlichen Rechts beharren".

Willkürliche Siedlungen wird es nicht geben

Ohnehin liegt nicht alles am Baurecht. Wo der Staat Gestaltungsräume eröffnet, treten DIN-Normen auf den Plan, die Architekten ohnehin einhalten müssen. Die neue Lässigkeit beim Bauen wird wohl nicht kommen, auch nicht amerikanische Verhältnisse völlig gestaltloser, willkürlich zusammengewürfelter Siedlungen. Das Problem bleibt die Einzelfallprüfung. Andererseits sind Architekten eine Spezies, die gerade in schwierigen Situationen zu den besten Lösungen findet.

Nichts ist schlimmer als die berühmte grüne Wiese, auf der alles erlaubt ist. Das Einfamilienhaus funktioniert auch in Zukunft am besten, wenn es eine feste Konstellation gibt: einen Bauherren, der etwas Eigenes will, einen Baumeister, der sich nicht zufrieden gibt mit dem erst besten Entwurf und eine Bauaufsicht, die einen Blick hat für die Bedeutung ihrer Aufgabe: nicht Neues partout zu verhindern mit dem Hinweis auf Vorschriften, sondern nur die schlimmsten Auswüchse verhindern soll. Über den Rest lässt sich dann trefflich streiten, notfalls vor Gericht.

© SZ vom 18.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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