Vorboten einer Rezession:Höhere Zinsen für kurze Laufzeiten

Lesezeit: 3 min

Die Zinswelt ist verkehrt: Langfristige US-Staatsanleihen rentieren schlechter als kurzfristige. Es ist also an der Zeit, umzudenken.

Simone Boehringer

Bis Mittwochnachmittag wird die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) wieder die Märkte in Atem halten. Zwar rechnet das Gros der Marktbeobachter diesseits und jenseits des Atlantiks bislang damit, dass Fed-Chef Ben Bernanke vorerst einen weiter gleichbleibenden Leitzinssatz von 5,25 Prozent verkündet.

Fed-Chef Ben Bernake hält die Märkte in Atem. (Foto: Foto: AP)

Aber selbst wenn sich die US-Währungshüter nach den jüngsten Inflationswarnungen namhafter Ökonomen bei der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Singapur doch noch einmal zu einer Anhebung durchringen sollten - für die Zinsstruktur und damit für die längerfristigen Aussichten am Anleihenmarkt dürfte die Entscheidung kaum Auswirkung haben.

Nachlassende Konjunkturerwartung ist ein Hauptgrund

Die Hauptgründe hierfür liegen "in der in der jüngeren Historie einmaligen Kombination aus einem grundsätzlich niedrigen Zinsniveau und Inflationssorgen bei gleichzeitig nachlassenden Konjunkturerwartungen", meint Michael Rottmann, Leiter der Zins- und Devisenstrategie bei der HypoVereinsbank.

In den USA hat diese Situation bereits zu einer so genannten inversen Zinsstruktur geführt. Das heißt: Anleger, die dem Staat etwa für zwei Jahre über einen Anleihenkauf Geld leihen, bekommen mehr Rendite dafür (derzeit 4,88 Prozent) als wenn sie ein zehnjähriges Staatspapier (4,81 Prozent) erwerben.

Motivation für Langfristanlagen fehlt

Und auch in Europa hat sich das aktuelle Zinsniveau von vergleichbaren kurz- und langfristigen Rentenpapiere bis auf zuletzt 0,12 Prozentpunkte angenähert. "Es gibt also kaum mehr Risikoprämie für langfristige Engagements. Damit entfällt für viele Investoren eine der wichtigsten Motivationen für die Langfristanlage überhaupt", so Rottmann.

Er rechnet zudem nicht damit, "dass die derzeit historisch niedrigen Renditen auf absehbare Zeit durch Kursgewinne erhöht werden können, da der Markt im Zuge gedämpfter Konjunkturerwartungen mittelfristig um das derzeitige Zinsniveau pendeln wird". Die Renditen "werden bis Ende nächsten Jahres so niedrig bleiben", meint auch Christoph Balz, Rentenanalyst der Commerzbank. Privatanlegern rät er in diesem Umfeld bei Neuengagements zu "Laufzeiten um die fünf Jahre". Diese böten derzeit "das beste Chance-Risiko-Verhältnis".

Kurzfristige Anlagen ohne große Verluste möglich

Wer mögliche gebührenträchtige Umschichtungen vermeiden will, kann allerdings in Europa sein Geld auch kurzfristiger am Geldmarkt parken, ohne dadurch große Verluste befürchten zu müssen. Für dreimonatiges Festgeld etwa werden derzeit bis zu rund drei Prozent gezahlt.

Selbst für jederzeit verfügbare Mittel auf Geldmarktkonten zahlen einige um Neukunden buhlende Institute annähernd drei Prozent. Und weitere Leitzinserhöhungen der EZB, wie sie von der Mehrzahl der Marktbeobachter zumindest für Anfang Oktober und Ende des Jahres vorausgesagt werden, "schlagen als erstes am kurzen Ende durch", wie es im Analystendeutsch gerne heißt.

Die am Montag aus EZB-Kreisen durchgesickerte Nachricht, dass die europäischen Währungshüter sogar schon über weitere Schritte in Richtung vier Prozent oder gar darüber hinaus nachdenken, spricht ebenfalls für kurzfristige Anlagen.

Auch in Europa sinkt der Renditeunterschied zwischen zehn- und zweijährigen Staatsanleihen. In den USA erhält man inzwischen sogar höhere Zinsen für Kurz- als für Langläufer. Die Kurve ist daher dort ins Minus gerutscht. (Foto: SZ Grafik/Quelle: Reuters)

Langfristig könnte eine solch straffe EZB-Politik in Euroland allerdings kontraproduktiv wirken, wenn sich dadurch die ohnehin flache Zinsstruktur vollends umkehrt. Dazu bedarf es allerdings nach Ansicht der meisten Ökonomen einer Anhebung des Leitzins-Niveaus von derzeit drei auf vier Prozent.

Baldige Zinswende in den USA

"Für die Entwicklung der Langläufer in Euroland ist die Strategie der Fed entscheidender als die EZB-Politik", erklärt Commerzbank-Mann Balz. Und hier rechneten nach einer Umfrage des Finanzdienstes Bloomberg unter 80 Analysten zuletzt die meisten mit einer baldigen Zinswende in den USA. Sogar bis zu zwei Zinssenkungen trauen die Befragten demnach Fed-Chef Bernanke zu.

Gernot Griebling, leitender Anleihenstratege bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), kann diese Erwartungen so nicht teilen. "Das Protokoll zur letzten Fed-Sitzung im August enthielt keinerlei Hinweise auf eine Zinssenkung." Er halte daher die in den USA vorherrschenden niedrigen Renditen für Langläufer für nicht gerechtfertigt, mit allen negativen Folgen für die "vom dominierenden US-Markt" abhängigen Renditen in Euroland.

Fundamental betrachtet hält er die Zinsstruktur in Euroland für viel zu flach; wenigstens 0,7 Prozentpunkte Differenz zwischen zehn- und zweijährigen Bonds seien angesichts der Wachstums- und Inflationserwartungen angemessen statt der vorherrschenden zehn bis 15.

Rezession möglich

Historisch betrachtet waren Zeiten inverser Zinsstrukturen oft Vorboten einer sich abzeichnenden Rezession. In den USA wird dies - oder zumindest eine deutliche Abschwächung der Konjunktur - vorausgesagt. Abhängig von der weiteren Entwicklung des Ölpreises, aber vor allem von der Preisentwicklung am Immobilienmarkt halten Experten in den nächsten Monaten vieles für möglich.

Auch die Fed hat sich in ihrem jüngsten vorbereitenden Schriftstück für die Notenbanksitzung am Mittwoch, dem so genannten Beige Book, bislang nicht eindeutig festgelegt und diskutiert verschiedene Szenarien. Alles andere als eine abwartende Haltung, also zumindest ein vorläufiger Verzicht auf eine mögliche 18. Leitzinserhöhung infolge, wäre daher eine große Überraschung.

© SZ vom 19.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: