Von mir aus:Lieber Mauern statt Menschen

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Juan Moreno mischt sich in Dinge ein, die ihn nichts angehen. Deshalb ist er sehr froh, dass er nur ganz selten hören muss, was sich zwei ältere Damen über ihre Balkone hinweg zu sagen haben.

Wenn ich in Berlin aus meinem Wohnzimmer schaue, sehe ich eine unverputzte und sehr hässliche Mauer. Der Vermieter sagte bei der Besichtigung, dass er diese Mauer liebe, ihre schroffe Schönheit, ihre Kargheit, das sei toll. Ich fragte ihn, ob er von seinem Wohnzimmerfenster aus auch auf eine unverputzte Mauer schaue. Er antwortete, nein, leider nicht. Er blicke auf einen Park. Er erwartete Mitleid von mir. Ich hätte damals wirklich nicht gedacht, dass ich ihm irgendwann für die Mauer dankbar sein würde.

Das wäre doch eine Alternative: eine Mauer mit künstlichem Leben. (Foto: Foto: dpa)

Ich bin vermutlich ein normaler Mensch, und wie jeder normale Mensch neige ich dazu, mich in Dinge einzumischen, die mich nichts angehen. Ich bin neugierig, ein Schnüffler - darum ist es gut, dass ich eine Mauer vor dem Fenster habe.

Als ich letzte Woche bei meinen Eltern in Hanau war, sie haben freie Sicht auf die Balkone und Wohnzimmer der Nachbarn, hatte ich irgendwann das Gefühl, dass ich zu James Steward in Hitchcocks "Fenster zum Hof" mutierte. Ich schaute aus dem Fenster und überlegte mir, was diese Leute, in deren Wohnung ich gerade sehen konnte, für Menschen waren. Ich ertappte mich, wie ich mir wünschte, alles von diesen Menschen zu wissen, ihre Sorgen, ihre Geheimnisse, den Kontostand. Manchmal frage ich mich, was ich außer Journalist hätte werden können, wahrscheinlich ein recht brauchbarer Stasi-Beamter oder einer von Bushs innenpolitischen Beratern.

Schräg gegenüber vom Fenster meiner Eltern unterhielten sich zwei ältere Damen über ihre Balkone hinweg. Sie redeten über das Wetter. Der einen Frau war es zu warm. Sie habe den Wintermantel aus dem Keller geholt, und nun sei es so mild wie im Frühling. Ihr Sommermantel aber sei im Keller, sie komme erst wieder an ihn 'ran, wenn ihre Tochter in der nächsten Woche zu Besuch eintreffe.

Du Arme, dachte ich.

Die Antwort der Anderen klang forsch. Ihr könne so etwas nicht passieren, sie sei vorbereitet. Ihr Wintermantel sei immer im Schrank, in der Nähe. Man könne nicht so durchs Leben laufen und sich darauf verlassen, dass die Dinge schon funktionierten. Auf nichts verlasse sie sich, nicht mal auf den November. Daran, dass die Nachbarin jetzt schwitze, sei sie eigentlich selber schuld.

Du Schnepfe, dachte ich.

Sie habe eben nicht so viel Platz in der Wohnung, sagte nun die Eine. Ihre Wohnung sei halt sehr klein. Die Arme weiß nicht wohin mit dem Mantel, dachte ich. Die Andere antwortete: Für einen Mantel werde ja wohl noch Platz sein! Sie wolle sich nicht einmischen, aber sie sei ja schon mal in der Wohnung gewesen, und es gebe dort ihrer Meinung nach einige Sachen, die an Stelle eines Wintermantels in den Keller gehörten.

Was fällt der ein, dachte ich.

Die Eine war nun sauer, das konnte ich sehen, sie blieb aber ruhig. Naja, sie habe ja auch deshalb nicht so viel Platz, weil ihre Tochter ab und an vorbeikomme und übernachte. Es sei eben schön, wenn einen die eigene Familie noch sehen wolle, da nehme man die Enge gern in Kauf. Außerdem brauche sie keine große Wohnung, ihr Mann sei gestorben, nur der Tod konnte sie trennen, er sei nicht - wie in anderen Fällen - mit einer anderen durchgebrannt. Deshalb müsse sie auch nicht in einer großen Wohnung auf seine Rückkehr hoffen.

Ich schloss das Fenster und vermisste meine Mauer.

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