Virtuelle Welten:Finanzkrise im Weltall

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Irdische Probleme in der virtuellen Welt: Im Internet haben 300.000 Menschen ein eigenes Bankensystem aufgebaut - und das schwächelt nun. Wie die echten Geldinstitute.

Moritz Koch, New York

Die Schwerkraft verliert sich in der Unendlichkeit, nicht aber das Gesetz der Ökonomie. Darauf lassen die jüngsten Geschehnisse im Eve-Universum schließen, einem Teil der Milchstraße, Lichtjahre von der Erde entfernt. Zahlungsprobleme einer Großbank erschüttern das außerirdische Finanzsystem - und liefern Beobachtern vom Blauen Planeten, selbst krisengeplagt, wertvolle Einblicke in die Mechanismen unregulierter Märkte.

Die Krise macht auch vor virtuellen Welten nicht halt: Auch im Kosmos des Computerspiels Eve kämpfen die Charaktere mit einer Finanzkrise. (Foto: Foto: oh)

Zugegebenermaßen ist das Eve-Universum nicht real. Es handelt sich um eine Spielwelt, ein Reich der Phantasie, programmiert von der Softwarefirma CCP. Eve ist eines der erfolgreichsten Internetspiele.

300.000 Spieler tummeln sich im virtuellen All und schlüpfen in die Rolle von Weltraumpiloten. Sie tun und lassen, was sie wollen, gründen Firmen, schmieden Allianzen oder ziehen gegeneinander in den Krieg. Die Spieler haben kein Ziel, außer vielleicht, eines Tages ein besonders phantastisches Raumschiff zu steuern.

Das gleiche Finanzsystem, die gleichen Probleme

Eve ist eine Zukunftsvision. Ein Teil der Menschheit hat die Erde verlassen. Die Raumfahrer haben knallbunte Laserwaffen und hyperschnelle Antriebssysteme erfunden, nur das irdische Knappheitsproblem haben sie noch nicht gelöst. Kanonen und Schiffe kosten eine Menge Geld, interstellare Credits, um genau zu sein. Spieler beschaffen sich Credits auf den verschiedensten Wegen, etwa indem sie Rohstoffe abbauen und damit handeln - oder sich Geld bei einer Bank leihen.

Es gibt bei Eve ein eigenes Finanzsystem, und es funktioniert prinzipiell genauso wie das der Erde. Sparer können ihre Credits bei einer Bank hinterlegen und bekommen dafür Zinsen. Die Bank, die selbst von Spielern betrieben wird, verleiht die Einlagen weiter.

Wer einen Kredit aufnimmt, kommt schneller an sein Traumschiff. Alle profitieren. Das Ganze funktioniert reibungslos, bis etwas Unvorhergesehenes geschieht. So wie vor ein paar Tagen, als die E-Bank, das größte Finanzinstitut im Eve-Universum, von einem Untreueskandal erschüttert wurde.

Der Vorstandschef der E-Bank, ein Spieler mit dem Eve-Namen Ricdic, plünderte die Konten seiner Kunden und machte sich mit einem Teil des Ersparten aus dem Staub. Da hörte der Spaß auf bei den Hobbypiloten. Sie wollten ihr Geld zurück.

Weil die E-Bank aber, wie echte Banken auch, nur eine geringe Bargeld-Reserve hat und die Einlagen in Kredite oder Wertpapiere weiterinvestiert, kam sie mit den Auszahlungen kaum nach.

Wie es der Zufall will, wurde Eve im Pleitenstaat Island erfunden, in dem jüngst auch reale Banken ins Trudeln gerieten. Und die Weltraum-Währung "interstellare Credits" hat dasselbe Kürzel wie die abgestürzte isländische Krone - IKS.

Verwaltungsratschefs sehen in virtuellen Welten vielleicht anders aus als auf Erden, doch die Floskeln sind die gleichen: die Spielfigur Hexxx. (Foto: Foto: oh)

Gegenüber der E-Bank hatten Islands Banken aber einen Vorteil: Sie konnten sich in die Arme der Regierung retten. In der Eve-Welt gibt es keinen Staat, allenfalls die Programmierer von CCP kämen als höhere Instanz in Frage, aber Interventionen verstoßen gegen ihre Philosophie. Die Spieler sollen ihre Probleme untereinander lösen.

Das macht die Parallelwelt für Wissenschaftler interessant. So sieht Robert Bloomfield, Wirtschaftsprofessor an der Cornell University in Ithaca, New York, in Eve kein Spiel, sondern einen Marktplatz. Er hat mehrere Studien zum Thema Onlinewelten verfasst. Das virtuelle Jenseits ist sein Experimentierfeld, auf dem er Theorien testet.

Die Probleme der E-Bank sind so betrachtet ein Fallbeispiel für ruinösen Herdentrieb. Panische Abbuchungen von Anlegern sind der Albtraum aller Banker. Fotos von Kunden, die 2007 vor Filialen der britischen Finanzunternehmens Northern Rock Schlange standen, sind zu Sinnbildern der Krise geworden. Auch die US-Bank Lehman Brothers kam zu Fall, weil Investoren ihr Geld hastig abzogen.

Floskeln, die man kennt - von Lehman Brothers

Die E-Bank kämpft noch um ihr Überleben. Das Management hofft auf eine zweite Chance. Hexxx, der Verwaltungsratschef, versucht seine Kunden zu beruhigen: "Die Berichte über die Kapitalengpässe sind überzogen."

Hinter der Spielfigur Hexxx verbirgt sich Dave Carter, er ist 29 Jahre alt und arbeitet in Chicago bei einem großen Wirtschaftsprüfer. Er kennt die Floskeln der wahren Banker also und kopiert sie meisterhaft: "Wir haben noch Möglichkeiten, neues Kapital einzutreiben, etwa mit einen Aktienverkauf und durch die Herausgabe von Anleihen."

Gleiches hatten auch die Lehman-Chefs behauptet, bis kurz vor dem Untergang. Carter sagt es selbst: "Im Kern beruht jedes Wirtschaftssystem auf Vertrauen." Und das hat Ricdic zerstört.

Nicht einmal seiner gerechten Strafe kann der Schurke mehr zugeführt werden. "Wir würden sein Raumschiff abschießen, normalerweise", klagt Hexxx, "aber CCP hat ihn aus dem Spiel geworfen." Grund der Verbannung war nicht etwa Ricdics Betrug, sondern dass er das gestohlene Spielgeld in einem Online-Auktionshaus in 6000 Dollar umtauschte. Damit hat er gegen die einzige Regel verstoßen, die CCP den Spielern vorgibt: Keine Devisengeschäfte mit Spielgeld!

Die Eve-Gemeinde diskutiert derweil über die Lehren aus der Krise. Braucht die Kunstwelt eine Finanzaufsicht? Oder sogar eine Zentralbank? Nein, findet Carter. Es solle beim freien Spiel der Marktkräfte bleiben, das sei besser fürs Geschäft. Einen passenden Begriff für sein Wirtschaftsmodell hat er parat: Anarchokapitalismus.

© SZ vom 25.06.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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