Versicherungsvertreter verklagen die Allianz:"Wie stehe ich denn dann da"

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Ein Prozess in München bietet bizarre Einblicke in die Praxis der Versicherungswirtschaft: Weniger Provision für die gleiche Beratung - Vertreter aus ganz Deutschland sind in Rage.

Daniela Kuhr

"Na, wer hätte gedacht, dass unsere Verhandlung auf so großes Interesse stößt?", fragt die Vorsitzende Richterin Claudia Kammerlohr am Montagmorgen zu Prozessbeginn amüsiert in die Runde.

Etwa 20 Zuschauer, die meisten davon männlich, haben sich in dem kleinen Sitzungssaal im Landgericht München am Lenbachplatz eingefunden. Ganz überwiegend müssen sie stehen, da der Raum nicht auf solch einen Andrang eingerichtet ist.

Dabei hätte man sich eigentlich denken können, dass die Sache viele Menschen interessieren wird. Schließlich geht es um eine Klage, die von enormer Bedeutung für Deutschlands Versicherungswirtschaft ist - und ganz besonders für die etwa 10.000 Versicherungsvermittler der Allianz, Europas größtem Versicherungskonzern.

Der "Kompakttarif" in der Autoversicherung

Konkret dreht sich der Rechtsstreit um das Angebot der Allianz in der Autoversicherung. Lange Zeit hatte der Konzern in dem Bereich lediglich einen Tarif, doch 2005 schuf er mit dem "Kompakttarif" zusätzlich eine deutlich billigere Variante.

Gleichzeitig bestimmte die Allianz, dass die Vertreter für die Vermittlung dieses Tarifs 40 Prozent weniger Provision erhalten sollten als bisher für den anderen. Dagegen wehren sich die beiden Kläger, die seit vielen Jahren als Versicherungsvertreter ausschließlich für die Allianz tätig sind.

Es handelt sich um eine Musterklage, die von den Vertretervereinigungen unterstützt wird. Auch die Zuschauer am Montag sind ganz überwiegend Vertreter, die aus den unterschiedlichsten Teilen der Bundesrepublik angereist sind.

Tarife für Arme und Reiche

Die Kläger tragen vor, durch den neuen Tarif hätten sie deutlich mehr Arbeit als bisher. Sie müssten ihren Kunden nun beide Tarife erklären, den teureren und den billigeren, damit diese sich entscheiden können.

Eine Herabsetzung der Provision einseitig durch die Allianz sei daher nicht zulässig gewesen. Dem widerspricht der Anwalt des Versicherungskonzerns, Karl-Heinz Thume. "Die Vertreter können jetzt mehr vermitteln als früher, schließlich hat der Markt nach diesem Produkt verlangt.''

Ansonsten wäre das Geschäft womöglich weggebrochen. Und schließlich seien die Kläger keine Makler, von denen man unabhängige und umfassende Beratung verlangen könne, sagt Thume. Als Vertreter könnten sie sich stattdessen ihre Kunden aussuchen und ganz bewusst unterscheiden.

"Dann bieten sie eben den betuchten Kunden weiterhin nur den teureren Tarif an und den weniger betuchten den billigeren", meint der Anwalt, der vor Gericht die Interessen der Allianz vertreten soll.

Als "weltfremd" bezeichnen einige Vertreter diese Darstellung nach der Verhandlung. "Wie stehe ich denn da, wenn sich meine Kunden beim Stammtisch begegnen und dort erfahren, dass es auch noch billigere Tarife gibt'', fragt einer. "Ein seriöser Vertreter würde nie so handeln'', pflichtet ein anderer ihm bei.

Bei Tarifwechsel "weniger Provision"

Was sie an der Sache besonders ärgert: "Es geht ja nicht nur um Neukunden'', erklärt einer. "Wenn ich meine Kunden wirklich gut beraten will, muss ich auch denjenigen, die bereits seit Jahren den alten Tarif haben, von dem neuen erzählen." Dies an sich mache schon Arbeit, "und wenn sie dann tatsächlich wechseln, bekomme ich auch noch weniger Provision''.

"Ganz am Anfang dachte ich, das sei endlich mal ein einfacher Fall", sagt die Vorsitzende Richterin am Montag. Doch dieser Eindruck habe nicht lange angehalten. Beide Seiten könne sie verstehen.

"Natürlich muss ein Unternehmen mit neuen Produkten auf das Geschehen am Markt reagieren können", sagt Kammerlohr. "Nur: Müssen die Vertreter das hinnehmen, ohne ein Äquivalent zu erhalten?''

Entscheidend sei, ob der Kompakttarif ein komplett neues Produkt sei, bei dem die Allianz Preis und Provision natürlich frei festsetzen könne, oder ob er lediglich eine Variante des alten Tarifs sei.

Die Parteien haben nun bis 29. Mai Zeit, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Ende Juni will das Gericht eine Entscheidung verkünden. "Wie auch immer das Urteil ausfallen wird, für eine der beiden Seiten wird es katastrophal werden'', sagt der Münchner Anwalt Michael Köllner, der einen der beiden Kläger vertritt.

© SZ vom 08.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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