Verfassungsgericht angerufen:Rückwirkende Schlechterstellung durch Gesetzesänderung

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Immer wieder beschließt das Bundesfinanzministerium rückwirkend Änderungen von Steuergesetzen. Die Richter des Bundesfinanzhofs sind jedoch überzeugt, dass dies verfassungswidrig ist.

Daniela Kuhr

Der Bundesfinanzhof (BFH) in München zweifelt an der weit verbreiteten Praxis, Steuergesetze rückwirkend zu ändern. In zwei Verfahren, in denen Arbeitnehmer bei ihrem Ausscheiden eine Abfindung erhielten und im Zuge einer Gesetzesänderung plötzlich schärfer besteuert wurden, haben die obersten deutschen Steuerrichter jetzt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe angerufen.

Die Richter des Bundesfinanzhofs halten rückwirkende Änderungen von Steuergesetzen für verfassungswidrig. (Foto: Foto: dpa)

Sie sind überzeugt, dass die "rückwirkende Schlechterstellung" verfassungswidrig ist. Das aber kann abschließend nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Sollten die Karlsruher Richter der Ansicht folgen, "hätte dies über die beiden Streitverfahren hinaus weit reichende Folgerungen für die Beurteilung rückwirkender Steuergesetze", teilte der BFH am Mittwoch mit.

Hintergrund ist eine Gesetzesänderung von 1999

Hintergrund der beiden in Karlsruhe vorgelegten Verfahren ist eine Gesetzesänderung vom März 1999. Damals beschloss der Gesetzgeber, dass Entschädigungen, die ein Arbeitnehmer im Zuge einer Aufhebung seines Arbeitsvertrags erhält, anders als bislang zu versteuern sind: Es sollte nicht mehr nur der halbe Steuersatz gelten, sondern eine komplizierte Regelung, die im Einzelfall zu einer deutlich höheren Steuerlast führte. Das Gesetz wurde zwar erst im März 1999 beschlossen, sollte aber rückwirkend zum Januar 1999 gelten.

Die beiden BFH-Verfahren betrafen zwei Fälle aus den neunziger Jahren. In dem einen einigte sich ein Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber im November 1998 darauf, das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1999 zu beenden.

Deutlich mehr Steuern fällig

Im März 1999 erhielt er dafür eine Entschädigung. In dem anderen Fall hatte der Arbeitnehmer im Oktober 1996 vereinbart, sein Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1998 aufzuheben und dafür im Januar 1999 eine Entschädigung zu erhalten. Durch die rückwirkende Gesetzesänderung musste er auf seine Abfindung statt knapp 35.000 DM nun plötzlich mehr als 58.000 DM Steuern zahlen.

Der BFH ist überzeugt, dass die Vorschrift, mit der das Gesetz bereits von Januar an gelten sollte, "gegen das Rechtsstaatsgebot in Verbindung mit dem Grundsatz der Handlungsfreiheit verstößt" - zumindest, soweit auch Abfindungen plötzlich höher versteuert wurden, die vor dem Bundestagsbeschluss "vereinbart und ausgezahlt worden sind" (Aktenzeichen: XI R 30/03). Die Finanzrichter wissen allerdings, dass das Bundesverfassungsgericht bislang anderer Meinung war.

Rückwirkend gültig

Die Karlsruher Richter vertraten stets die Ansicht, dass Steueränderungen, die im Laufe eines Kalenderjahres beschlossen wurden, auch rückwirkend zum Jahresanfang gelten dürfen. Denn die Einkommensteuerschuld entstehe ohnehin erst mit Ablauf des Jahres, sodass es sich nur um eine "unechte Rückwirkung" handele.

Der BFH sieht das jetzt jedoch anders und hofft auf eine Änderung der Rechtsprechung. "Der Eingriff in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt verstößt gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtssicherheit", heißt es in dem BFH-Beschluss. Das Rechtsstaatsprinzip verlange "eine gewisse Rechtsbeständigkeit, Berechenbarkeit und die Verlässlichkeit der geltenden Rechtsordnung".

Beim Bundesfinanzministerium zeigte man sich gelassen. "Wir nehmen den Beschluss des BFH zur Kenntnis, haben aber derzeit keine Veranlassung zu glauben, dass das Bundesverfassungsgericht seine ständige Rechtsprechung ändert", sagte eine Sprecherin des Ministeriums.

© SZ vom 12.10.1006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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