US-Finanzminister Paulson:Alleinherrscher im schwarzen Loch

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Bizarres Notstandsdenken: US-Finanzminister Paulson soll die 700 Milliarden Dollar ohne jede rechtliche und administrative Kontrolle ausgeben.

Andreas Zielcke

Die Widerstände im Kongress sind beträchtlich. Noch lange ist nicht ausgemacht, ob das Vorhaben der amerikanischen Regierung, die abstürzende Bankenwelt mit einem 700-Milliarden-Dollar-Paket aufzufangen und aus der Krise zu führen, tatsächlich von den beiden parlamentarischen Häusern abgesegnet wird.

Rechtliche Ungeheuerlichkeit

Doch jenseits aller finanzstrategischen, politischen und auch ethischen Probleme, die der gigantische "Bailout"-Plan von Finanzminister Henry M. Paulson und dem Chef der Zentralbank Ben S. Bernanke aufwirft, enthält ihr Gesetzesentwurf eine rechtliche Ungeheuerlichkeit.

Erlangte sie, falls sich in der unerhörten Hektik dieser Tage in Washington nicht doch noch ein Rest politischer Besonnenheit durchsetzt - "nur weil Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat, müssen wir dieses Gesetz nicht in sieben Tagen durchkriegen", warnt ein republikanischer Abgeordneter -, erlangte sie also tatsächlich Gesetzeskraft, beschädigte sie den amerikanischen Rechtsstaat schwer.

Es geht um die Vollmacht, die dem Finanzminister erteilt werden soll. Nach dem Willen der beiden Schöpfer des Plans soll der Finanzminister ermächtigt werden, in alleiniger Zuständigkeit zu entscheiden, mit welcher Summe er welcher Bank welche faulen Kredite abkauft. Schon diese wirtschaftliche Machtkonzentration in einer Hand ist beispiellos und rührt an die Grundfesten der gerade in den USA so dezidiert entwickelten checks and balances. Die Gesamtsumme, die man dem Minister anvertraut, übertrifft immerhin den Haushalt der meisten europäischen Staaten. Doch der springende Punkt sitzt noch tiefer.

Unter dem Stichwort "Review" (Überprüfung) im achten des insgesamt 12 Kapitel umfassenden Gesetzentwurfs ist folgende Klausel vorgesehen: "Entscheidungen, die der Minister gemäß der ihm mit diesem Gesetz erteilten Vollmacht trifft, sind dem Ermessen des Amtsträgers anheimgestellt und nicht überprüfbar, sie unterliegen keiner gerichtlichen oder irgendeiner administrativen Kontrolle."

Selbst abgestumpfte demokratische Gemüter kann eine solche Klausel das Gruseln lehren. Eine ministerielle Entscheidung, die nicht vom Kongress untersucht und in Frage gestellt, von Betroffenen durch Gerichte überprüft oder von Rechnungshöfen und anderen amtlichen Kontrollinstanzen durchleuchtet werden kann, ist eine Amputation des demokratischen Souveräns und ein rechtsstaatliches schwarzes Loch. Und die verhängnisvolle Gravitationskraft des schwarzen Loches ist in diesem Fall von ebensolcher Wucht, wie das Ausmaß der ministeriellen Vollmacht riesig und historisch einmalig ist.

Fatale Übersprungshandlung

Der Minister entscheidet über den Modus der staatlichen Verschuldung und Refinanzierung in Höhe von 700 Milliarden, was eine ganze Volkswirtschaft tangiert, ja Auswirkungen auf den weltweiten Finanzmarkt und natürlich auf die Realwirtschaft hat, ohne dass ihm irgendjemand über die Schulter schauen und reinreden darf.

Und er entscheidet mit seinen Aufkäufen von Krediten nicht nur allmächtig über das Wohl und Wehe einzelner Banken und ganzer Bankensegmente, er entscheidet zumindest mittelbar damit auch über das Wohl und Wehe unzähliger Hauseigentümer, aber auch der gesamten Immobilienbranche. Und das ohne jede neutrale Kontrolle? Ohne dass Betroffene (etwa vom Minister Übergangene) die Gerichte anrufen könnten?

Eine bizarre Übersprungshandlung: Nachdem das Vertrauen in ein ganzes Bankensystem verloren gegangen ist, soll eine Nation blind auf einen einzigen Mann vertrauen. Mangelnde Kompetenz oder mangelnde Seriosität wird man Paulson, der in Harvard studiert und die Investmentbank Goldman Sachs geleitet hat, nicht vorwerfen.

Aber diese Unterstellung von überirdischer Weisheit, die keiner demokratischen Mitsprache und Kontrolle bedarf, ist der Ausfluss eines ungezügelten, eines händeringend-hilfesuchenden Notstandsdenkens. Die vom Markt betrogene Gutgläubigkeit soll durch eine neue Gutgläubigkeit gegenüber einem Übermenschen ersetzt, ja zum Gesetz erhoben werden. Nicht zufällig bezeichnet Jimmy Carter die Klausel als "diktatorische Vollmacht".

Dass in der Not der Krise ein rechtsfreier Raum, noch dazu von diesem kolossalen Ausmaß, geschaffen werden soll, zeigt, dass auch eingeübte rechtsstaatliche Reflexe nicht verlässlich funktionieren - von Reflexen politischer Vernunft ganz zu schweigen. In einer intakten Demokratie kann es für die Exekutive keinen vom Recht entleerten Tummelplatz geben. Das ist kein normativer Luxus, sondern Axiom des demokratischen Einmaleins. Gleichwohl sind mit dem Patriot Act und Phänomenen wie Guantanamo und Folter rechtsfreie Exklaven in die Staatssubstanz der USA eingebaut.

Nun also die Rettungstotalvollmacht. Doch selbst die beste Absicht, die so dringend benötige Hilfe verspricht und dabei nach kritikloser Loyalität verlangt, schützt vor institutioneller Dummheit nicht.

Das Transparenzgebot, das hier gezielt außer Kraft gesetzt wird, hat ja nicht den Sinn, einem besserwisserische Kontrolleure auf den Hals zu hetzen. Transparenz ist ein Prinzip, das die Entscheidungslogik verändert.

Es ersetzt Gutdünken durch begründete Entscheidung, es verlangt nach vorab geklärten Entscheidungskriterien, es ermöglicht die Einhaltung des Gleichheitssatzes. Warum die eine Bank retten und die andere nicht?

Transparenz bedeutet nicht Kontrollwahn als Gegenpol einer "unbürokratischen" Hilfe. Ihr geht es um die Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz von Beschlüssen. Entscheidungsrationalität statt gutgemeinter Willkür. Kapitel 8 des Entwurfs fällt zurück in den unaufgeklärten, kameralistischen Absolutismus.

© SZ vom 25.09.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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