Urteil:Nachbar hörte Gespenster

Lesezeit: 2 min

Richterin weist Klage zurück wegen angeblichen Lärm-Terrors.

Ekkehard Müller-Jentsch

(SZ vom 23.10.2001) Laut Klageschrift müsste der sechsjährige Hubert ein wahres Monster sein: Ständig soll er "mutwillig" sein hölzernes Hochbett gegen die Wand zur Nachbarwohnung rammen sowie dauernd "rumsend" aus diesem Stockbett auf den Parkettfußboden springen, und in der übrigen Zeit "donnere" der Bub schwere Bälle an die Wand - das gehe so Tag ein Tag aus von morgens um sechs bis abends um 23 Uhr.

Ein Reihenhaus-Nachbar des kleinen Hubert hatte wegen dieses "unerträglichen Lärms" beim Münchner Amtsgericht gleich acht Klageanträge eingereicht. Er wollte Huberts Eltern dazu verurteilen lassen, "zulässige erzieherische Maßnahmen" gegen den Jungen zu ergreifen. Die Richterin wies die Klage aber ab, denn andere Nachbarn hatten den Buben eher als "ruhiges Kind" geschildert.

Zeugen hören nichts

Insgesamt 17 Zeugen ließ das Gericht aufmarschieren. Zuerst sagte die Ehefrau des Klägers aus. Sie beklagte sich über Geräusche "wie von Dribbeln beim Basketball". Das sei stundenlang oft bis nach Mitternacht so gegangen - "es gab sieben Tage pro Woche mit Lärm".

Doch die übrigen 16 Zeugen - Nachbarn von der anderen Reihenhausseite, Verwandte und Bekannte, die zu unterschiedlichen Anlässen zu Besuch bei Familie gewesen waren - bekundeten das Gegenteil. Hubert stehe erst gegen 6.30 Uhr auf und haben dann regelmäßig "Anlaufschwierigkeiten". Er sei eher ein ruhiges Kind, das viel lieber Bücher als Bälle habe. Selbst zu Weihnachten sitze der Junge "still vergnügt" und spiele mit Lego. Und eine Mutter berichtete, sie habe sich wegen ihrer eigenen Kinder speziell für das Hochbett interessiert: "Es ist sehr stabil und steht wie festgenagelt."

Richterin bemerkt alles

Die Amtsrichterin stellte schließlich fest, dass das Mosaik der Zeugenaussagen zusammenpasse und eine ganz normale und sogar ruhige Geräuschkulisse aufzeige - "wo kein Lärm ist, kann und muss er nicht unterbunden werden". Aber davon abgesehen: "Der Lärm, den spielende Kinder verursachen, muss grundsätzlich als ortsüblich hingenommen werden." Eltern seien auch nicht dazu verpflichtet, ihre Kinder ununterbrochen zu beaufsichtigen, um gegebenenfalls aufkommenden über- und unmäßigen Lärm sofort zu unterbinden. "Eltern können und müssen außerdem nicht nachweisen, dass ihr Kind zu keiner Zeit keinen Lärm macht."

Zweifelhafte Kläger

An der Glaubwürdigkeit des klagenden Nachbarn hatte die Richterin ohnehin zu zweifeln begonnen, als die beklagten Eltern ein Schriftstück auf den Richtertisch legten. In diesem Brief beschwerte sich der Kläger bei seinem Bauunternehmer über ein völlig unzureichende Schallisolierung - und verlangte von ihm 50.000 Mark Schadenersatz.

In seinen Klageschriften an das Amtsgericht hatte dieser Nachbar das glatte Gegenteil behauptet, nämlich dass Huberts Lärm sogar durch die gemeinschaftliche Trennwand von zwei mal 17,5 Zentimetern Stärke zu hören sei, "die allen Ansprüchen ordnungsgemäßer Schallisolierung" gerecht werde.

Aktenzeichen: Amtsgericht München 261C 6297/00

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: