Ursachen des Steuerskandals:Zumwinkel und das Monster Staat

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Bereits bei Nietzsche war der Staat das "kälteste Ungeheuer". Selbst angesehene Bürger hinterziehen Steuern, weil sie ein gestörtes Verhältnis zum Staat haben.

Peter Bofinger

Ratlos steht die Öffentlichkeit vor der Frage, wieso ein bisher so reputierlicher und wohlhabender Manager wie Klaus Zumwinkel keine Skrupel hatte, den Staat um Millionenbeträge zu betrügen.

Ständige Versuchung üfr Steuersünder: Liechtenstein. (Foto: Foto: ddp)

Es liegt nahe, dies einfach mit Raffgier zu erklären, damit also, dass Geld wie eine Droge wirkt, die eine immer größere Abhängigkeit erzeugt und auch zu selbstzerstörerischem Verhalten führen kann. Doch wenn man etwas genauer hinsieht, erkennt man hinter dem Steuerskandal ein grundlegenderes Problem, das nicht nur "die Reichen", sondern die Gesellschaft insgesamt betrifft.

Prominente mit Wahrnehmungsstörungen

Das fehlende Schuldbewusstsein bei der Steuerhinterziehung ist ein Symptom dafür, dass immer mehr Bürger ein gestörtes Verhältnis zu unserem Staat aufweisen. Er wird nicht als Interessengemeinschaft gesehen, die uns jene Ziele ermöglicht, die wir über den Markt nicht erreichen könnten - sondern als feindlich gesinnte Organisation, die die ihr zur Verfügung gestellten Mittel verprasst, ohne einen Nutzen zu entfalten.

Das beste Beispiel für diese Wahrnehmungsstörung ist Paul Kirchhof. Dieser so differenzierte Denker scheute 2006 nicht davor zurück, ein Buch zu schreiben, in dem er unseren Staat als Hydra bezeichnete, als alles verschlingendes Monster.

Dabei ist es besonders erstaunlich, dass ein solches Bild von einem Wissenschaftler verbreitet wird, dem von diesem Staat als Professor und als (früherer) Richter am Bundesverfassungsgericht neben einem guten Gehalt auch großzügig Spielräume für die eigene Forschung eingeräumt worden sind.

Kirchhof steht nicht allein. Der Spiegel präsentiert den Staat als "Verschwenderstaat", die Welt am Sonntag zeigt einen aufgeblähten Bundesadler, der seinen abgemagerten Bürgern das Geld abnimmt: "Der Staat frisst den Aufschwung." Und wenn sich Wirtschaftsminister Glos überlegt, "den Menschen wieder mehr in der Tasche zu lassen", hört er sich wie ein Räuberhauptmann an, der sich Gedanken macht, seinen Opfern vielleicht doch nicht das letzte Hemd zu nehmen.

Ursprung bei Nietzsche

In einer Gesellschaft, die den Staat als Antagonisten seiner Bürger betrachtet, liegt es auch nahe, jedes Jahr in allen Zeitungen den "Steuerzahlergedenktag" ins Bewusstsein zu rufen, bis zu dem der Bürger nicht für sich, sondern für den Staat gearbeitet habe.

Das Bild des Staates als Feind der Bürger kann man schon bei Nietzsche finden. Für ihn war der Staat das "kälteste aller kalten Ungeheuer". Wer dem keine Steuern zahlt, muss keine moralischen Bedenken haben.

Aber dazu reicht es auch schon aus, dass man die Steuerbelastung in Deutschland als viel zu hoch betrachtet - eine Einstellung, in der man sich durch die Medien Tag für Tag neu bestärken lassen kann. Und die Journalisten können sich wiederum auf Wissenschaftler berufen, zum Beispiel auf die Gemeinschaftsdiagnose führender Wirtschaftsforschungsinstitute vom Herbst 2007, in der eine "durchgreifende Steuersenkung" gefordert wird, als wesentlicher Beitrag für Wachstum und Beschäftigung. Da liegt es auf der Hand, dass man die notwendige Steuersenkung individuell vollzieht, mit Hilfe von Liechtensteiner Banken.

Bei aller berechtigten Empörung über die Raffgier der Reichen sollte man diesen Skandal deshalb vor allem zum Anlass nehmen, ganz allgemein über das gestörte Verhältnis der Bürger zum Staat nachzudenken - und, nach Wegen zu suchen, wie an die Stelle eines scheinbaren Antagonismus wieder ein Gemeinschaftsgefühl treten kann.

Dazu wird es auf die Bereitschaft von Medien, Politikern und Wissenschaftlern ankommen, objektiv über die Abgabenbelastung und den Umfang der Staatstätigkeit zu berichten. Dann würde deutlich, dass die Steuerquote in Deutschland, also die Steuereinnahmen in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, extrem niedrig ist. In der EU nimmt der Staat nur in der Slowakei, in Polen und in Griechenland weniger Steuern als bei uns.

Peter Bofinger, 53, lehrt Volkswirtschaftslehre in Würzburg. Er ist einer der "Fünf Weisen", die den "Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung" bilden. (Foto: Foto: dpa)

Gleichauf mit Italien

Relativ hoch ist aber die Belastung mit Sozialabgaben. Die Abgabenquote, die neben den Steuereinnahmen auch die Sozialabgaben berücksichtigt, liegt aber deutlich unter dem Durchschnitt der 15 alten EU-Länder. Die geringe Ausstattung unseres Staates mit Einnahmen hat zur Folge, dass auch die Staatsquote, also die Staatsausgaben in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, geringer ist als in den meisten der alten EU-Länder.

Berechnet man die Staatsausgaben pro Bürger, liegen wir gleichauf mit Italien. Nur in den armen Südländern der EU (Spanien, Griechenland und Portugal) steht der öffentlichen Hand pro Bürger noch weniger Geld zur Verfügung als hierzulande. So ist es auch kein Wunder, dass Deutschland bei den öffentlichen Bildungsausgaben - in Relation zum Bruttoinlandsprodukt - auf dem drittletzten Platz aller EU-Länder liegt.

Für ein gesundes Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat wäre es hilfreich, ihnen zu verdeutlichen, dass die Qualität der von ihnen bezogenen öffentlichen Leistungen (Bildung, Sicherheit, Kultur, Umweltschutz, Straßen) davon bestimmt wird, wie viel Geld sie ihm dafür zur Verfügung stellen.

Es ist wie bei einem Hotel: Wer hohen Standard will, kann das nicht zum Preis eines Zwei-Sterne-Hauses bekommen. Das war auch der Trugschluss von Kirchhof. Mit dem von ihm geforderten Spitzensteuersatz von 25 Prozent kommen in Europa nur Estland, Lettland und die Slowakei zurecht. In sehr gut geführten Staaten wie den skandinavischen Ländern und den Niederlanden liegt der höchste Einkommensteuersatz bei rund 50 Prozent.

Mut gegen Populismus

Gleichwohl haben viele Bürger in Deutschland das Gefühl, dass beim Hotel Deutschland das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht stimmt. Und sie liegen damit auch nicht falsch, da nach wie vor ein zweistelliger Milliardenbetrag für Transfers nach Ostdeutschland gebraucht wird, die sich für die Mehrheit der Menschen nicht in öffentlichen Leistungen niederschlagen. Aber: Diese Transfers sind Ausdruck einer gemeinsamen Verantwortung - und nicht ein Beleg für einen schlecht wirtschaftenden Staat.

Es gehört sehr viel Mut dazu, sich den populistischen Forderungen nach niedrigeren Steuern und Abgaben zu widersetzen. Es ist daher verständlich, wenn sich viele Politiker scheuen, solche Fakten zu verbreiten. Aber wenn "die Reichen" wie auch die normalen Bürger wieder ein gesundes Verhältnis zum Staat und damit ein Unrechtsbewusstsein bei der Steuerhinterziehung entwickeln sollen, muss bei allen Politikern die Bereitschaft wachsen, sich für einen kräftigen Staat und eine ausreichende Einnahmebasis auszusprechen. Die Bundeskanzlerin sollte hier den Anfang machen.

© SZ vom 20.02.2008/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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