Umzugssorgen:Ein Königreich für einen Keller

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Umziehen bedeutet vor allem verzichten - der SZ-Chefkorrespondent kann ein Lied davon singen.

Stefan Klein

Die wichtigste Regel beim Umziehen lautet: Zieh nie von einer größeren Behausung in eine kleinere, und am Anfang habe ich mich auch daran gehalten. Es war das Jahr 1981, und ein Umzug stand an von Düsseldorf nach Nairobi. Was wir in der Düsseldorfer Markgrafenstraße bewohnten, war eine Dachwohnung mit schrägen Wänden, einer winzigen Küche und einem fehlenden Zimmer.

Regel Nummer 1: Zieh nie von einer größeren Behausung in eine kleinere. (Foto: Foto: ddp)

Eigentlich war es eine Unterkunft für einen Einsiedlerkrebs, aber auch Einsiedlerkrebse suchen manchmal die Gesellschaft von anderen, und so kam es, dass eines Tages drei Menschen dort hausten - ein Mann, eine Frau und ein kleines Mädchen.

Der Raum war klein, aber die Liebe groß, und außerdem wussten wir, dass in einem ostafrikanischen Land in einer Straße mit dem exotischen Namen Amboseli Gardens ein Haus auf uns wartete. Ein großes, geräumiges Haus mit einem großen und noch viel geräumigeren Garten.

Grimmige Entschlossenheit

Bei einem Schnupperbesuch in Nairobi hatten wir das Haus meines Vorgängers Meter für Meter vermessen, und als wir zurückkehrten nach Düsseldorf, da wussten wir, dass eine Menge Raum zu füllen sein würde.

Aber Ikea war nicht weit, und meine Frau liebte Ikea. Ich stellte die Schecks aus und fragte mich, wer eigentlich in Nairobi das ganze Zeugs zusammenbauen würde. Jedenfalls wurde genug angeschafft, um den kompletten Container zu füllen, der eines Tages in der Markgrafenstraße vorfuhr. Am Ende musste sogar noch ein kleiner hölzerner gezimmert werden, soviel Krempel hatten wir.

Mir wurde angst und bang, aber Wochen später zeigte sich, dass meine Frau alles wunderbar geplant und auch insofern richtig kalkuliert hatte, als ihr Ehemann sich klaglos in sein Schicksal fügte, mit zwei linken Händen Regale, Schränke und Unterschränke zusammenzubauen.

Zwölf Jahre später wurde die Umzugsregel zum zweiten Mal getestet. Diesmal war's komplizierter, denn es gab keinen Vorgänger in Singapur und folglich auch kein Haus, das man hätte übernehmen, vermessen und gleichsam schon per Fernbedienung hätte möblieren können.

Aber Regeln kann man notfalls auch erzwingen, und so ließen wir alles einpacken - Regale, Schränke, Unterschränke und alles, was an Afrikanischem noch dazu gekommen war im Laufe der Jahre, mit der grimmigen Entschlossenheit, in Singapur ein Haus zu finden, das es nicht wagen würde, kleiner zu sein als unser bisheriges.

Es war ein trauriger Abschied. In Düsseldorf waren wir freudig erregt aufgebrochen, aber Nairobi war uns zur Heimat geworden. Ein Nomade indes muss immer weiterziehen, er kann nicht anders, denn die Ferne, schreibt Janosch, ist nie da, wo man sich gerade befindet.

Statt in ein Haus zogen wir in Singapur erst einmal in ein Hotel. Die Maklerin war Chinesin, effizient und freundlich. Jeden Morgen holte sie uns ab, und ihr Vorrat an mietbaren Häusern schien unerschöpflich zu sein. Wir lernten die Stadt kennen, nur ein Haus, das unseren Vorstellungen entsprach, fanden wir nicht. Die Maklerin aber blieb effizient und freundlich, und schließlich zahlte sich ihre Geduld aus. Holland Heights hieß die Straße, und es war tatsächlich eine kleine Erhebung, auf der das Haus stand.

Es war renovierungsbedürftig, aber Mr. Tan, der Besitzer, ging auf alle unsere Wünsche ein. Als der Container ausgeladen wurde, da zeigte sich, dass das Haus die Größe hatte, die es haben sollte. Regel befolgt, wir konnten zufrieden sein. Ich wusste noch nicht, dass die wirklich harte Prüfung erst noch bevorstand. Die kam fünf Jahre später, als wir von Singapur nach London umzogen.

Nicht, dass es in London an geräumigen, großen Häusern fehlte - ganz im Gegenteil. Es gibt sie überall in der Stadt, nur kann sie der normal Sterbliche nicht bezahlen. Auf unsereinen warten die kleinen, schmalen, vom Alter und vom Wetter schief und krumm gewordenen Reihenhäuschen in Barnes oder Putney oder Sheen.

Eines hält sich am anderen fest, und weil sie einander zum Verwechseln ähnlich sehen, hat sie einer mal mit den Würsten aus einer Wurstfabrik verglichen. Charme haben sie durchaus, Patina ebenfalls, nur keinen Platz.

Die Zimmer sind winzig, und auch wenn das Dachgeschoss, der Loft, ausgebaut ist, so muss der Umzieher in Singapur doch so ziemlich jedes zweite Möbelstück ausrangieren, weil er ahnt, dass es in London keinen Platz mehr finden wird. Trotzdem war es viel zu viel, was da an einem grauen Herbsttag 1998 in der Londoner Graemesdyke Avenue ausgeladen wurde. Die Kartons stapelten sich bis unter die Decke, es war zum Verzweifeln.

Von einem großen Haus in ein kleines: Ein Freund in Schweden hörte meinen SOS-Ruf, er kam zu Hilfe, und weil er zwei rechte Hände hat, baute er erst einmal ein Ausweichlager im Garten, um Platz zu schaffen im Haus. Es regnete, aber die Plane war dicht, und im Haus war jetzt wenigstens so viel Luft, dass man atmen und ans Auspacken denken konnte.

Später haben wir es dann doch noch ziemlich gemütlich gehabt im Haus, auch wenn meine Tochter Singapur hinterher trauerte, dem Haus, dem Wetter, und ihren Vater heimlich verdächtigte, strafversetzt worden zu sein.

Irgendwann zog sie aus, machte sich selbständig in London und ihre eigenen Erfahrungen mit Umzügen. Der Vater aber sagte sich, einmal ist keinmal, Regeln sind dazu da, dass man sie bricht, und zog um nach München - in eine Wohnung, wo noch einmal ein Stück weniger Platz war als vorher.

Kein Erbarmen

Wieder wurde mit dem Maßband hantiert, es wurde kalkuliert und gerechnet, aber so ein Grundriss kann erbarmungslos sein. Der Mieter jedoch auch: Mit der Heizung in der Küche jedenfalls hatte er kein Erbarmen, die ließ er herausreißen und ein paar Zentimeter versetzen, denn auf die schöne, alte Bank, die er in einem anderen Leben in der Garage seiner Großeltern entdeckt hatte, wollte er nicht auch noch verzichten.

Denn das ist der Preis, wenn man die wichtigste Umzugsregel bricht: Man muss verzichten, und zwar auf Dinge, die einem lieb geworden sind und an die man sich gewöhnt hat. Deshalb, Regelbrecher, unbedingt daran denken, dass man bei allem Raumverlust wenigstens einen Keller hat.

In London hatte ich keinen, in der Münchner Kreittmayrstraße aber ist einer, und da ist alles gestapelt, was eines Tages wieder zu Ehren kommen wird, sollte irgendwo in der Welt noch mal ein Haus rufen - ein größeres.

© SZ vom 29.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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