Türkenstraße:Eine Straße, die glücklich macht

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Cafés, Kneipen und Kunst: Die Türkenstraße als Ausgeh-, Mode- und Schaumeile zeigt, was sie hat. Ein Liebesgeständnis.

Anne Goebel

Sie ist keine spröde Geliebte, beileibe nicht. Wer sie besuchen kommt, muss nicht mühsam um sie werben und braucht kein verschämtes Versteckspiel mitzuspielen. Sie zeigt, was sie hat, freizügig, dabei nicht kokett, verströmt mit der schönsten Selbstverständlichkeit italienische leggerezza und Pariser Flair, und bei allem großstädtischen Putz, von dem sie in letzter Zeit vielleicht ein bisschen viel abgekriegt hat, ist sie im Innern eine grundanständige Handwerkstochter geblieben. Mit einem Wort, sie ist umwerfend.

Im Garten der Akademie der schönen Künste - Auf das Bild klicken und die Bildergalerie zeigt, was zwischendrin in der Türkenstraße abgeht. (Foto: Fotos: sueddeutsche.de)

Aber Moment. Eine Ode an eine Ladenzeile? Eine Eloge auf die Türkenstraße, auf diese paar hundert Meter asphaltierte Maxvorstädter Nord-Süd- Achse - kann man allen Ernstes so über eine Straße schreiben? Die Blumenverkäuferin in der Türkenstraße würde bei der Frage ungläubig ihre wimperngetuschten Augen zusammenkneifen, die immer ein wenig gerötet sind. Sie würde die Blumenverkäuferinnen-Hände an ihrem Rock trockenwischen, wie sie es macht, wenn sie sich auf etwas irgendwie Erhabenes konzentriert, und natürlich würde sie ja sagen.

Etwas Geschichte

Seit dem Beginn des 18.Jahrhunderts durchlief der , Türkengraben', als Verbindungskanal von der Residenz zu den Schlössern Nymphenburg und Schleißheim geplant, aber bald trocken, das Gelände in Nord- Süd-Richtung", schreibt Reinhard Bauer in seinem Stadtteilbuch über die Maxvorstadt.

Die Türkenstraße, im "Königlichen Rescript" aus dem Jahr 1812 von Max I. als Straßenname abgesegnet, lief auf eben diesen Graben zu und bekam daher ihre Bezeichnung. Wo heute zwischen Brienner- und Georgenstraße Studenten auf Kneipentischen Thesenpapiere schreiben, wo Coffee und Chocolate in Pappbechern offeriert und abends bei Kerzenlicht Antipasti kredenzt werden, da haben sich seit jeher die Trinkfreudigen getroffen und die Tafelfreunde.

Anno 1896, beispielsweise, betrieb der "veget.Speisewirth" Karl Bohne das "Vegetarierheim", auf Nummer 28 war die "Schankwirtschaft zum goldenen Hirschen" untergebracht, in direkter Nachbarschaft residierten "Gasthaus zum goldenen Stern" und "Gastwirtschaft zum türkischen Hof", weiter oben dann "Weinrestaurant zur Dichtelei" sowie "Wein-Restaurant Fil. Leibenfrost". Kein Wunder, dass einhundertundsechs Jahre später die Menschen immer noch gerne in die Türkenstraße kommen, um einen zu trinken.

Der schönste Abschnitt: Die Mitte

Zum Beispiel in "Pavesi". Das Café mit seinen drei winzigen Tischen auf dem Trottoir liegt ungefähr in der Mitte jenes Teils der Türkenstraße, wo sie am schönsten ist: auf dem Abschnitt zwischen Schelling- und Adalbertstraße, wo Kindergeschrei aus der Türkenschule herüberweht, wo die Sonne durchs grüne Kastaniendach des Elser-Platzes fällt und Lichtflecken aufs Pflaster wirft und wo es scheint, als verlangsame jeder Passant unwillkürlich seinen Schritt, um zum Flaneur zu werden.

Nebenan, im Eiscafé sitzt ein Bauarbeiter beim Kaffee und ein Kellner mit frischer weißer Schürze vor einem Glas Aranciata und liest den Corriere dello Sport; links vom "Pavesi" karrt der Obsthändler Kisten mit Nektarinen und Trauben in den Laden. "Pariser Flair", seufzen die Passanten.

Glück liegt in der Luft

Dass die Straße ein bisschen glücklich macht - das kann man schon an den Gesichtern der Spaziergänger ablesen und daran, wie sich die Geschäftsleute beim Vornamen grüßen und Witze mit dem Postboten reißen, als seien sie jeden Tag nirgendwo lieber als bei der Arbeit. Das mag Einbildung sein, zumal nach der Einnahme stimulierenden Espresso-Koffeins oder mehrerer Kugeln sagenhafter Eiscreme.

Essen, trinken, Besonderes kaufen

Ist's der Geist des "Simpl", wo die legendäre Wirtin Kathi Kobus wilden Gestalten wie Joachim Ringelnatz aufzutreten erlaubte und später Schwabinger Partyvolk mit Gunther Sachs und Brigitte Bardot bis in den Morgen feierte? Ist's die freilich bedrohte Vielfalt der kleinen Läden, Bierkneipen, Cafés und (Kunst-)Handwerksbetriebe?

Jedenfalls ist nichts leichter, als der Straße ein klein wenig zu verfallen, weil man sie nicht entdecken, sie nicht auf Streifzügen erkunden muss. Sie liegt da, ganz ungeheimnisvoll, und bitteschön, man nehme sich, was man von ihr will: Schnelles Mittagessen all'italiana? "Truffaldino's", wo die Gäste mit dem Rücken zur Hauswand und dem Gesicht zur Straße sitzen, weil's auch ums Sehen&Gesehenwerden geht.

"Telarc Blues zum Rotstiftpreis" oder "Gestern sündhaft teuer, heute obszön billig: Klassic Cds"? Der Kultladen 2001, wo seit Jazzergedenken verschrobene Typen stundenlang und schweigend nach der ultimativen Dizzy Gillespie Scheibe suchen. Hausgemachte Fleischpflanzerl nachts um halb zwei? "Charivari". Gespräche am frühen Morgen darüber, dass im allgemeinen nichts mehr so ist wie früher? Im Schreibwarenladen.

Teuer statt Kino

Tempi passati, Melancholie - davon später, jetzt erstmal: Shopping! "Die Türkenstraße hat sich shopmäßig gemacht, da kann man jetzt richtig einkaufen", sagen Passanten, die mit ihrem Outfit ganz nach "Projekt 3" ausgesehen, dem Modeladen, in dessen riesenhaften Auslagen sündteure textile Kleinigkeiten drapiert sind. Drinnen sitzt man auf roten Leder-Barhockern, lauscht dezent kühlen Klängen oder probiert die neueste Kollektion. "Wir bieten Anzüge für den jungen Mann, der im Business ist, aber noch modisch sein will", erklärt man im Laden.

Die alte Zeit

Einst stand hier der "Türkendolch", das Programmkino, dessen Sterben viele beweinten. Das war früher. Heute, so geißelt eine alteingesessene Galeristin mit dramatisch vibrierendem Tremolo, "heute regiert ja nur noch das Scheiß- Geld".

Ein anderer Verkäufer mag sich da nicht so deutlich äußern. Natürlich explodieren die Mieten, natürlich sind andere Leute unterwegs, seit die schicken Firmen eingezogen sind. Und doch brummt er: "Werd' schon wieder".

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