Treppen:Aufsteiger der Architektur

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Treppen müssen einerseits Sicherheitsstandards genügen, andererseits können sie auch zur ästhetischen Raumskulptur werden.

Oliver Herwig

Sie schrauben sich empor, zacken, kurven und mäandern durch den Raum. Treppen sind Chamäleons, aus Holz, Stein, Stahl und Beton. Sie passen sich jedem Ort an, Spindeltreppen zum Beispiel passen in die kleinste Hütte. In der Fachsprache der Architekten, Handwerker und Ingenieure besitzen sie sogar Augen, watscheln oder tanzen Samba. Als Aufsteiger der Architektur können Treppen das Herz des Hauses bilden, einen idealen Sammelpunkt oder einfach nur den Ort, an dem alles zusammenläuft, an dem man sich trifft und ratscht.

Prägend: Das vom beglischen Künstler und Architekten Henry van de Velde 1902 geschaffene Treppenhaus der Bauhaus-Universitaet in Weimar (Foto: Foto: AP)

Viel zu oft aber passiert zu viel auf der Stiege, nämlich rund 360.000 Unfälle mit 1000 Toten im Jahr. Sogar im eigenen Heim passieren acht Prozent aller Unfälle auf dem Weg nach oben oder unten. Am gefährlichsten wird es dort, wo die Treppe in ein Podest übergeht, weil der Rhythmus der Schritte abbricht. Ändert sich dazu noch die Laufrichtung, kann es sein, dass Unachtsame gleich ungewollt alle Stufen auf einmal nehmen. Dass gerade rutschhemmende Trittleisten zu Stolperfallen werden können, ist besonders tragisch.

Kein Wunder, dass viele Planer beim Thema Treppe zuerst an Absturzsicherung und DIN-Vorschriften denken und erst dann an Gestaltung. Bei Architekten überwiegt die Ästhetik. Sie lieben minimalistische Konstruktionen, deren Stufen in der Wand verschwinden oder als gefaltete Raumskulptur alle Blicke auf sich ziehen. Dann sind Treppen viel mehr als ein Folge normierter Stufen bei normiertem Gefälle.

Symbolische Bedeutung

Wie sich Gestaltung und Sicherheit perfekt verbinden lassen, zeigt das Schweizer Architekturbüro Bart Buchhofer mit dem Haus Weber in Twann. Massiv und filigran zugleich wirkt die Treppe. "Sie ist Teil der räumlichen Abfolge durchs Haus", sagt Stephan Buchhofer, als "kontinuierliche Folge von Niveausprüngen - Garten, Essen, Wohnen und Schlafen." Die Lage des Hauses mitten im Weinberg spiegelt sich so auch in seinem Inneren. Die Holzstufen mit ihrem korrespondierenden Handlauf aus poliertem Stahl verbinden die beiden Hauptebenen, selbstbewusst nimmt die Treppe ihren Platz im Haus ein. "Wie großzügig oder wie bescheiden eine Treppe ist, ist nicht eine Frage des Gefallens, sondern der symbolischen Bedeutung und des räumlichen Zusammenhangs", erklärt Architekt Buchhofer. Es geht hier nicht um Standardlösungen, sondern darum, neue, dem Ort gemäße Lösungen zu finden.

Ein Blick in die Geschichte beweist, wie vielfältig, opulent, ja poetisch Treppen sein können. Barocke Anlagen entfalten eine solche Pracht, dass es manchmal scheint, als seien sie die Hauptdarsteller auf einer Bühne, die eigens für sie gebaut wurde. Besonders ein Auftritt bleibt in Erinnerung: die Würzburger Residenz. Balthasar Neumanns Kaisertreppe unter Tiepolos Fresko bietet ein überwältigendes Raumerlebnis.

Besucher steigen keine bloßen Stufen mehr nach oben, sie schreiten wie Filmstars empor - oder eben herab. Manchmal werden Treppen wie Objekte behandelt, die einen Raum dominieren - und keinen Platz mehr lassen, dass sich anderes entfaltet. Dabei können sie sich stark zurücknehmen und fast verschwinden wie halbgewendelte Treppen, die im Vergleich zu geradläufigen nur etwa die Hälfte des Platzes einnehmen.

Die ideale Treppe

Damit die Treppe kein Witz wird, gilt es einiges zu beachten: Sie ist keine Skulptur, die nur auf Wirkung aus ist, sie hat einen Zweck zu erfüllen. Sicherheit und Ästhetik aber prallen oft aufeinander. Wer aus gestalterischen Gründen auf Handläufe verzichtet und pure Form in den Raum stellt, muss sich fragen, ob auch Kinder, ältere oder gebrechliche Menschen die Treppe benutzen sollen.

Die ideale Treppe hingegen braucht weder Brüstungen und Umwehrungen aus Glas, sie muss sich nicht in die letzte Ecke quetschen oder Alleinunterhalter spielen, sie ist genau auf den Ort zugeschnitten, in den Maßen wie in ihrer Erscheinung. Sie integriert sich in eine Wohnlandschaft. Je nach Geldbeutel und Geschmack lässt sich das Kräfteparallelogramm Richtung Sicherheit, Gestaltung oder Gesamtwirkung verschieben. Immer aber bleibt sie eine Chance für gute Gestalter und Handwerker.

© SZ vom 9. August 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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