Thannhuber-Opfer:Der Albtraum vom Aufstieg

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Wie eine Sekretärin in die Geschäfte ihres Chefs Klaus Thannhuber einstieg - und nun Millionenschulden hat.

Felix Berth

Am 3. September 1987, morgens um halb neun, begann Heike Angermanns erster Arbeitstag als Sekretärin bei Klaus Thannhuber. Am 19.Juli 2006, neun Uhr, stand eine Gerichtsvollzieherin bei ihr vor der Tür und wollte 1,5 Millionen Euro kassieren. Wie das zusammenhängt? Die Antwort lautet vereinfacht so: Weil Heike Angermann vor 19 Jahren den Job bei Klaus Thannhuber antrat und in seinen Firmen einige Posten annahm, naht heute ihr Ruin. "Es ging alles den Bach runter", sagt sie und drückt die Tränen weg. "So kann's gehen. Mit 53 ist man fertig mit der Welt."

Auf den Aufstieg gehofft - doch es kam der Absturz. (Foto: Foto: dpa)

Es ist die Geschichte einer Frau, die auf den Aufstieg hoffte und nun mit dem Absturz fertig werden muss. Einer Frau, die in der Nähe des Münchner Immobilien-Investors Klaus Thannhuber arbeitete, anfangs beeindruckt, heute resigniert und beinahe ruiniert. Einer Frau, die sich Verantwortung übertragen ließ und doch Spielfigur blieb. Heute sieht Heike Angermann - wie viele Opfer Thannhubers-, dass dessen Firmenimperium zerfällt.

Finanzielle Probleme von kaum vorstellbarer Dimension

Thannhubers "Privatbank Reithinger" musste auf Anweisung der Behörden schließen. Der von ihm gegründete DBVI-Konzern, der auch die Münchner Schrannenhalle aufbaute, türmt enorme Verluste auf. Und mehr als sechzigtausend Anleger müssen sich darauf einstellen, Geld zu verlieren - manche ein paar hundert Euro, manche größere Summen. Und einige - wie Heike Angermann - haben nun finanzielle Probleme, deren Dimension kaum vorstellbar ist.

Heike Angermann, deren wirklicher Name anders lautet, wurde 1953 im fränkischen Kitzingen geboren; der Vater hatte einen kleinen Handwerksbetrieb. Sie wurde Anwaltsgehilfin, dann stieg sie - es war die Zeit der Bauherren-Modelle - bei einem Bauträger ein. Dort lernte sie die Szene der Makler, Verwalter und Immobilien-Dealer kennen und fand irgendwann, dass sie als Sachbearbeiterin unter ihren Möglichkeiten blieb. Jener Klaus Thannhuber bot ihr Arbeit an; er wirkte, wie sie heute sagt, seriös und gewinnend, arbeitsam und intelligent.

Man blieb beim "Sie"

Frau Angermann war ehrgeizig; sie arbeitete samstags und sonntags, frühmorgens und spätabends. Sie vertraute ihrem Chef, wurde aber nie zu seiner Vertrauten. Man blieb beim "Sie", und bei vielen Gesprächen schloss Thannhuber die Tür zum Sekretariat. Aber er bot ihr bald eine neue Position an. Sie sollte die Mieter mehrerer Immobilien betreuen. Heike Angermann verließ das Vorzimmer, zog in ein eigenes Büro. "Ich war stolz, dass meine Arbeit anerkannt wurde", sagt sie heute.

Im April 1997 starb ein langjähriger Partner Thannhubers bei einem Unfall. Wieder wartete eine neue Aufgabe: In der "Beamten-Selbsthilfe in Bayern & Co. - Realwert KG" sei der Posten des persönlich haftenden Gesellschafters zu besetzen. Ob sie nicht Komplementärin werden wolle?

Natürlich hat sie inzwischen begriffen, was ein "Komplementär" ist: derjenige, der persönlich mit seinem Vermögen für eine Firma haftet. Damals aber war es ein abstrakter Begriff aus einer Welt, in der es stets um lukrative Dinge ging, unter denen man sich wenig vorstellen konnte: Grundschuldbestellungen, Treuhandverträge, Kommanditeinlagen und Komplementärvergütungen.

Eine Karriere-Chance

Heike Angermann sagte zu. Ein Schreiben teilte den Anlegern im Juni 1998 mit: "Zur neuen persönlich haftenden Gesellschafterin wurde Frau Heike Angermann, Kauffrau in München, bestellt", schrieb Dieter Pape, dessen Firma Procurator die Anleger als Treuhänder vertrat - ein Posten, den sie noch heute in zahlreichen Firmen aus Thannhubers Firmenimperium hat.

Fortan war Heike Angermann verantwortlich für zwei Supermarkt-Gebäude der "Beamten-Selbsthilfe in Bayern&Co- Realwert KG" in Kirchseeon und Dachau, die an die Tengelmann-Gruppe vermietet waren.

In einem normalen Unternehmen wäre dies ein wichtiger Posten. In vielen kleinen Firmen ist der Komplementär derjenige, der den Betrieb aufgebaut hat und eines Tages Geldgeber hereinholt, die zwar Zinsen auf ihre Einlage bekommen, aber beim Tagesgeschäft nicht mitreden dürfen. Er ist eher ein Unternehmer alter Schule: Mit der Börse will er nichts zu tun haben; wenn er Kapital braucht, macht er sein Unternehmen zur Kommanditgesellschaft. Das sichert auch das Vertrauen der Banken: Schließlich steht der Chef einer solchen KG mit dem persönlichen Eigentum für die Firma ein.

Ahnungslose Helferin

So einfach und seriös sieht es auch bei Heike Angermann aus, wenn man den Münchner Handelsregister-Auszug HRA 65861 betrachtet. Doch im Imperium des Klaus Thannhuber spiegelt die juristische Oberfläche selten die tatsächliche Machtverteilung wider.

So ist zum Beispiel Golfclub-Präsident Frank Fleschenberg zwar formal Eigentümer einer rentablen Firma. Doch in den Tresoren des Firmengeflechts liegen jene Treuhandverträge, die die wirklichen Verhältnisse beschreiben. Der mächtige Treugeber, der letztlich die Entscheidungen trifft, ist dabei stets Thannhuber. Auch seine Ex-Sekretärin war trotz ihres Titels nur eine ahnungslose Helferin.

Einmal im Vierteljahr bat Dieter Pape sie ins Büro; sie sollte, wie sie sich erinnert, stets einen Stapel Schriftstücke unterzeichnen. "Ich wusste oft gar nicht, welche Konsequenzen meine Unterschriften haben würden", sagt Angermann heute. Pape freilich erinnert sich anders: Man habe sich "regelmäßig zur Quartalsbesprechung" getroffen, bei der Frau Angermann über ihre Geschäftstätigkeit berichtet habe.

Gut bezahlt war die Komplementärin nicht. Sie erhielt von der KG anfangs jährlich 6500 D-Mark Haftungsvergütung, Tendenz sinkend. Bei Pape, Thannhuber und ihren Unternehmen landeten höhere Beträge: Papes Firma nahm allein durch die Treuhänder-Tätigkeit stets das Dreifache ein. Und ein paar Jahre zuvor, als die KG aufgebaut wurde, waren beide großzügig - zu sich selbst. Damals bekam Papes Unternehmen eine Einmalvergütung von 94.000 Mark. Und weil Thannhuber anfangs selbst Komplementär war, erhielt er eine Einmalzahlung von 125.000 Mark gemeinsam mit einer Firma, deren Geschäftsführer er war.

Der Zusammenbruch

Als seine einstige Sekretärin den Job übernahm, sank die Haftungsvergütung, obwohl das Risiko stieg. Denn bald nach Angermanns Einstieg kündigte die Tengelmann-Gruppe die Mietverträge; beide Supermärkte standen leer. Neue Interessenten waren nicht zu finden, und allmählich ahnte Heike Angermann, auf welche Gefahr sie sich eingelassen hatte.

Ihr Sohn, der mittlerweile Betriebswirtschaft studierte, erklärte der Mutter, was eine Komplementärin ist - und der Mutter wurde übel. Bei den vierteljährlichen Sitzungen mit Dieter Pape leistete sie zwar noch Unterschriften, doch stets rebellierte ihr Körper mit heftigen Bauchschmerzen. "Ich habe mich danach immer gefragt: Was hast du jetzt schon wieder unterschrieben?"

Private Katastrophe

Doch wie sollte sie den Posten loswerden? Wer als Komplementär einer KG im Handelsregister steht, kann diesen Eintrag nicht einfach löschen lassen. "Herr Pape erklärte mir damals: Ein Ersatz sei nicht zu finden", sagt Heike Angermann heute - was Pape dementiert: Seine Firma Procurator sei einer "Nachfolgeregelung stets offen gegenübergestanden, sobald eine geeignete Persönlichkeit gefunden ist." Eine private Katastrophe kam dazu: Heike Angermanns Lebensgefährte erkrankte an Krebs, starb nach wenigen Monaten. Die Frau hielt den Druck nicht mehr aus, sie brach zusammen. Ein halbes Jahr verbrachte sie in einer psychiatrischen Klinik.

Sie stabilisierte sich psychisch wieder einigermaßen, doch das Haftungsproblem blieb. Sie suchte das Gespräch mit Thannhuber und Pape. Erfolglos. Noch immer hatte sie keinen Anwalt, noch immer sollte sie Dokumente unterschreiben. Sie machte ein weiteres Mal mit: Am 8. Oktober 2001 unterzeichnete sie beim Notar zwei Grundschulden über insgesamt 1,2 Millionen Euro. Spätestens an dieser Stelle fragt man sich: Wieso das? Wieso unterschrieb sie noch einmal Dokumente, deren Wirkung sie kaum einschätzen konnte?

Wahrscheinlich war es eine Mischung aus Labilität, Naivität und fehlender Beratung. Man grübelt allerdings auch, wieso eine Bank der "Beamten-Selbsthilfe in Bayern & Co. Realwert KG" einen Millionenkredit gewährte. Die Firma hatte fast keine Einnahmen, und die Komplementärin Heike Angermann konnte kaum persönliche Sicherheiten bieten. Die Antwort auf diese Frage fällt freilich leichter, wenn man den Namen des Kreditinstituts liest: Es war das Bankhaus Reithinger.

Diese Bank gehört Klaus Thannhuber seit Herbst 2002 vollständig; schon zuvor hatte er einem Familienmitglied der Reithingers dessen Anteile abgekauft. "Diese Kreditvergabe zeigt, dass Thannhuber schon 2001 Einfluss hatte", sagt der Wirtschaftsdetektiv Medard Fuchsgruber. "Jede normale Bank hätte bei einem solchen Kreditwunsch abgewunken." Thannhuber weist diese Interpretation zurück: Die Bank habe die Sicherheiten richtig beurteilt; es gebe jetzt sogar ein Kaufangebot für eines der Supermarkt-Grundstücke, mit dessen Erlös der Kredit zurückgezahlt werden könne.

1,5 Millionen Euro Kreditschulden

Heike Angermann sitzt heute in einem Souterrain-Büro in München. Baumarkt-Büromöbel stehen hier, in der Ecke hängt ein Waschbecken mit Warmwasserboiler. Es ist nicht ihr eigenes Büro: Ein Bekannter hat ihr erlaubt, Ordner einzustellen und den Schreibtisch zu benutzen.

Neben ihrer Zigarettenpackung liegt der Brief, den die Gerichtsvollzieherin vor fünf Wochen hinterlassen hat. Das Bankhaus Reithinger ließ die "Beamten-Selbsthilfe in Bayern & Co. Realwert KG" pfänden; 1,5 Millionen Euro Kreditschulden seien fällig, zuzüglich 79.000 Euro Zinsen und 21,10 Euro für die Zustellung der Urkunde.

Thannhubers Verdienste

Jörg Behrend, seit 2004 Heike Angermanns Anwalt, hat in den vergangenen Jahren mehrmals mit Thannhuber und Pape verhandelt - stets ohne ernstzunehmendes Resultat, wie er sagt. Dass das Bankhaus Reithinger jetzt Geld sehen will, überrascht ihn nicht. "Die stehen kurz vor der Insolvenz und versuchen, Außenstände einzutreiben."

Die Bank macht, seit Thannhuber sie kaufte, hohe Verluste: im Jahr 2003 etwa 2,8 Millionen Euro, 2004 circa 1,35 Millionen, und im Jahr 2005 nach Einschätzung der Wirtschaftsprüfer - der Thannhuber freilich widerspricht - 4,5 Millionen.

"Es ist doch alles egal"

Gleichzeitig floss viel Geld an Firmen aus dem Thannhuber-Konzern ab, wie die staatliche Finanzaufsicht Bafin feststellte: Allein zwischen 8.Februar und 8.März 2006 erhielten vier Firmen aus seinem Unternehmensgeflecht mehr als zwei Millionen Euro. Sie zahlten nach Erkenntnissen der Bafin hohe Honorare und Provisionen an Thannhuber, weshalb das Verwaltungsgericht Frankfurt klare Worte fand: Der Verdacht bestehe, "dass Herr Thannhuber sich seiner Beziehungen zu bestimmten Firmen bedient, um letztlich selbst in den Besitz von Geldern der Bank zu kommen."

Wenn Heike Angermann das liest, spürt sie ein wenig Genugtuung, denn auch Thannhubers nähere Zukunft dürfte nicht einfach werden. Doch dann überlegt sie, ob ihr das hilft, und stellt fest: eigentlich nicht. Die Supermarkt-Grundstücke in Kirchseeon und Dachau werden wohl bald zwangsversteigert; der Erlös dürfte die Schulden verringern. Einige hunderttausend Euro werden wohl bleiben, egal was sie tut. "Ich hab' resigniert", sagt sie. "Es ist doch alles egal."

© SZ vom 25.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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