Straßenporträt:"Stadtviertel gibt es anderswo"

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Pasing offenbart seine zwei Gesichter in der Bäckerstraße: Sie beginnt quirlig wie ein Suk und versiegt lautlos.

Von Oliver Herwig

Zischend öffnen sich die S-Bahn-Türen. Pendler quellen aus roten Wagen und eilen über Steinplatten, Asphalt und graue Granitstufen nach Hause. Kurz nach 17 Uhr herrscht Hochbetrieb am Pasinger Bahnhof, der mit 110.000 Passagieren pro Tag zu den verkehrsreichsten Bayerns zählt.

Am Anfang der Bäckerstraße herrscht geschäftiges Treiben. Hier, südlich des Bahnhofs, schlägt Pasings Herz. (Foto: Foto: Haas)

Die Gleise teilen Pasing, das erst 1938 als Stadtteil nach München eingemeindet wurde. Im Norden liegt die feine Villenkolonie, zwei Geschäftsstraßen ziehen fast parallel nach Süden, Gleichmann- und Bäckerstraße.

Pasings Herz schlägt am Bahnhof. Vor dem repräsentativen Backsteinbau von 1873 mit seinen Eckpavillons, den angedeuteten Arkaden und der von Gusseisensäulen getragenen Halle brummen Busse. Vom Dönerstand weht würziger Duft herüber, am Kiosk springen die Schlagzeilen des Tages ins Auge. Kurz nach fünf summt die Bäckerstraße. Uhren, Schmuck, Kleidung - 150 Meter bis zur Landsberger Straße, bieten einen Mikrokosmos des großen Einkaufstrubels in der Stadt.

"Das hier ist ein Stadtteil mit eigenem Rathaus"

Die Stadt, das ist München. Mehr als zwei Generationen nach seiner Eingemeindung hat Pasing Eigenständigkeit bewahrt. ,,Stadtviertel gibt es anderswo'', sagt Thomas Hasselwander vom Pasinger Archiv, ,,das hier ist ein Stadtteil mit eigenem Rathaus.'' Er klingt stolz, wenn er das sagt. Und tatsächlich: Im Westen gibt es einiges doppelt, den Marienplatz ebenso wie den Viktualienmarkt.

Gerade feierte der Hof mit seinen Marktständen rund um Hans Osels Brunnenbuberl 100 Jahre. Es könnte das letzte große Jubiläum gewesen sein, denn auf den ehemaligen Bahnanlagen westlich der Offenbachstraße soll ein riesiges Einkaufszentrum entstehen.

Ein Ladengeschäft dort kommt für sie nicht in Frage. Heidi Kamlah betreibt ihren Obst- und Gemüsestand mitten im Pasinger Viktualienmarkt unter freiem Himmel, Sommer wie Winter. Was macht die Konkurrenz nebenan? Da lacht die Marktfrau. ,,Wir sind Nachbarn, gute Nachbarn. Und wir müssen alle zusammenhalten'', sagt sie, ,,nur so sind wir interessant. Einer allein kann das ganze Sortiment nicht halten.''

Keine Angst vorm Einkaufszentrum

Physalis, Ananas und Heimisches - mit weißer Kreide steht auf der Tafel, was gerade in der eigenen Gärtnerei wächst. ,,Es hat sich einiges verändert'', erinnert sich die Pasingerin. ,,Früher waren wir eine Einkaufsstadt, heute fahren die Leute aus Aubing gleich durch.'' Viele Geschäfte seien verschwunden. Seit der Parkplatz neben dem Markt nicht mehr existiere, seit die Kunden nicht mehr schnell vorfahren und reinspringen können, geht der Umsatz zurück.

Angst habe sie vor dem Einkaufszentrum nicht, meint Heidi Kamlah, während die Tochter den nächsten Kunden bedient. Der Sohn betreibe einen Verkaufsstand bei der Gärtnerei, in Zukunft würden sie eben öfter auf Wochenmärkte fahren.

,,Was ist los?'', fragte das Pasinger Archiv vor zehn Jahren und stellte ernüchtert fest: ,,Fast das ganze Gewerbe ist verschwunden.'' Das Archiv, eine einzigartige Sammlung von Fotografien und Schriftstücken aus Pasing, ist eine jener Besonderheiten der einstigen Stadt vor der Stadt.

Heute prägen zunehmend Ketten das Bild der Straße, in der Gleichmannstraße wechseln Geschäfte häufiger als die Jahreszeiten. Pasing verändert sich, und nicht immer zu seinem Vorteil, daran können auch das schicke neue Rathaus schräg hinter dem Viktualienmarkt und die halbherzig renovierte Stadtbibliothek nichts ändern.

Großes kommt irgendwann nicht mehr

Die Landsberger Straße wirkt wie ein Schlussstrich. Wer die Bäckerstraße weiter nach Süden schlendert, arbeitet sich in Wohnviertel vor. Hier und da stehen schöne Genossenschaftsbauten. Bemerkenswert die Pfarrkirche Maria Schutz mit ihrem gepflasterten Vorplatz, auf dem im Advent der Weihnachtsmarkt stattfindet, und das Gebäude der Volkshochschule im alten Rathaus an der Ebenböckstraße. Dass hier auch schon mal die Feuerwehr ausrückte, erkennt man an den Bogenfenstern, eigentlich Tore, die das schwere Haus tragen wie gegrätschte Beinpaare.

Manche Straßen beginnen quirlig wie ein Suk und versiegen lautlos - wie die Bäckerstraße. Am Pasinger Bahnhof ist sie voller Leben, voller Läden und Menschen, drei Kilometer südlich mündet sie, flankiert von Einfamilienhäusern, in die Blumenauer Straße. Sie hat sich verausgabt. Am Ende steht wenigstens ein Gasthaus mit Biergarten, ums Eck liegt das offene Feld. Großes kommt hier nicht mehr.

Ein unschlagbarer Vorteil

Das entsteht an den Gleisen. Der Projektentwickler mfi spricht von einem ,,großen Einkaufsboulevard'', der 2008 an der geplanten Nordumgehung zwischen Knie und Lortzinger Straße wachsen soll. Die von zigtausend Autos pro Tag entlastete Mitte Pasings könnte dann eine wunderbare Fußgängerzone bilden, könnte aber auch reichlich tot sein angesichts von ,,einem bunten Mix kompetenter, innovativer Betreiber mit Spezialisten, Filialisten und renommierten Handelsgeschäften der Stadt sowie konsumnahen Dienstleistungen und Gastronomie''.

Die Pasing Arcaden verfügen schließlich über einen unschlagbaren Vorteil, wenn es darum geht, ein prognostiziertes Nachfragevolumen von 2,6 Milliarden Euro abzuschöpfen: rund 600 Parkplätze. Pasing wird sich wandeln, wieder einmal.

Wie das aussehen kann, zeigt ein Monument ganz am Anfang der Bäckerstraße. Hinter der Kurve steht ein unscheinbares Gebäude, die Fenster vernagelt, die Fassade von Bäumen verdeckt. Hier dämmert die Keimzelle des modernen Pasing vor sich hin, Friedrich Bürkleins 1848 errichteter Bahnhof.

© SZ vom 4. 5. 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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