Straßen in München:Tizianstraße

Lesezeit: 2 min

Das haben sie nun davon, die Bewohner der Tizianstraße: Weil ihre Häuschen so schön sind, will sie jeder haben. Aber nur die wenigsten können sie sich leisten, die anderen kommen zum Gaffen.

Georg Etscheit

Wenn die Leute durchs grüne Gern zum Schloss Nymphenburg schlendern, kann man immer wieder verzückte Rufe vernehmen. "Ach, ist das süß hier", sagt die gut gekleidete Frau mit Mann und Kinderwagen. "Das wäre doch ideal für uns, hier möchte ich wohnen." Auch von schräg gegenüber hört man beifälliges Geplapper. Ob hier noch etwas zu haben ist? Wie viel das wohl kosten mag?

Geplante Schönheit

Sonntägliche Szenen aus der Tizianstraße. Stimmt schon, schön ist es hier in Gern und vor allem pittoresk. Eine Puppenstubenidylle, der Traum vom kleinen, heimeligen Häuschen, eigenem Gärtchen samt U-Bahnanschluss. Vor allem die gut situierte Münchner Kleinfamilie fährt voll ab auf so was. In der Tizianstraße steht noch etliches, was diesen ein wenig atavistischen Wünschen nach dem geputzten, kleinbürgerlichen Refugium inmitten der Großstadt entspricht. Hier entstand Ende des 19. Jahrhunderts die "Familienhäuser-Kolonie München-Gern", geplant von dem Architekten und Bauunternehmer Jakob Heilmann, einem Schüler von Walter Gropius. Der gebildete Mittelstand sollte hier leben: Künstler, Gelehrte, Beamte, Kinder und Rentner.

Kaum zu bezahlen

Viele kleine, schnuckelige Anwesen, zum Teil mit Fachwerkgiebeln samt Atelierfenstern sowie vor und rückseitigen Gärtchen wurden in dem Nymphenburger Ortsteil errichtet. Dicht an dicht wie englische Backsteinreihenhäuser und zu erschwinglichen Preisen, wie es damals hieß. Mit letzterem ist es heute in der Tizianstraße und den anderen Straßen der Kolonie freilich vorbei. Die Mieten und Kaufpreise in dem begehrten Quartier sind längst in astronomische Höhen geklettert, vor allem, seit die U-Bahn bis vor die Haustür fährt. Seither ist auch der zurückhaltende Pensionisten-Charme, der Gern einst auszeichnete, zugunsten einer fragwürdigen "Aufwertung" im Schwinden begriffen.

Aber die Tizianstraße ist eine lange Straße, sie verwandelt sich von ihrem schüchternen Beginn am Taxisgarten, einem beliebten Biergarten im Norden, bis zu ihrem südlichen Ende an der viel befahrenen Menzinger Straße mehrfach. Und nicht überall ist sie so putzig anzusehen wie im Herzen der Gartensiedlung Gern. Gesichtslose Nachkriegsklitschen begleiten den Flaneur auf seinem kurzen Weg vom Taxisgarten bis zur Waisenhausstraße. Unwillkürlich vermutet man hinter den Fenstern jede Menge älterer Damen beim Kaffekränzchen.

Zwischen porper und verwahrlost

Dann beginnt der historische Teil. Viele der kleinen Knusperhäuschen sind schon proper herausgeputzt worden, andere noch wohltuend verwahrlost. Schöne Linden auf breiten Rasenflächen säumen die Straße mit den großzügigen Gehsteigen. Der Bestand an kleinen Ladengeschäften, die das Viertel früher als eigenes, fast autarkes Quartier kennzeichneten, ist in den vergangenen Jahren leider deutlich geschrumpft.

Lärm in der Luft

Nach der Kreuzung Gerner Straße wird es wieder ziemlich eintönig. Rechts und links fast nur gesichtslose Stadtvillen im Stil sämtlicher Nachkriegsjahrzehnte. Den meisten Häusern sieht man an, dass Geld nicht unbedingt Geschmack bedeutet. Bald öffnet sich linkerhand ein kleiner Park, bis die Straße abermals ihren Charakter ändert. Jetzt erheben sich an der Tizianstraße großstädtische Mietshäuser im Stil der Gründerzeit, bis sich der Flaneur unvermittelt in einer Sackgasse wieder findet. Hier ist nun endgültig Schluss mit der Heimeligkeit. Statt rauschener Lindenbäume erfüllt Straßenlärm die Luft.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: