Straßen in München:Stachus

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Der Stachus ist kein Platz, an dem man sich gerne in Muße aufhält. Aber gerade hier laufen Touristen aus aller Herren Länden zusammen und kehren massenhaft ein im weltberühmten Imbiss.

Von Georg Etscheit

"Next Stop Karlsplatzstachus. Please exit the train on the righthandside." Die gut gemeinte Ansage in der Münchner S-Bahn kann Ausländer in Verwirrung stürzen. Wo soll man nun, bitteschön, aussteigen? Am Karlsplatzstachus? Den gibt es doch gar nicht im Reiseführer.

Dort findet man die Lokation nach angestrengtem Suchen mal unter Karlsplatz, mal unter Stachus. Oder der Platz rangiert ganz einfach unter Karlstor...

Der Grund für die Wirrnis liegt mehr als 200 Jahre zurück und hat etwas zu tun mit dem zuweilen prekären Verhältnis der Münchner Bürger zu ihren Landesfürsten, die Jahrhunderte lang in Gestalt der Wittelsbacher mitten in der Stadt Hof hielten.

1791 ließ Kurfürst Karl Theodor die alten Münchner Befestigungsanlagen schleifen. Ihm zu Ehren wurde das Neuhauser Tor im Westen der Altstadt in Karlstor umbenannt. Weil aber Karl Theodor kein sonderlich beliebter Fürst war und den Münchnern ihre Maß Bier seit jeher näher steht als die Obrigkeit, pilgerten die Bürger weiter zum "Stachus". Auch als es die Bierschänke, die der Gastwirt Eustachius Föderl am Neuhauser- respektive Karlstor in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts unterhielt, schon längst nicht mehr gab.

Von einem gemütlichen Biergarten ist am Stachus natürlich nichts mehr zu sehen. Dafür gibt es ein massenhaft frequentiertes McDonald's-Restaurant, nach Moskau und Peking das meist besuchte der Welt. Am Stachus geht es hektisch zu - und international.

Vielleicht ist das hier sogar der Ort in München, wo der Duft der großen Welt am besten zu schnuppern ist, von Hauptbahnhof oder Flughafen mal abgesehen. Rucksacktouristen aus ziemlich aller Damen und Herren Länder halten hier gerne Siesta und kühlen ihre wund gelaufenen Füße in dem 1972 zu den Olympischen Spielen geschaffenen Stachus-Brunnen. Oder sie halten Ausschau nach Einheimischen, die sie nach dem Weg zum Bahnhof befragen können.

Architektonisch ist der Stachus eher gewöhnungsbedürftig. Keine italienische Piazza, wo man sich gerne in Muße aufhält, um einen Kaffee zu schlürfen oder Passanten nachzuschauen. Sondern eine von lärmenden Straßen und Straßenbahnlinien brutal durchschnittene, nur durch ein paar Bäume aufgelockerte Asphalt- und Granitwüste.

Altstadtseitig steht das zinnenbewehrte Karlstor, im Krieg zerstört und "vereinfacht" wiederaufgebaut. Davon ausgehend ein halbkreisförmiges, neobarockes Rondell mit allerlei Geschäften. Schräg gegenüber die ebenfalls neobarocke Trutzburg des Justizpalastes, in der Mitte das Hotel Königshof mit seinen hässlichen Bullaugen-Fenstern und Leuchtreklamen. Dann, etwas im Hintergrund, das prägnante, halbrunde Eckhaus mit der sich drehenden Werbung obenauf.

Und schließlich, dort wo einst die Wirtschaft des Eustachius Föderl stand, ein einigermaßen gelungenes Nachkriegs-Kaufhaus. Wenn man es gut meint mit München, könnte man diesem Ensemble eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Piccadilly Circus in London oder dem New Yorker Times Square nicht ganz absprechen. Aber das wäre vielleicht doch etwas zu viel der Ehre.

Echte Münchner kennen den Stachus meist nur vom Umsteigen oder Unterqueren. Dafür gibt es das berühmt-berüchtigte Stachus-Untergeschoss, eine Schöpfung der Beton-verliebten siebziger Jahre.

Damals stampfte man hier ein fünfstöckiges unterirdisches Einkaufszentrum samt U- und S-Bahnhof aus dem Boden, dessen Ausmaße beeindrucken: 40 Meter tief, 24.000 Quadratmeter Gesamtfläche, 53 Läden. Als am 26. November 1970 das Untergeschoss eröffnet wurde, verglich es der damalige Erzbischof Döpfner mit Bauwerken in Babylon oder Jerusalem, OB Vogel gar mit der Cheopspyramide.

Pro Tag passiert eine Karawane von bis zu 600.000 Menschen das Stachus-Untergeschoss, was die Ladenbesitzer freuen mag. So etwas wie Heimeligkeit möchte freilich nicht aufkommen in dem Konsumverließ unter Tage. Was die älteren Damen wohl dazu bringt, hier im Neonschein, zwischen Kunstbäumchen und umwogt vom Pizzacurrywurstleberkäsgyrospommesmief der zahlreichen Imbissbuden ihren Kuchen zu vertilgen?

Immerhin soll das Ganze ab Mai 2008 einem Facelifting unterzogen werden. Bis 2010 sollen die Passagen dann saniert sein. Besser wäre wahrscheinlich, endlich Autos statt Menschen unter die Erde zu zwingen. Dann würde aus dem Times-Square-Verschnitt vielleicht doch noch so etwas wie ein echter Platz.

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