Straßen in München:Sendlinger Straße

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Die Sendlinger Straße ist eine ganz normale moderne Konsummeile. Keine Frage. Wer aber genauer hinschaut, findet auch Besonderes.

Stefan Siegfried

Schaukelseile, Strickleitern, Klettertaue - und Knoten. Einer heißt Englische Trompete. Ein anderer Henkerknoten. Die winzigen Knotenminiaturen sind auf ein Holzbrett im Schaufenster der Seilerei Kienmoser montiert. Seit 170 Jahren ist im Haus Sendlinger Straße Nr. 36 ein Seilwarengeschäft zu Hause, unter dem Namen J. Kienmoser KG firmiert es seit 1922. "Wir haben den Vorteil, in unseren eigenen Räumen zu sein, die Mieten hier könnten wir nicht zahlen", sagt der Inhaber. Hier hat man beobachtet, wie die Straße ihr Gesicht immer wieder verändert: "Man wundert sich schon, wie schnell hier neue Läden eröffnen und wieder verschwinden."

"Grüne Lunge" mittendrin

Heute ist die Sendlinger Straße eine moderne Konsummeile - vor allem viele Modeläden, schicke Cafés und internationale Filialisten sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten eingezogen. Seit in den siebziger Jahren der U-Bahn-Anschluss kam, ist der Passantenstrom zwischen Sendlinger Tor und Marienplatz nicht zu stoppen. Die meisten hetzen durch die Straße und übersehen ihre Schönheiten und Besonderheiten - die ruhigen Hinterhöfe und Seitenstraßen, zum Beispiel den Asam-Hof, die "grüne Lunge" der Straße mit seinem Skulpturenweg.

Alteingesessene Händler können sich noch gut an die fünfziger Jahre erinnern, als hier noch jeder jeden kannte, und als in Geschäften Glühbirnen zerplatzten, wenn die Straßenbahn vorbeifuhr.

Die Tram gibt es nun schon lange nicht mehr, die vielen kleinen Fachgeschäfte sind verschwunden - sei es, weil die Geschäftsleute aus Altersgründen aufgaben, keine Nachfolger mehr fanden oder vor der Mietpreisexplosion flohen. Geschäftsflächen stehen auch mal über längere Zeit leer, weil sich die Preise kaum jemand leisten kann.

Das Kommen und Gehen ist in der Sendlinger Straße allerdings Tradition. Schon im Mittelalter war sie eine wichtige Verkehrsader in München. Reisende, die sich von Süden - von Innsbruck, Mittenwald oder Wolfratshausen - näherten, gelangten durch das Sendlinger Tor in die Stadt. In der Sendlinger Straße wurde mit Wein, Tüchern und Gewürzen gehandelt. Kleine Handwerksbetriebe, aber auch zahllose Brauereien bestimmten bis ins 19. Jahrhundert das Straßenbild. Heute tobt der Verkehr anderswo. In den achtziger Jahren wurden die Gehsteige verbreitert, das Durchkommen für Autofahrer erschwert.

Rotlichtige Vergangenheit

Wer nach dem Krieg erzählte, er wohne in der Sendlinger Straße, erntete ein breites Grinsen. Denn zwischen Asamkirche und Sendlinger Tor befand sich der Rotlichtbezirk. Daran kann man sich im Dessousladen Lewandowski, der seit rund 70 Jahren hier beheimatet ist, noch gut erinnern. Das Geschäft hat die Freudenmädchen beliefert. "Das war strikt getrennt: Die hübschen Mädchen liefen in der Sendlinger Straße, die Älteren mussten am Oberanger um Kundschaft buhlen."

Daran gemessen hat sich die Straße bis heute positiv entwickelt und hat eine gute Mischung aus Altem und Neuem zu bieten. Das findet man zumindest beim alteingesessenenen Juwelier Fridrich: "Der Autoverkehr war früher viel schlimmer. Nach dem Krieg war das eine Hauptstraße. Wir konnten im Sommer die Türen nicht auflassen, so schlecht war die Luft hier."

Dass auch die älteren Geschäfte eine Chance haben, sind sich dennoch einige Händler sicher: "Dort wo das Geld keine Rolle spielt, wird die Tradition überleben."

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