Straßen in München:Rotkreuzplatz

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Schön ist der Rotkreuzplatz nicht gerade, aber in seiner Nähe fühlen sich Arbeiterfamilien, Lehrerehepaare und alte Damen mit Nerz wohl.

Peter Gaide

Welch ein Hecheln, Schnauben und Kläffen. Mehr als zwei Dutzend Pferde und sechs mal so viele Hirsch-, Wildbret- und Leithunde, dazu noch Jäger, Knechte und Hundejungen: Alle warten ungeduldig auf das Halali von Kurfürst Max Emmanuel. Vor dem Jagdschlössl am Rotkreuzplatz war die Hölle los, wenn die Hörner zur Hirschfaiste, zur Sauhatz, zur Parforcejagd riefen, Mitte des 18. Jahrhunderts.

Merklich ruhiger ist es geworden, heutzutage im Jagdschlössl. Ratschend bei Bier und bayerischen Schmankerln lassen die Neuhauser ihre Seelen baumeln. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs haben das ehemalige Prunkhaus in die Knie gezwungen, es in eine Gastwirtschaft desselben Namens verwandelt.

Das ehemalige Jagdgebiet des Adels, das sich im Norden über Nymphenburg bis Schleißheim erstreckt hatte, hatte schon lange vorher anderen Nutzungen weichen müssen. Aus dem Revier der Blaublütigen wurde dicht besiedeltes, bürgerliches Münchner Stadtgebiet.

Gute Einkaufslage

Schön ist er nicht gerade, der Rotkreuzplatz, aber er pulsiert, und in seiner Nähe lebt es sich gut. Als Zentrum von Neuhausen ist er seit hundert Jahren Verkehrsknotenpunkt. Straßenbahn, U-Bahn, Busse und Autos, und ein Strom von Menschen, der tagsüber selten versiegt. Bunt, gelassen, unprätentiös geht es zu.

Der Platz und seine Nebenstraßen beherbergen Restaurants, Kneipen und Cafés, bieten reichlich Waren und Dienstleistungen von A wie Apotheke bis Z wie Zündkerze. Einzelhandels-Nischen, trotz oder vielleicht gerade wegen der Kaufhof-Filiale, die den Platz so sehr zu dominieren scheint.

Eine bunte Mischung

Auf einen Nenner lässt sich das Treiben auf und rund um den Rotkreuzplatz nur schwerlich bringen. Zu uneinheitlich ist das Gemisch, das sich seit Ende des 19. Jahrhunderts aus proletarischem Milieu, gut verdienender Mittelschicht und großbürgerlichen Überbleibseln gebildet hat.

Die Architektur des Viertels bezeugt das: Mietshäuser, genossenschaftliche Wohnanlagen, uncharmante Nachkriegsbauten und bildschöne Jugendstilvillen stehen mitunter Wand an Wand. Die Arbeiterfamilie, das Lehrerehepaar und die alte vornehme Dame im Nerz wohnen Tür an Tür. Auch neue Mieter lassen sich nicht lange bitten, Neuhausen ist ein beliebtes Wohnviertel.

Kaum ein Reiseführer, der nicht anmerkt, wie architektonisch reizlos der Rotkreuzplatz doch sei, und Schuld seien vor allem die Rotkreuzschwestern. Schon richtig, am Fuße des 16-stöckigen Gebäudes, das unter anderem Schwesternschule und -wohnheim beherbergt, fragt man sich unweigerlich, ob es nicht einige Meter weniger Beton auch getan hätten. Andererseits, irgendwohin müssen die Schwestern ja, also ist der Bau für eine gute Sache. Außerdem regen sich nur noch Touristen und Reiseführer-Autoren darüber auf. Die Neuhauser haben sich längst daran gewöhnt.

Ausgleichende Gerechtigkeit: Die neu aufgebaute Herz-Jesu-Kirche unweit des Schwesternwohnheims ist ein betörender Bau aus Glas, Holz und Beton, der in München seinesgleichen sucht.

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