Straßen in München:Pariser Straße

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Das pralle Leben: Mütter schieben Kinderwägen, Omas schleppen Einkaufstaschen, Spätfrühstücker bevölkern die Straßencafés: Die Pariser Straße in Haidhausen lebt - auch an einem normalen Donnerstag Vormittag.

Christa Eder

Es wuselt auf der Straße. Mütter schieben Kinderwägen, Omas schleppen Einkaufstaschen, Spätfrühstücker bevölkern die Straßencafés, Zeitungsleser genießen die Sonne auf den Plätzen und Bänken. Und das an einem normalen Donnerstag Vormittag.

So viel Leben erstaunt selbst Hermann Wilhelm, den Leiter des Haidhausen-Museums in der Kirchenstraße, der das Viertel seit seiner Kindheit kennt und hier auch aufgewachsen ist. Franzosenviertel heißt dieser Teil zwischen Ostbahnhof und Alt-Haidhausen.

Quer durch, von der Rosenheimer bis zur Wörthstraße, verläuft die Pariser Straße, um die es hier geht. "Warum heißt es Franzosenviertel?" testet Wilhelm, und die Antwort ist auch prompt falsch: "Viele denken, dass hier mal viele Franzosen gelebt hätten, dabei hängt der Name mit der Bauweise zusammen. Ein gewisser Karl von Eichtal hat nach dem "Siebziger Krieg" das Viertel nach französischem Vorbild gebaut. Straßen, die sternenförmig auf Plätze zulaufen, Blockrandbebauung, und die Straßen wurden nach erfolgreich geschlagenen Schlachten bei Orléans, Balan, Lothringen und eben Paris benannt."

Historischer Hintergrund: Frankreich musste nach dem verlorenen Krieg von 1870/71 enorme Reparationen an Deutschland zahlen, was hierzulande einen Wirtschaftsboom auslöste. Die Landbevölkerung zog nach München. Wohnraum wurde gebraucht, und so entstand, gleichzeitig mit dem Bau des Ostbahnhofs mitten auf der grünen Wiese das Franzosenviertel, damals noch eine Trabantenstadt von München. "Das war etwas ganz Neues für München, was es so vorher nicht gegeben hatte. Das ganze Viertel wurde am Reißbrett entworfen und vom Plan weg verkauft, ein riesiges Spekulationprojekt," erzählt Wilhelm.

Eichtals Rechnung ging auf. Er muss sich eine "goldene Nase" verdient haben, meint Wilhelm, und noch heute, besser gesagt: wieder, ist das Franzosenviertel eines der begehrtesten in Haidhausen.

Das war nicht immer so. In den fünfziger Jahren eher vernachlässigt, mutierte das Quartier in den siebziger Jahren zum Szeneviertel. Und wie das so ist: Wo lebendige Viertel entstehen, sind die Spekulanten nicht weit. Es wird modernisiert, saniert und teuer verkauft. So geschah es dann auch in den achtziger Jahren. Haidhausen wurde vom Boom der Altbausanierungswelle erfasst, die Quadratmeterpreise stiegen, sozial Schwächere wanderten ab, Besserverdiener zogen zu. Heute ist das Franzosenviertel ein gut zusammengewachsenes und beliebtes Wohn-, Geschäfts- und Kneipenviertel. Das gilt auch für die Pariser Straße.

Schöne Altbauten, zum Teil noch unrenoviert und mit Patina neben geschniegelten, sauber hergerichteten Gebäuden. Dazwischen eine Vielfalt an Gaststätten, Restaurants, Eiscafés und kleinen Läden.

Auch ein paar Institutionen haben überlebt. Der legendäre Waschsalon, in dem schon mal bis in die Morgenstunden weitergefeiert wurde, wenn das Café Größenwahn in der Lothringer Straße Sperrstunde hatte. Letzteres gibt es übrigens nicht mehr. Dafür aber die Lothringer Fabrik, die heute Lothringer 13 heißt und immer noch Anlaufstelle für experimentelle Kunst ist.

Gleich neben dem Waschsalon ist die erste Oase der Pariser Straße, die Schüleinwiese, benannt nach Josef Schülein, der sich als Wohltäter Haidhausens einen veritablen Ruf erworben hat. Der Gründer der Unionsbrauerei Schülein & Cie schenkte die Wiese in den zwanziger Jahren der Stadt München.

Damals wie heute ist dieser Platz ein beliebter Treffpunkt für die Anwohner. "Das war damals eine ganz tolle Sache. Die Kinder haben hier Fußball gespielt und sind herumgeklettert, die alten Männer haben an Tischen Schafkopf gespielt", erinnert sich Wilhelm, der auch als Kind auf der "Postwiesen" wie die Alt-Haidhausener sagen, gebolzt hat.

Rund um den kleinen Platz gibt es Kieswege mit Bänken, und Anschie mit ihrer Cafégartenlaube sorgt dafür, dass niemand hungern und dursten muss: Kaffee, Spezi, Pizza, Brote - vor allem die Schüler von nebenan und die Leute vom Altenheim kommen fast jeden Tag zu ihr. "Nur Bier deaf i ned," sinniert Anschie, die frühere Wirtin vom Achterdeck.

Wenn sie redet, denkt man an Münchner G'schichten: "Wenn i jetz a Lokal hätt, deafat i. Da nimm i mei Konzession über die Straß' nüber mit. Zum Wurstsalat hätten's halt gern a Mal a Weißbier oder a Radler - deaf i ned. Sonst kassiern's mi ob. Wegen der öffentlichen Grünanlag'. Des is a eigener Paragraf."

Ein Stückchen weiter wird die Straße unterbrochen vom Pariser Platz. Eine typische Platzgestaltung sei das, sagt Wilhelm. Ein runder Platz, von dem sternenförmig die Straßen abzweigen, begrünt und mit Bänken bestückt, die in der warmen Sonne voll besetzt sind.

Rundherum Geschäfte, Banken, Reisebüro, ein McDonald's, ein Eiscafé, Autos, Roller, Radler und eine Menge Fußgänger. Jenseits des Platzes führt die Straße ebenso belebt weiter bis zum Bordeauxplatz. "Das pralle Leben", wundert sich Wilhelm noch einmal.

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