Straßen in München:Marienplatz

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Ein neugotischer Protzkasten und Billigbauten prägen den Marienplatz. Den Touristen gefällt's, die Münchner ignorieren dagegen das Zentrum ihrer Stadt.

Georg Etscheit

Wenn man den Marienplatz betritt, steht man erst einmal vor diesem Klotz. Gemeint ist nicht der Kaufhof, diese vielleicht größte architektonische Sünde der Stadt. Sondern das Neue Rathaus, das neugotische Monster. Das passt genauso wenig hierher - mit seinen pseudoromantischen Türmchen, Erkerchen, spitzbogigen Fensterchen, stierenden Statuen und dem parvenuehaften Turm, der die welschen Hauben der Frauenkirche dreist zu toppen versucht.

So sieht es jeden Tag aus am Marienplatz um 11 und 17 Uhr: Touristen rätseln über den Schäfflertanz samt Glockenspiel. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Besser, man hört auf seinen Kunstführer: "Schenken Sie besonders dem Alten Rathaus als dem wirklich ehrwürdigen Gebäude am Marienplatz gebührende Beachtung." Recht hat er! Allerdings ist auch das Alte Rathaus nicht mehr als eine halbwegs gelungene Replik der Nachkriegszeit.

Aber man muss ja an die Touristen denken. Und die halten den neugotischen Protzkasten samt den fünfziger Jahre-Billigbauten, die den Marienplatz säumen, für die Inkarnation von Alt-München und recken ihre Hälse nach dem mit schrägem Glockenspiel untermalten Kasperltheater namens Schäfflertanz.

Ein kaltes Herz

Der Marienplatz wird als gute Stube Münchens gerühmt, als Herz der Stadt. Das ist dann allerdings ein recht kaltes Herz, weil es hier meist ziemlich zugig ist. Im Durchzug sitzen, das tun sich höchstens Touristen an, wenn sie sich im angeblichen Traditionsrestaurant "Donisl" Weißwürste zuführen.

Nur gut für Besorgungen

Echte Münchner durchmessen den Marienplatz meist eiligen Schrittes, um beim "Beck" oder bei "Hugendubel" dringende Einkäufe zu erledigen. Oder um schnell zur S- oder U-Bahn abzutauchen. Oder für allfällige Manifestationen politischen Unmuts, für die der Marienplatz wegen seiner zentralen Lage eine weit überdurchschnittliche Anziehungskraft besitzt. Oder um den Fußballhelden vom FC Bayern oder den Löwen zuzujubeln, wenn die sich zusammen mit einem stolzen Oberbürgermeister Christian Ude auf dem Balkon des Rathauses zeigen.

Nicht zum Bleiben

Also, um es kurz zu machen: Man braucht schon einen triftigen Grund, um sich auf dem Marienplatz aufzuhalten. Zum müßigen Verweilen, zum Leute gucken und Käffchen schlürfen ist der Ort nicht geschaffen. Um richtiges Plätze-Feeling zu genießen, muss sich der Münchner schon nach Italien aufmachen, was ja nicht so weit weg ist: Piazza Navona, Piazza della Signoria, Piazza delle Erbe, der Campo von Siena - da kann unser Marienplatz einfach nur einpacken.

Zentrum des Wiedersehens

Eines kann man unserem Marienplatz allerdings nicht absprechen: Er ist die unumstrittene Mitte der Stadt. Das hat München dem ewigen Konkurrenten Berlin voraus - eine richtige Mitte. Und die Mitte von der Mitte ist die Mariensäule, neben dem Fischbrunnen der beliebteste Treffpunkt Münchens. Wer hier seine Verabredung verfehlt, ist selbst schuld.

Außer zur Adventszeit, wenn der Platz mit Buden und Menschenvolk zugerammelt ist und man schon wie Maria hoch oben auf der Säule thronen müsste, um noch den Überblick zu behalten.

Echtes Original

Die Mariensäule mit den vier bewegten Bronzeputti rund um den Marmorsockel ist übrigens das einzig noch wirklich echte am Marienplatz. Kurfürst Maximilian hatte gelobt, ein "gottgefälliges Werk" zu tun, wenn die Hauptstädte München und Landshut vor der Zerstörung durch die Schweden im dreißigjährigen Krieg verschont blieben.

1638 erfüllt der Fürst sein Gelübde, nachdem die Stadt von den Besatzern relativ glimpflich behandelt worden war und auch die furchtbare Pest, die spanische Truppen eingeschleppt hatten, abgeflaut war. Mitten in die Stadt hinein pflanzte er seine goldglänzende "Patrona" und dokumentierte damit auch die Besitzergreifung Münchens durch die Landesherrschaft. Die Demütigung der bürgerlichen Obrigkeit war ein saftiger politischer Affront, ohne den die Stadt um ein Wahrzeichen ärmer wäre.

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