Straßen in München:Hohenzollernstraße

Lesezeit: 2 min

Im vorderen Teil der Hohenzollernstraße regen Schaufenster die Kaufeslust an, im hinteren Teil rauscht das Leben in vollen Zügen vorbei.

Bernd Graff

Dieses Stück ab der Leopoldstraße gibt sich wie die Trash-Variante der New Yorker Fifth Avenue: Lädchen, in den späten Siebzigern entstanden und Buttiken genannt, verkaufen teuersten Ramsch. Besitzer wechseln stündlich - der Ramsch bleibt. Irgendwas zwischen Dessous, Cocktailkleid und expliziter Latexware, vor allem aber buntbedruckte Schreie, die man im wirklichen Leben nie zu sehen bekommt.

Der Alte-Möbel-Händler von der anderen Straßenseite nutzt die Toreinfahrt als Ausstellungsraum für seine Spiegel. Hinter in der Garage darf ein Mini nicht in den Winter hinaus. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Auf der hier unentschieden zwischen Fußgängerzone und längstem Parkplatz der Welt changierenden Straßenflucht führen ältere Bauch-Besitzer in Lederjanker und Cowboystiefeln Dämchen aus, die in ihrer Jugend beschlossen haben, die ewige Schminkerei sein und ein letztes Permanent-Make-Up auftragen zu lassen. Grufties in munterem Finale.

Dazwischen Kids in allzu hohen Basketballsiefeln und Jeans, die an den Beckenknochen Fransen werfen. Man trifft sie im Kleidermarkt, wo sie nach Modeschnickschnack stöbern. Dann ein Supermarkt, ein Fotogeschäft, viele, viele Schuhe - vorne spitz, Hacken hoch.. Und mittendrin die nüchtern-schüchterne Stadtbibliothek, eine Oase im falschen Glamour.

Im Osten also, dem manischen Teil, deliriert die Hohenzollernstraße zwischen Sex Pistols und Milli Vanilli. Alter Pop in Teer und Federn. Der Herzinfarkt Schwabings. Dann erfolgt der Bruch. Eine Traurige-Alte-Männer-Gaststätte mit dem trinkfesten Namen "Zum Zum" markiert ihn. Sie hat längst dicht gemacht.

Es beginnt tiefe, tiefe Depression. Und sie beginnt mit dem berühmten Café Schwabing. Man weiß nicht, wie sich dieses Etablissement aus den Smooth-Operator-Zeiten Sades hat bis heute halten können? Muss der generellen Antriebsschwäche des Depressiven geschuldet sein.

Denn ab hier beginnt die Wüste in rasendem Verkehr: Es verebben die Läden, es siechen die ehedem herrschaftlichen Häuser im Lärm der Parkplatzsucher und Niederflurbusse. Es bimmelt die Tram. Und tief unten im Straßengedärm, da rumpelt die U-Bahn. Wie unter Wiederholungszwang. Ein ewiger, ein gewaltiger Verkehr. Scheußlich.

Neben der Hausnummer 110 lugt das Relief Werner Heisenbergs hervor, der hier seine Jugend verlebte. Eine Jugend - ein Schock. Wundert es, dass er sich danach nur noch um Unschärferelation und Quantenmechanik kümmerte? Kleinteiliges, dem Irdischen enthoben.

Nach nicht wenigen Fünfziger-Jahre Bausünden, die Bombenlöcher flicken - der Hohenzollernplatz. Eine U-Bahn-Station, ein Supermarkt in Schachtelgröße. Hier auch die ersten Bäume und Tauben, Tauben, Tauben, gejagt von streunenden Hunden. Hier auch ein Springbrunnen - wie schön. Davor, daneben: Menschen, die in Bierdosen investieren.

Die Bank hier hat dicht gemacht. Der ehemalige "Äquator" auch, ein Exkursions-Ausrüster (nur weg!). Apotheken (Antidepressiva!) gibt es noch.

Das ist das vorweggenommene Ende. Ab hier wird gar nichts mehr aus der Hohenzollernstraße. Bis zum Nordbad. Aber das liegt ja auch an der Schleißheimer Straße. Gerettet, gewissermaßen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: