Straßen in München:Heßstraße

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Inmitten der angesagten Maxvorstadt liegt ein häßliches Etwas. 4000 Schritte lang ist das Grau der Münchner Heßstraße: Dazwischen jedoch viel Städtisches Understatement.

Sebastian Poliwoda

Sie hat es nicht leicht. Von hinten schieben Olympiazentrum und Schwere-Reiter-Straße, von der Seite drücken Neue Pinakothek und TU, von vorne presst die Barerstraße.

Direkt vor der Neuen Pinakothek, am helllichten Tag: ein dunkelgekleideter Mann mit Aktenkoffer und golgerahmten Bild unter dem Arm. Stiehlt er sich davon? (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Gedrängt und feindlich starren sich die Fünfziger-Jahre-Mietshäuser in der Heßstraße an, fünf Stockwerk hoch, über die schmale Asphaltdemarkationslinie hinweg, wie Panzer Sekunden vor der Schlacht.

Grün nur am Anfang und am Ende

An den Ausläufern findet sich noch manches Grün. Hier ergehen sich die Städter mit ihren Hunden. Die balgen sich, ungeduldig nach Erleichterung trachtend, um die wenigen Bäume. Doch im Auge des Sturms, zwischen Schleißheimer und Luisenstraße, bietet kein Baum Erleichterung, kein Grün Schutz vor dem Grollen der Mietshauspanzer.

Ein hässliches Etwas, 3723 Schritte lang, inmitten der sonst so angesagten Maxvorstadt. So identitätslos, gebraucht und schmal, dass nicht einmal Autos durchbrettern wollen, sondern einzeln und verschüchtert die gelbgrauen, grüngrauen oder schmutzig-grauen Fassaden entlang schleichen.

Die radelnden Studenten scheinen extra fest in die Pedale zu treten, als gelte es: schnell raus hier.

Es gibt keine Läden, keine Boutiquen, nur betonierten Stillstand. Würde man München nach Kalter-Kriegs-Manier mit einer Mauer teilen, sie würde durch die Heßstraße laufen.

Spott gibt es obendrein. Bei "Heßstraße", da raunen viele: "Ohh, Rudolf Heß? Wie peinlich! Dass es so was noch gibt!! Da würd' ich ja nicht wohnen!!!" Nein, nein, nein. Nicht Rudolf, sondern Carl Ernst Christoph Heß gab den Namen, Zeichner und Kupferstecher, Professor an der Akademie der bildenden Künste und von 1755-1828 unter den Lebenden.

Stärke der Straße

Es ist die graue Stille, die diese Straße ausmacht. Eine Art städtisches Understatement. Denn hinter den tumben Mauern regt sich Leben. Mit übergrünen Hinterhöfen, in denen Vöglein pfeifen, Hobbygärtner ihre sonnigen Beete jäten, All-inclusive-Urlaub gemacht wird auf Balkonen, die sich wie angeklebte Pappkartons ausnehmen.

Und tatsächlich: Irgendwo spielen sogar Kinder. Zugegeben, die Kleinen tun das, weil sie auf der Straße sofort Depressionen bekämen. Dennoch.

In den Mietskasernen sprudelt Multikulturelles. Es gibt mehrere fremdländische Restaurants. Gegenüber vom "Eat The Rich" - wo sich BWL-Erstsemestler Abend für Abend bis drei Uhr früh betrinken -, im Massmannpark, dem einzigen größeren Flecken Grün, rufen Frauen mit Kopftüchern und ausladenden Gewändern ihre Kinder zur Ordnung, manche zum Gebet.

Die vitale Mischung bereichern Alten- und Studentenheime, der Fachhochschul-Neubau mitsamt dem Sitz der Frauenbeauftragten sowie mehrere Beratungsstellen. Und der Vorstand des Münchner Mandolinen-Zirkels sowie die Leiterin des Isargaus der Bayerischen Trachtenjugend wohnen auch noch hier. Da kommt Folklore auf.

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