Straßen in München:Fraunhoferstraße

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Als der liebe Gott München schuf, fiel eine Straße aus der Tasche seines Blaumanns, die er eigentlich für Berlin-Kreuzberg vorgesehen hatte.

Philip Wolff

In der Fraunhoferstraße reihen sich nüchterne Nachkriegs- und üppige Gründerzeit-Bauten aneinander, überzogen von einem Schleier aus Abgasen. Die Straßenbahn übertönt den Autoverkehr. Und auch die schmalen Gehsteige würden gewiss niemanden zum Spaziergang einladen, läge nicht irgendwo hier, zwischen Trödelladen und Elektrohandel ein versteckter Zauber.

(Foto: / Fotos: sueddeutsche.de)

Bin unterwegs

"Die Fraunhoferstraße ist furchtbar hässlich", sagt eine Ladenbesitzerin. Was sie nicht sagt: Es gäbe keinen besseren Ort für ihr Geschäft. Die Kunden trinken Kaffee mit ihr, kaufen ein und gehen wieder, wenn sie Lust haben - so wie die Inhaberin. Dann klebt ein gelber Zettel an der Tür ihres Ladens: "Bin nebenan".

An vielen Läden und Boutiquen in dieser Straße, die das theatralische Gärtnerplatz- vom malerischen Glockenbachviertel trennt, kleben tagsüber gelbe Zettel. Manche Öffnungszeiten sind so verlässlich wie auf einem Orient-Basar - und gemacht für eine ähnlich zusammengewürfelte Kundschaft. "Samstags nur nach Vereinbarung." "Bin gerade unterwegs..."

Einigkeit beim letzten Bier

"Man ist hier sofort beim Du", sagt der Wirt eines Stehimbisses. Es ist Mittagszeit, und bei ihm besprechen eine obdachlose Frau, ein Banker, ein schwuler Werbegrafiker und ein heterosexueller Bauarbeiter die Vor- und Nachteile vegetarischer Wraps. "Hier findet Leben statt", sagt der Wirt.

Konservierte Museumsschönheit macht andere Straßen Münchens zum Ziel der internationalen Touristen. An der Fraunhoferstraße ist das Fremde und Verschiedene zu Hause: Alltag für die rund 940 Anwohner. Nachts, wenn der Verkehr zur Ruhe gekommen ist und die letzten Gäste gegangen sind, wenn sie dann doch noch einmal einkehren auf ein allerletztes Bier bei Gerti in der "Fraunhofer Schoppenstube", spürt man die überschüssige Energie der Anwohner.

Gerti serviert Fleischpflanzerl und Schnaps, bis der Morgen graut. Ein Opernsänger steigt auf einen Tisch und schmettert eine Arie. Werbegrafiker und Bauarbeiter, Säufer und Philosophen liegen sich in den Armen. Sperrzeit? Nicht hier, nicht jetzt.

Lange Geschichte

1775 hatte der Münchner "Bierzäpfler" Andreas Rankl im landschaftlichen Nichts des Stadtbleichangers eine Bäckerei zum Brauausschank umfunktioniert, was den Anger zwischen Stadtgrenze und Isar, auf dem ansonsten nur die Mühle "zur Säldenau" stand, ziemlich aufgewertet haben muss. Eine Art Straßenflucht entstand aber erst, als 1830 das Haus mit der heutigen Nummer 13 gebaut wurde, und man nannte die Häuserreihe nach dem vier Jahre zuvor in München gestorbenen Physiker Joseph von Fraunhofer. Heute ist Rankls Bierzäpflerei das Wirtshaus Fraunhofer.

Arbeiten im Hof

Nahezu unbeachtet ist das liberale Soziotop "Fraunhoferstraße" gewachsen. Auf einem Nährboden, auch dies ein Grund für ihre verborgene Schönheit - der sorgsam versteckt hinter hohen Torbögen liegt: in den Hinterhöfen, die gegen Mitte des 19. Jahrhunderts als Kloaken und Materiallager für die Handwerker angelegt wurden, als die Stadt sich nach Süden auszudehnen begann.

Heute schaut ein Restaurator aus einem von vielen renovierten Hof-Büros: "Wir sind eine Arbeiterstraße, politisch links wie Kreuzberg", sagt er, "aber ohne Randale, die gab's hier nie. Statt dessen haben wir jungen Roten noch in den siebziger Jahren den Rentnern die Kohlesäcke in die Wohnungen geschleppt." Bis heute habe "diese spezielle Solidarität" überlebt: auch den Bau des Patentamts an der nahen Erhardtstraße und den Zuzug der Anwälte und Dienstleister, die das Handwerk verdrängt haben und Platz schufen für Ärzte, Galeristen und Werber.

Die Mieten sind mittlerweile eher unproletarisch, doch geduzt wird weiterhin in dieser Nachbarschaft aus Szene und Familie.

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