Straßen in München:Die Stadt zu Füßen

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Wo bitte? Am Bergsteig? In München? Kaum einer kennt diese Straße, denn ihre 400 Meter sind eher unscheinbar. Aber die Aussicht macht sie zu eine der reizvollsten Wohngegend.

Von Bernd Kastner

Wo bitte? Bergsteig? In München? Kaum einer kennt diese Straße, die sich so nach den Mühen des Gebirges anhört. Die Straße selbst ist unscheinbar, 400 Meter Block an Block, kein Geschäft und keine Kneipe, nur ein paar verlotterte Wertstoff-Container und ein Briefkasten am Altenheim. Wäre da nicht diese Aussicht! Die macht den Bergsteig zu einer der reizvollsten Wohnstraßen der Stadt.

Diese Straße will erklommen werden. Gewiss, das ist ein wenig beschwerlich, denn des Wanderers Weg führt vom Kolumbusplatz steil hinauf. Es riecht nach Romantik unter den hohen Bäumen. Feuchte Erde, viele Stufen, sogar ein paar Serpentinen. Mancher kommt außer Atem. Aber das muss so sein Am Bergsteig.

Die optimale Ausrichtung

Obergiesing, Isarhochufer. Oben angelangt hat unser Wanderer die Wahl. Rechts oder links? Sein Blick geht nach rechts oben, durch die kahlen Bäume hindurch, erspäht einen Turm, sehr hoch und sehr...er zuckt zusammen. Es rattert und dröhnt. Hier ist die Bahn noch eine Eisenbahn, wenn sie, von der Isar kommend, auf ihrem neuzeitlichen Viadukt Untergiesing überquert, um auf halber Höhe des Hochufers Richtung Ostbahnhof davonzubrausen. Nach ein paar Wochen Wohnen am Bergsteig aber hat man sich daran gewöhnt, dass man bei offenem Fenster nicht telefonieren kann und nicht fernsehen. Schlafen sollte man nach hinten raus, wo's ruhig ist. Mancher Innenhof wirkt wie ein Burghof.

Berühmter Schauplatz

Die Hinterhöfe kann der Wanderer nur erahnen. Wahrscheinlich weiß er auch nicht, dass in diesem Viertel, jenseits der Tegernseer Landstraße, ein gewisser Franz Beckenbauer aufgewachsen ist, und gleich um die Ecke, im "Hohenwart", die Roten zu Hause waren, als anno neunzehn Revolution war und unten am Giesinger Berg heftig gekämpft wurde. In dieser Wirtschaft hat vor zehn Jahren der Gerhard Polt den "Herr Ober" im gleichnamigen Film gespielt und sein Regiedebüt gegeben.

Die Kirche und die Alten

Aber eigentlich will unser Wanderer ja zu Heiligkreuz, der Kirche am Ende des Bergsteigs. Auf dem Weg dorthin begegnet er allenfalls ein paar Senioren. Der hier wohnende Münchner ist in der Regel nicht mehr der Jüngste. Kombiniert mit dem Giesinger Grant eine würzige Mischung, gerade für Zugezogene, die sich hierher verirren.

Heiligkreuz! Gebaut vor gut hundert Jahren, als das Dorf Giesing zum Stadt-teil heranwucherte und die alte Kirche zu klein wurde. Die Spitze des neogotischen Turms war einst der höchste Punkt der Stadt, bis sie den Olympiaturm gebaut haben. Die Aussicht ist immer noch fantastisch, doch das gilt auch für die oberen Etagen der Wohnblöcke. Ausgebreitet liegt die Stadt vor einem, gerade im Winter, wenn kein Blattwerk die Sicht versperrt. Das Panorama reicht vom Schornstein-Trio des Heizkraftwerks bis zu den zwei Türmen des Doms.

Betrunkene in der Nachbarschaft

Die westliche Seite des Bergsteigs ist nicht bebaut. Der Grünzug ist beliebter Gassi-Boulevard großer Hunde und ihrer fast gleich großen Frauchen und zieht sich entlang der Kante bis hin zu jenem Abschnitt des Hochufers, den jeder kennt: zum Nockherberg. In ein paar Wochen werden sie dort wieder das Starkbier ausschenken und die Politiker derblecken, die Zeit des brandbedingten Asyls im Zelt auf dem Mariahilfplatz ist zu Ende. Und dann wird nächtens so mancher Salvator-Freund aus dem Paulaner am Nockherberg hervorkriechen und, am Rande des Abgrunds, gen Kolumbusplatz zur U-Bahn torkeln. Er wird weder die Frauentürme rechter Hand bestaunen noch bemerken, dass er sich auf dem Abstieg befindet. Am Bergsteig eben.

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